Rumäniens extreme Rechte
Interview mit Vladimir Borțun über den rasanten Aufstieg der rumänischen extremen Rechten und darüber, was die dominante Stellung auswärtiger Unternehmen, darunter deutsche, in Rumänien mit ihm zu tun hat.
LONDON Über den rasanten Aufstieg der rumänischen extremen Rechten und dessen Zusammenhang mit der dominanten Stellung auswärtiger Unternehmen, darunter deutsche, in Rumänien sprach german-foreign-policy.com mit Vladimir Borțun. Borțun ist Politikwissenschaftler und lehrt am St John’s College der Universität Oxford. Er weist darauf hin, dass das stetige Vordringen auswärtiger Unternehmen in Rumänien zwar die Armut im Land nicht verringert, inzwischen aber wachsende Teile des einheimischen Kleinbürgertüms unter Druck setzt. Dieses steht hinter der extrem rechten Partei AUR (Alianța pentru Unirea Românilor, Allianz für die Vereinigung der Rumänen), deren Präsident George Simion bei der jüngsten Präsidentenwahl mit 46,4 Prozent der Stimmen einem Wahlsieg sehr nahe kam. In Umfragen liegt die AUR zur Zeit mit fast 40 Prozent auf Platz eins – mit großem Abstand vor der sozialdemokratischen PSD, die mit 20 Prozent Platz zwei hält. Im Europaparlament gehört die AUR den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) an – neben den Fratelli d’Italia (FdI) der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der polnischen Partei PiS, deren Kandidat Karol Nawrocki seit dem 6. August als Präsident Polens amtiert.
german-foreign-policy.com: Rumänien hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem wichtigen Investitionsstandort für ausländisches Kapital entwickelt. Auch deutsche Unternehmen haben dort viel investiert. Dennoch ist Rumänien nach wie vor das zweitärmste Land der EU. Woran liegt das?
Vladimir Borțun: Wir müssen bei den Ereignissen in Rumänien Anfang der 1990er Jahre ansetzen. Es gab die übliche Schocktherapie, die in der gesamten Region durchgeführt wurde. In Rumänien war sie vielleicht nicht so brutal wie in Polen oder in Russland, aber sie fand dennoch statt. In den ersten fünf Jahren der Restauration des Kapitalismus kam es zu einer rasanten Deindustrialisierung. Der Anteil der Arbeitsplätze in der Industrie sank von 42 Prozent auf 30 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung. Die Exporte gingen um über 60 Prozent zurück. Etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts, des BIP, ging verloren. Damit war die Grundlage für ein peripheres neoliberales Modell geschaffen, das anschließend auf mehreren wichtigen Säulen aufgebaut wurde. Eine davon war eine prekäre Lage der Arbeiter. Ich möchte nur die Reform des Arbeitsrechts im Jahr 2011 erwähnen, durch die der Arbeiterklasse einige ihrer grundlegendsten Instrumente zum Kampf für ihre Rechte und Löhne genommen wurden. So wurde es beispielsweise sehr schwierig, Gewerkschaften im privaten Sektor zu gründen und Tarifverhandlungen zu führen.
Ein weiterer Pfeiler des neu eingeführten neoliberalen Modells war die Privatisierung der meisten staatlichen Vermögenswerte. Einige der größten Unternehmen Rumäniens wurden privatisiert – und manchmal übrigens von Staatsunternehmen aus anderen Ländern aufgekauft, was selbst nach neoliberalen Maßstäben keine echte Privatisierung war. Rumäniens Öl beispielsweise befindet sich größtenteils im Besitz der staatlichen Ölgesellschaft Kasachstans. Denken Sie an das Argument zugunsten des freien Marktes, dass man privatisieren muss, weil der freie Markt effizienter bei der Führung von Unternehmen und der Verteilung von Ressourcen sei – das ergibt keinen Sinn, wenn man seine Industrie an Staatsunternehmen aus anderen Ländern verkauft. Aber wie auch immer. Um ausländische Investitionen anzuziehen, wurde die Lage der Arbeitskräfte immer prekärer gestaltet. Die Steuern wurden durch die Einführung einer Pauschalsteuer auf Einkommen gesenkt. Heute ist Rumänien eines von nur zwei Ländern in der EU, die keine progressive Besteuerung haben; Ungarn ist das zweite. Die Körperschaftssteuer beträgt 16 Prozent und ist damit eine der niedrigsten in der EU.
german-foreign-policy.com: Die prekäre Lage der rumänischen Bevölkerung hängt also damit zusammen, dass die Regierung in Bukarest versucht, die Interessen ausländischer Unternehmen zu befriedigen?
Vladimir Borțun: In der Tat. All diese Maßnahmen sollten ausländische Direktinvestitionen anziehen. Man spricht viel über die Deindustrialisierung in den 1990er Jahren, aber in Wirklichkeit haben ausländische Direktinvestitionen später zu einer Reindustrialisierung geführt, wenn auch zu einer sehr ungleichmäßigen. Um Ihnen ein Beispiel für die regionalen Ungleichgewichte zu geben: Die Hauptstadtregion Bukarest zog 64 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen an, während die nordöstliche Region – die ärmste Region Rumäniens, die an der Grenze zur Ukraine und zur Republik Moldau liegt und die höchste Auswanderungsrate aufweist – nur 2,6 Prozent anzog. Den anderen Regionen erging es nicht viel besser. Die südwestliche Region – ebenfalls eine sehr arme, überwiegend ländliche Region – zog rund 3 Prozent an. Bukarest ist, gemessen am BIP, eine Insel des Reichtums. Es hat rund 150 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP in der EU; sein BIP ist höher als das von ganz Serbien. Dann gibt es aber auch ehemalige Industriestädte, insbesondere kleinere Städte, die um bestimmte Industriezweige herum entstanden, die heute völlig verfallen sind – wirtschaftlich, sozial, kulturell, demografisch, in jeder Hinsicht. Rumänien hat die größte Diaspora in Europa, etwa fünf Millionen Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 20 Millionen. Ich erinnere mich an Statistiken von vor einigen Jahren; damals war nur die syrische Diaspora größer.
In den vergangenen zehn Jahren gab es ein recht ordentliches BIP-Wachstum – zuletzt zwar nicht besonders gut, aber davor hatten wir eine Phase anhaltenden BIP-Wachstums. Dieses Wachstum ist jedoch an der Spitze akkumuliert worden. Es hat nicht zu einer deutlichen Verbesserung des Lebensstandards der einfachen Bevölkerung geführt. Rund 45 Prozent der rumänischen Bevölkerung leben immer noch in Armut oder am Rande der Armut. Der Mindestlohn liegt trotz wiederholter Erhöhungen in den vergangenen Jahren immer noch unter dem Niveau, das für einen angemessenen Lebensstandard einer Familie notwendig wäre. All dies hat seine Wurzeln in dem neoliberalen Wirtschaftsmodell, das durch die Integration Rumäniens in die EU zementiert wurde – die institutionelle Architektur der EU ist darauf ausgelegt, die Ausbeutung der peripheren Länder durch die Kernstaaten zu erleichtern. Die drei größten Investoren in Rumänien sind Deutschland, Österreich und Frankreich – übrigens genau dieselben Länder in derselben Reihenfolge wie vor 100 Jahren. Das Großkapital aus diesen Ländern hat große Teile der Wirtschaft monopolisiert, insbesondere in der Schwerindustrie und im Automobilbau – Renault hat beispielsweise Rumäniens wichtigstes Automobilwerk, Dacia, übernommen; Ford unterhält ein Werk in der Stadt Craiova.
Es gibt eine große Softwareindustrie; Rumänien ist gemessen am Umsatz einer der größten Softwareexporteure weltweit. In diesem Sektor versucht inländisches Kapital, mit ausländischem Kapital zu konkurrieren. Im Bankwesen ist das anders. Über 60 Prozent des Bankensektors befinden sich in ausländischem Besitz – eine Tatsache, die sehr wichtig ist, da der Bankensektor das Rückgrat des kapitalistischen Systems ist. Dies hat zu einer Situation geführt, in der ausländische Banken in Rumänien, einem der für sie profitabelsten Länder, hohe Gewinne erzielen – aber dann werden all diese Gewinne zurück in ihre Heimatländer transferiert. Sie werden nicht in die rumänische Wirtschaft investiert. Die Kredite an rumänische Unternehmen sind recht ungünstig. Dies ist ein entscheidender Faktor für die Politik der extremen Rechten. Das sieht man auch in Polen, wo ehemalige Kompradoren-Banker – polnische Leiter von Tochtergesellschaften ausländischer Banken, die in Polen tätig sind – nach einigen Jahren erkannt haben, dass ihre Muttergesellschaften kein Interesse daran haben, das Wachstum der polnischen Wirtschaft zu unterstützen. Also rebellierten sie und schlossen sich der rechten Partei PiS an. Ein Beispiel ist Mateusz Morawiecki, der Vorsitzender der Bank Zachodni war, als Banco Santander sie übernahm. Später verließ er die Bank, trat der PiS bei und wurde Ministerpräsident. Ähnlich verhält es sich mit der rumänischen rechtsextremen Partei AUR.
german-foreign-policy.com: Apropos AUR: Was für Leute sind das?
Vladimir Borțun: Um zu verstehen, was die AUR ist und wofür sie steht, ist es sinnvoll, zunächst einen Blick auf die etablierten Parteien in Rumänien zu werfen. Es gibt drei. Die Sozialdemokratische Partei (Partidul Social Democrat, PSD) ist seit 1989 die wichtigste Regierungspartei. Sie ist weitgehend die Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei. Sie ist in der Regel das wichtigste politische Sprachrohr des inländischen Kapitals, insbesondere der Kapitalisten, die mit staatlichen Ressourcen arbeiten und Verträge mit dem Staat unterhalten. Es besteht eine Verbindung zwischen dem bürokratischen Staatsapparat und einigen inländischen Kapitalisten, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf regionaler und lokaler Ebene. Diese einheimischen Kapitalisten bilden das Ökosystem der PSD. Aber die PSD muss auch Wahlen gewinnen, weshalb sie den ärmeren Teilen der Gesellschaft einige Zugeständnisse machen muss. So hat sie den Mindestlohn und die Renten erhöht. Dadurch erhält sie mehr Unterstützung in den ländlichen Gemeinden, bei älteren Menschen und bei ärmeren und weniger gebildeten Menschen.
Die zweite Partei ist die Nationale Liberale Partei (Partidul Național Liberal, PNL), die historische Mitte-Rechts-Partei in Rumänien. Sie ist eine Kombination aus anderen Netzwerken einheimischer Kapitalisten und Bürokraten in den Regionen, in denen sie mit der PSD konkurrieren können. Traditionell ist sie aber auch die Partei des ausländischen Kapitals und der Kompradorenbourgeoisie, also des Teils der Bourgeoisie, der mit ausländischem Kapital verbunden ist. Und dann gibt es noch die dritte Partei, die Partei „Rettet Rumänien” (Uniunea Salvați România, USR), eine liberale, eigentlich sehr neoliberale, wirtschaftlich ziemlich rechtsgerichtete Partei. Sie hat ihre Wurzeln teilweise in Protestbewegungen gegen die Korruption aus den frühen bis mittleren 2010er Jahren. Sie wurde 2016 vom derzeitigen Präsidenten Nicușor Dan gegründet. Sie spricht vor allem die gebildete städtische Mittelschicht an, die größtenteils zur Kompradorenbourgeoisie gehört – Firmenangestellte, die ausländisches Kapital vertreten, die in Unternehmen, Banken und dem gesamten damit verbundenen Ökosystem arbeiten. Die USR ist in Bukarest, in Cluj, der zweitgrößten Stadt Rumäniens, und in Timișoara sehr erfolgreich. Der Bürgermeister von Timișoara ist der derzeitige Präsident der USR, Dominic Fritz, ein deutscher Staatsbürger. Er lernte zufällig in Deutschland eine Rumänin kennen, sie verliebten sich, heirateten, und so kam er nach Timișoara.
german-foreign-policy.com: Die drei großen Parteien vertreten also verschiedene Fraktionen des Kapitals?
Vladimir Borțun: Ja, was zur Folge hat, dass es in Rumänien keine richtige linke Partei gibt. Die PSD hat trotz der Erhöhung des Mindestlohns und der Renten die Prekarisierung der Arbeitskräfte begünstigt; obwohl sie seit Jahren an der Macht ist, hat sie beispielsweise die Flat Tax auf Einkommen nicht angetastet und nie versucht, eine progressive Besteuerung einzuführen. Auch in kulturellen Fragen ist sie sehr konservativ und religiös orthodox – Religion spielt in der rumänischen Zivilgesellschaft und Politik eine große Rolle. Da es keine echte linke Alternative gibt, wurde die Lücke, die durch die Enttäuschung der Menschen über die etablierten Parteien entstanden ist, von der AUR gefüllt. AUR – die Partei wurde 2019 gegründet – steht für „Allianz für die Vereinigung der Rumänen” (Alianța pentru Unirea Românilor). Mit ihrem Namen hat sie von Anfang an direkt die Diaspora angesprochen, in dem Sinne, dass die Rumänen in der Diaspora mit ihrem Heimatland wiedervereint werden sollten, indem die AUR Rumänien zu einem Land macht, in das sie zurückkehren können.
Gleichzeitig verweist der Name der AUR darauf, dass der Parteivorsitzende und einige andere Mitglieder der Parteiführung seit langem für die Wiedervereinigung Rumäniens und Moldawiens eintreten. Dies ist eines ihrer langfristigen Themen, auch wenn sie derzeit nicht viel darüber sprechen. Der Parteivorsitzende George Simion war früher ein Fußball-Ultra, der Fans organisierte, um die Nationalmannschaft zu unterstützen. Er war Mitglied der Fangruppe Honor et Patria, womit er sich einen Namen machte. Später wurde er jedoch für sein Engagement für die Wiedervereinigung mit Moldawien bekannt. Vielen Menschen zufolge tat er dies mit Hilfe einiger Teile der Geheimdienste.
german-foreign-policy.com: Der Geheimdienste?
Vladimir Borțun: Wissen Sie, in Rumänien ist der Deep State im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Staaten überdimensioniert und äußerst mächtig. Der frühere kommunistische Geheimdienstapparat, die Securitate, war sehr stark aufgebläht. Nach 1989 verteilte er sich auf verschiedene neu geschaffene Behörden. In Rumänien gibt es sieben verschiedene Geheimdienste. Es gibt den allgemeinen Rumänischen Geheimdienst, den Auslandsgeheimdienst, die Geheimdienste der Polizei und der Armee; sogar die Präsidialverwaltung hat einen Geheimdienst. Sie erhalten einen höheren Anteil am BIP als in den meisten anderen Ländern. Nur die USA stellen mehr Geld für die Geheimdienste bereit. Die rumänischen Geheimdienste sind politisch gut verankert. Sogar viele Journalisten haben, wie sich herausgestellt hat, verdeckt für sie gearbeitet. Der Einfluss der Geheimdienste ist in Rumänien sehr weit verbreitet.
Einige Leute behaupten, dass die nationalistischeren Teile des Deep State die AUR gegründet oder zu ihrer Gründung beigetragen haben. Ich würde die Gründung der Partei nicht darauf reduzieren, aber es könnte durchaus ein Teil der Geschichte sein. Călin Georgescu, der extrem rechte Präsidentschaftskandidat von Ende 2024, der 2025 von der Wahl ausgeschlossen und durch Simion ersetzt wurde, ist kein Mitglied der AUR, steht der Partei aber nahe – er gilt als Mann der Geheimdienste. Die AUR vertritt eine ziemlich klassische extrem rechte Ideologie, die sehr nationalistisch ist und die Nation in ethnischen, nativistischen Begriffen definiert. Die AUR agitiert gegen Einwanderer, die als billige Arbeitskräfte nach Rumänien kommen, ein Phänomen, das in den vergangenen Jahren zugenommen hat, wobei viele der Einwanderer aus asiatischen Ländern stammen. Sie leben ein sehr prekäres Leben, arbeiten beispielsweise als Bauarbeiter und werden nun von der AUR schikaniert.
german-foreign-policy.com: Die AUR gilt als prorussisch.
Vladimir Borțun: Die AUR unterstützt die Ukraine im Krieg gegen Russland nicht wirklich, das ist wahr, und sie zieht Nutzen daraus, weil der politische Mainstream begeistert davon ist, gemeinsam mit der EU, und einst unter Biden auch mit den USA, gegen Russland zu kämpfen. Die Menschen sind davon abgestoßen – wer möchte schon in einem Krieg sterben? Die AUR nutzt diese Angst aus. Sie ist ebenfalls euroskeptisch, will aber nicht aus der EU austreten. Sie will auch nicht die NATO verlassen; tatsächlich sind ihre Funktionäre große Anhänger der NATO und der Trump-Regierung. Sie wurden als Marionetten Moskaus, als Marionetten Putins bezeichnet, aber sie stehen Trump viel näher und haben gute Verbindungen zur extremen Rechten in den USA. Sie standen Covid sehr skeptisch gegenüber, waren Impfgegner und gewannen während der Pandemie viel Unterstützung. Natürlich kämpfen sie auch gegen LGBT-Rechte; sie bezeichnen diese als Neomarxismus, Kulturmarxismus und haben sogar eine extravagante theoretische Neuerung erfunden: den Sexomarxismus.
Ihre politische Ökonomie ist jedoch interessanter. Im Grunde genommen schlagen sie eine Kombination neoliberaler Maßnahmen vor. Beispielsweise wollen sie, dass Menschen, die Sozialleistungen beziehen – man kann mit den sehr geringen Sozialleistungen in Rumänien kein gutes Leben führen –, die finanzielle Unterstützung durch den Staat verlieren, wenn sie Stellenangebote ablehnen. Die AUR will auch keine progressive Besteuerung; die Partei spricht nicht davon, die Löhne zu erhöhen. Ihre gesamte Wirtschaftsagenda dreht sich um die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), beispielsweise, indem Banken den KMU günstigere Kredite gewähren; zudem sollen bestimmte strategische Schlüsselbranchen wie der Energiesektor staatlich kontrolliert werden – allerdings nicht vollständig renationalisiert, sondern nur zu 51 Prozent staatlich kontrolliert, ähnlich wie Viktor Orbán es in Ungarn gemacht hat. Sie wollen den Landwirten staatliche Subventionen gewähren, sie wollen dem Bausektor Steuersenkungen gewähren, und das ist wichtig, weil dies unmittelbar dem Charakter der Partei entspricht – die AUR ist die Partei des Kleinbürgertums.
german-foreign-policy.com: Gilt das auch für die Parteimitglieder selbst?
Vladimir Borțun: Ich habe mir den Hintergrund der AUR-Parlamentsabgeordneten für die Jahre 2020 bis 2024 angesehen. Dabei habe ich festgestellt, dass 64 Prozent von ihnen in irgendeiner Weise mit inländischem Kapital verbunden sind. Ein Drittel von ihnen sind Eigentümer oder Anteilseigner von KMU, einige besitzen Ackerland, andere sind Vermieter oder arbeiten in Führungspositionen für inländische Kapitalisten. Sie fühlen sich durch Steuern, Vorschriften und Erhöhungen des Mindestlohns, den sie kaum bezahlen können, überlastet; für große Unternehmen ist das einfacher. Sie haben das Gefühl, dass der rumänische Staat unter dem Einfluss ausländischer Unternehmen steht und dass die etablierten Parteien ihnen nicht helfen. Sie haben nicht Unrecht damit; das ist alles wahr. Es ist zum Beispiel auch wahr, dass große Unternehmen ihre Gewinne zu niedrig angeben und sie in Steueroasen wie Zypern verschieben.
Die KMU-Eigentümer, die die AUR unterstützen, sind daher der Meinung, dass sie die Kontrolle über den Staat zurückgewinnen müssen, um ihre Interessen zu verteidigen. Es gibt drei große Sektoren, in denen rumänisches Kapital nach wie vor dominiert: Bauwesen, Immobilien und Gastgewerbe. Dies ist jedoch immer weniger der Fall, da sich die ausländischen Direktinvestitionen insbesondere in den Bereichen Immobilien und Bauwesen in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht haben. Die KMU-Eigentümer haben das Gefühl, dass ausländische Kapitalisten sogar in die Sektoren vordringen, in denen sie noch immer eine Vormachtstellung innehaben. Dabei handelt es sich natürlich nicht um die großen Bauunternehmen und Bauträger, da deren rumänische Besitzer bereits Verbindungen zu den etablierten Parteien haben. Es ist eine aufstrebende mittlere Schicht im Bau-, Immobilien- und Gastgewerbe, die das Gefühl hat, dass sie eine gewisse politische Macht braucht. Einige von ihnen sind wirtschaftlich aufstrebend, aber ihr wirtschaftlicher Aufstieg hat sich noch nicht in politischer Macht niedergeschlagen. Der Politökonom Samuel Rogers, der ein Buch über Orbán geschrieben hat, verwendete einen schönen Ausdruck: Kapitalisten ohne das richtige Kapital. Es sind Kapitalisten, die kein politisches Kapital haben.
german-foreign-policy.com: Und jetzt ist die AUR zu ihrem politischen Instrument geworden?
Vladimir Borțun: Sie nutzen die AUR, um politisches Kapital zu erlangen und ihre Interessen zu wahren. Einige von ihnen bekleiden sogar Führungspositionen, beispielsweise der stellvertretende Vorsitzende der AUR, der mehrere Bauunternehmen besitzt. Landwirte stellen keinen großen Teil der AUR dar, aber die AUR arbeitet mit dem wichtigsten Wirtschaftsverband der Landwirte zusammen, die von Umweltvorschriften und EU-Vorschriften im Allgemeinen stark betroffen sind. Die Landwirte sind verärgert darüber, dass Supermärkte, die meist in ausländischem Besitz sind – in deutschem oder in französischem –, ihre Produkte nicht verwenden, sondern ausländische Produkte nach Rumänien importieren. Eine der Maßnahmen der AUR besteht daher darin, Supermärkte zu zwingen, lokale Produkte aus einem Umkreis von 50 Kilometern zu verwenden. In Rumänien machen Landarbeiter 20 Prozent der Erwerbsbevölkerung aus. Für ein europäisches Land im 21. Jahrhundert ist das enorm. Polen liegt mit 10 Prozent an zweiter Stelle, Frankreich zählt nur 4 Prozent. Die Landwirte sind von dem Krieg in der Ukraine hart getroffen worden, weil die EU die Beschränkungen für ukrainische Agrarprodukte vorübergehend aufgehoben hat. Ungarn und Polen haben einseitige Maßnahmen gegen ukrainische Produkte verhängt, um ihre Landwirte zu schützen. Rumänien hat das nicht getan; die rumänischen Landwirte wurden stark davon getroffen. Die AUR hat angekündigt, dies zu ändern. Im Juni hat die EU die Beschränkungen für Agrarimporte aus der Ukraine wieder eingeführt, sodass dies kein großes Thema mehr ist, aber es war eines.
Schließlich besteht ein Teil des Machtblocks, den die AUR aufzubauen versucht, – ähnlich wie im Fall Polens – aus dem, was ich als desillusionierte Kompradoren bezeichne. Das sind Menschen, die viele Jahre lang ausländischem Kapital gedient haben und dann aus verschiedenen Gründen ihre Illusionen verloren haben. Einige von ihnen haben vielleicht das Gefühl, dass ihre Karrierechancen in ausländischen Kapitalstrukturen begrenzt sind, weil ausländische Unternehmen in Rumänien niemals Rumänen in Führungspositionen beschäftigen. Sie holen immer jemanden aus ihrem Heimatland. Das frustriert die rumänischen Kompradoren ungemein. Also laufen sie zum nationalen bürgerlichen Projekt über, das die AUR vertritt. Andere sind patriotisch und haben das Gefühl, dass ausländisches Kapital Rumänien ausbeutet, anstatt in das Land zu investieren. Die Banken stärken die rumänische Wirtschaft nicht, sie vergeben keine angemessenen Kredite an nationale KMU. Dies ist beispielsweise bei Georgescus Frau Cristela Georgescu der Fall, die eine wichtige Rolle in seiner politischen Karriere spielt. Sie arbeitete als Vizepräsidentin der rumänischen Niederlassung der Citibank, eines US-Finanzgiganten. Nach der Finanzkrise, als die Citibank ihre Aktivitäten in Osteuropa reduzierte, wurde sie entlassen.
Und dann gibt es natürlich auch noch diejenigen, die ganz unten stehen und ebenfalls für die AUR stimmen: prekär Beschäftigte, Selbstständige, Menschen aus der Diaspora – es ist wie eine Protestwahl. Die AUR appelliert an ihren Nationalstolz. Viele von ihnen arbeiten unter schrecklichen Bedingungen im Ausland, verdienen sehr wenig, sind Diskriminierung und Ausgrenzung ausgesetzt – und dann kommt die AUR und sagt ihnen, dass sie „Gold“ seien. AUR ist ein rumänisches Wort und bedeutet „Gold“. „Ihr seid das Gold des Landes“, sagen sie, „und wir wollen das Gold nach Hause holen“. Das spricht viele arme Menschen in der Diaspora emotional an. Politisch hat die AUR diesen Menschen jedoch nicht viel zu bieten.
german-foreign-policy.com: Westliche Medien berichten – wenn sie überhaupt über Rumänien berichten –, dass nach Simions Wahlniederlage und mit der neuen Regierung die Gefahr der extremen Rechten gebannt sei. Haben sie Recht?
Vladimir Borțun: Nein. Die neue Regierung ist im Grunde eine Regierung der nationalen Einheit, die sich aus den drei großen Parteien PSD, PNL und USR zusammensetzt. Rumänien hat nach EU-Maßstäben ein großes Defizit von fast 10 Prozent des BIP. Die Regierung will es reduzieren. Sie führt ein brutales Sparprogramm durch, beginnend mit der Kürzung von Stipendien für Studenten. In Rumänien sind Stipendien für viele Kinder aus armen Familien eine Lebensader; daher war der Angriff auf die Stipendien ein Angriff auf die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Dies löste eine enorme Gegenreaktion in der Bevölkerung aus. Die Regierung ist bereits äußerst unbeliebt. Der neue Präsident Nicușor Dan, der sich gegen Simion durchgesetzt hat, unterstützt die Sparmaßnahmen. Er ist sehr stark rechtsgerichtet – vielleicht politisch nicht so weit rechts wie Simion, aber in wirtschaftlicher Hinsicht ist er dennoch weit rechts angesiedelt. Das ist etwas, worüber wir in unserer Diskussion nachdenken sollten: wie wir den Begriff „weit rechts“ verwenden. Wir sprechen hier von Bereichen wie dem Bildungswesen, die bereits jetzt zu den am stärksten unterfinanzierten in der EU gehören. Wenn man dort noch mehr kürzt, trifft das die Schwächsten.
Die AUR profitiert davon. Die Partei lehnt die Sparmaßnahmen ab. Das ist jedoch nur opportunistische Täuschung. Das eigene Programm der AUR sieht so viele Steuersenkungen zugunsten einheimischer Kapitalisten und Landwirte vor, dass die Partei ebenfalls zu brutalen Sparmaßnahmen greifen müsste. Aber ihre opportunistische Opposition gegen die Regierung bringt ihnen Stimmen ein. Nach ihrer Gründung im Jahr 2019 erzielte die AUR bei den Wahlen 2020 rund 10 Prozent. Im Jahr 2024 hat sie ihr Ergebnis bereits auf fast 20 Prozent verdoppelt. Jetzt liegt sie in Umfragen bei doppelt so viel: bei rund 40 Prozent. Das dürfte einer der schnellsten Aufstiege einer Partei in Europa in jüngster Zeit sein.
german-foreign-policy.com: Was könnte man gegen die extreme Rechte tun?
Vladimir Borțun: Der Aufstieg der extremen Rechten macht die Gründung einer linken Partei in Rumänien dringender denn je. Eine solche Partei könnte auf große Zustimmung stoßen. Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Besteuerung der Reichen, staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, staatlich geförderte Arbeitsplatzschaffung und mehr öffentliche Investitionen in sozialen Wohnungsbau, Gesundheitswesen, Bildung und Infrastruktur befürworten würde. Die Menschen würden eine linke Politik unterstützen. Aber derzeit gibt es keine Partei, die sich tatsächlich dafür einsetzt.
