„Im nationalen Interesse Deutschlands“ (II)
Lieferung eines U-Boots an Israel steht laut Berichten kurz bevor. Die deutsch-israelische Rüstungskooperation reicht bis in die 1950er Jahre zurück und ist ein tragendes Element der bilateralen Beziehungen.
BERLIN/TEL AVIV (Eigener Bericht) – Die erneute Lieferung eines deutschen U-Boots an die israelische Marine steht kurz bevor. Laut Medienberichten ist das Boot namens INS Drakon, das sich zur Zeit in der Werft von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel befindet, beinahe fertiggestellt und kann in naher Zukunft übergeben werden. Es wäre das nächste in einer langen Reihe von Waffensystemen und -komponenten, die Deutschland Israels Streitkräften liefert. Die Rüstungskooperation zwischen den beiden Staaten geht auf die 1950er Jahre zurück; sie ist ein tragendes Element der bilateralen Beziehungen. Dabei reicht sie weit über den einfachen Waffenhandel hinaus und umfasst nicht zuletzt auch rüstungsindustrielle Forschung und Entwicklung. Israelische Rüstungsfirmen haben unter anderem Luftwaffentechnologien entwickelt, die die israelische Luftwaffe im Libanonkrieg 1982 erfolgreich testete und die später, in den 1990er Jahren, die deutsche Luftwaffe in Jugoslawien einsetzte. Umgekehrt fahren die Merkava-Panzer, die Israel in einer etwaigen Bodenoffensive in Libanon einsetzen dürfte, mit deutschen Motoren. Dabei gründet die Rüstungskooperation laut Experten auf simplen gemeinsamen Interessen.
Seit den 1950er Jahren
Erste bundesdeutsche Rüstungsexporte nach Israel gab es bereits Anfang der 1950er Jahre – zu einer Zeit, zu der die Bundesrepublik noch nicht einmal diplomatische Beziehungen zu Israel unterhielt. Zunächst lieferten deutsche Unternehmen sogenannte Dual use-Güter, so etwa Fahrzeugketten.[1] In den Jahren 1956/57 folgte die erste Lieferung größerer Systeme: Die israelische Marine erhielt zwei Patrouillenboote der Jacht & Bootswerft Burmester aus Bremen. Im August 1962 genehmigte Bundeskanzler Konrad Adenauer weitere voluminöse Lieferungen – unter anderem Schnellboote, Hubschrauber und Panzer im Wert von 240 Millionen DM, wie es in einem knappen Überblick über die Rüstungskooperation zwischen der Bundesrepublik und Israel heißt.[2] Als die Lieferungen wenig später bekannt wurden und zu für Bonn nachteiligen Reaktionen in der arabischen Welt führten, verlegte die Bundesrepublik sich auf die Lieferung weniger auffälliger Rüstungsgüter, etwa Funk- und Radargeräte oder Rüstungskomponenten, etwa Motoren. Gelegentlich nahmen beide Seiten Umwege in Kauf. So erhielt die israelische Marine U-Boote, die von 1973 bis 1977 bei Vickers Shipyards im britischen Barrow-in-Furness hergestellt wurden – dies jedoch „nach deutschen Plänen und mit deutschen Ingenieuren“, wie die Autoren einer detaillierten Untersuchung konstatieren.[3]
Zweitgrößter Waffenlieferant
Vor allem in der Anfangsphase besaßen die bundesdeutschen Rüstungslieferungen für die israelischen Streitkräfte, die ihre Arsenale erst noch aufbauen mussten, höchste Bedeutung. Für die Bundesrepublik wiederum boten sie eine Legitimation, langsam wieder eine eigene Rüstungsindustrie zu etablieren. Sie wurden auch nach 1990 fortgesetzt. Anlässlich der beiden Irak-Kriege in den Jahren 1991 und 2003 exportierte die Bundesrepublik acht ABC-Spürpanzer Fuchs sowie mehrere Patriot-Flugabwehrbatterien. Ansonsten lieferte sie vor allem Kriegsschiffe: Diese waren für Israel wichtig, konnten allerdings nicht gegen die Palästinenser eingesetzt werden, was Bonn bzw. später Berlin die Legitimation der Exporte erleichterte. Auch Komponenten wurden und werden weiterhin geliefert. Die israelischen Merkava 4-Panzer etwa, die im Gaza-Krieg genutzt werden und die auch im Falle einer etwaigen Invasion in den Libanon zum Einsatz kommen dürften, sind mit deutschen MTU-Motoren und mit Getrieben des deutschen Unternehmens Renk ausgestattet.[4] Welch hohe Bedeutung die deutschen Lieferungen für die israelischen Streitkräfte haben, zeigen die Statistiken des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI: Demnach war Deutschland in den Jahren von 2019 bis 2023 Israels zweitgrößter Großwaffenlieferant nach den USA – mit einem Anteil von 30 Prozent.[5]
Der Ursprung der Glattrohrkanone
Einen wichtigen Stellenwert nahm schon recht früh auch die Zusammenarbeit beider Länder in der Rüstungsforschung und -entwicklung ein – ein Faktor, der die Rüstungsbeziehungen Deutschlands zu Israel von denjenigen zu zahlreichen anderen Staaten unterscheidet, die nur deutsche Waffen importieren. Bereits in den 1950er Jahren erhielten deutsche Stellen erste Einblicke in sowjetische Waffensysteme, als Israel solche Waffen von seinen arabischen Nachbarstaaten erbeuten konnte und der Bundesrepublik Zugang gewährte. Dies verschaffte deutschen Waffenschmieden etwa die Erkenntnis, dass das frühere NATO-Standardkaliber 105 Millimeter sowjetische T-62-Panzer nicht erfolgreich genug zerstören konnte; daraufhin wurde der Leopard 2 mit einer 120-mm-Glattrohrkanone ausgestattet.[6] Die Erkenntnisse der bundesdeutschen Rüstungsindustrie wiederum kamen auch der israelischen Branche zugute. In den 1970er Jahren beauftragte Bonn die israelische Industrie mit der Entwicklung eines Radarstörsenders für seine Tornado-Kampfjets, der es ermöglichen sollte, Ziele weit hinter der Front zu bekämpfen. Die israelische Luftwaffe erprobte das System erstmals 1982 im Libanon-Krieg, zerstörte, wie es in einer Studie heißt, „16 syrische Luftabwehrbatterien an einem Tag und schoss über 120 syrische Kampfflugzeuge ohne eigene Verluste ab“.[7]
Joint Ventures
Das kam auch der deutschen Luftwaffe zugute. Sie nutzte, so heißt es in der Studie weiter, israelische Technologie zum Beispiel „in der elektronischen Kriegsführung bei Lufteinsätzen im Jugoslawienkonflikt und im Kosovo in den 1990er Jahren“.[8] Das war möglich, da die israelische Rüstungsindustrie sich unter anderem auf High-Tech-Komponenten „in den Bereichen Avionik, Sensorik, Kommunikationselektronik und elektronische Kriegsführung“ zu spezialisieren begann. Bundesdeutsche und israelische Unternehmen gründeten nun Joint Ventures – auch, um die israelische Technologie in Europa zu vermarkten. So gründeten Rheinmetall De Tec und Israel Military Industries 1996 ein Gemeinschaftsunternehmen, um gemeinsam neuartige Munition zu entwickeln. Zudem boten Zeiss Optronics sowie der Rüstungskonzern Rafael aus Haifa gemeinsam Aufklärungs- und Zielerfassungssysteme an; das Aufklärungssystem RecceLite entwickelte sich zum Exporterfolg. Die Kooperation ist stets weitergeführt worden. So least die Bundeswehr heute israelische Heron-Drohnen; zudem beschafft sie, als Teilelement der im Aufbau begriffenen gemeinsamen europäischen Flugabwehr, das israelische Abwehrsystem Arrow 3.[9] Aus Sicht Berlins handelt es sich dabei um den Rückgriff nicht auf ein Produkt von außerhalb der EU, sondern auf eine historisch gewachsene Rüstungsbeziehung.
„Kein Genehmigungsstopp“
Der Historiker Marcel Serr, der zeitweise an der University of Haifa forschte, urteilt über die deutsch-israelische Rüstungskooperation, sie habe stets auf den nationalen Interessen beider Seiten aufgebaut. So hätten schon während der 1950er Jahre „beide Staaten ... gewichtige sicherheitspolitische Interessen“ an der Zusammenarbeit gehabt: „Israel benötigte so schnell wie möglich Waffen, um gegen die arabischen Nachbarstaaten bestehen zu können“; die Bundesrepublik wiederum habe „dringend nach geheimdienstlichen Informationen über sowjetische Waffensysteme“ gesucht, „um sich als Frontstaat im Kalten Krieg militärisch zu wappnen“.[10] Die „fortwährende Rüstungskooperation“ sei zudem ein Motiv dafür, dass Deutschland – „gegen den europäischen Mainstream“ – Israel auch im Kampf gegen die Palästinenser loyal unterstütze. Zwar sind die deutschen Rüstungsexporte nach Israel, die im vergangenen Jahr noch 326,5 Millionen Euro betrugen, seit Jahresbeginn nahezu auf Null gesunken. Doch betont das Wirtschaftsministerium, es gebe „keinen Genehmigungsstopp für Rüstungsexporte nach Israel, und es wird auch keinen Stopp geben“.[11] Dabei geht die eng gewachsene Rüstungszusammenarbeit in wachsendem Maß mit einer deutsch-israelischen Militärkooperation einher, die die bilateralen Beziehungen weiter verdichtet – german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.
Mehr zum Thema: „Im nationalen Interesse Deutschlands“.
[1], [2] Marcel Serr: Zur Geschichte der deutsch-israelischen Rüstungskooperation. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 6/2015. 2. Februar 2015. S. 23-29.
[3] Otfried Nassauer, Christopher Steinmetz: Rüstungskooperation zwischen Deutschland und Israel. Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit. Research Report 2003.1. Berlin, September 2003.
[4] Otfried Nassauer: Besondere Bezieungen. Die deutsch-israelische Rüstungskooperation. bits.de Februar 2010.
[5] Report: German Arms Exports to Israel 2003-2023. Forensis. Berlin, 2 April 2024.
[6], [7], [8] Marcel Serr: Zur Geschichte der deutsch-israelischen Rüstungskooperation. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 6/2015. 2. Februar 2015. S. 23-29.
[9] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (III).
[10] Marcel Serr: Zur Geschichte der deutsch-israelischen Rüstungskooperation. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Heft 6/2015. 2. Februar 2015. S. 23-29.
[11] Krieg in Nahost: Seit März kein Export von Kriegswaffen nach Israel mehr. tagesspiegel.de 19.09.2024.