Einsatzgebiet Nordatlantik

Bundeswehr erhält ersten Seefernaufklärer P-8A Poseidon zum Einsatz gegen russische U-Boote etwa im Nordatlantik – ein US-Modell. Kriegsschiffe und U-Boote für Einsätze dort stammen hingegen aus europäischer Produktion.

BERLIN/LONDON/OSLO (Eigener Bericht) – Die Bundeswehr hat den ersten ihrer neuen Seefernaufklärer vom Typ P-8A Poseidon erhalten. Das Flugzeug dient insbesondere der U-Boot-Jagd; es soll genutzt werden, um die Ostsee und vor allem auch den Nordatlantik zu überwachen und dort russische U-Boote aufzuspüren. Als besonders wichtig gelten Einsätze im Nordatlantik, den alle Einheiten der russischen Nordflotte durchqueren müssen, um von ihren Stützpunkten auf der Halbinsel Kola den Atlantik zu erreichen. Dort könnten sie die Nachschubrouten aus Nordamerika nach Europa attackieren. Die P-8A Poseidon-Maschinen der Bundeswehr werden nicht zuletzt auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt Lossiemouth nahe dem Nordatlantik stationiert. Mit ihnen beschafft die Bundesrepublik ein US-Produkt, das den ursprünglich geplanten deutsch-französischen Seefernaufklärer MAWS ersetzt – ein Rückschlag für die Schaffung einer eigenständigen europäischen Rüstungsindustrie. Die U-Boote und die Kriegsschiffe jedoch, die im Nordatlantik eingesetzt werden sollen, werden in enger europäischer Zusammenarbeit hergestellt – von diversen Rüstungsunternehmen aus Großbritannien, Norwegen und Deutschland.

Deutsch-französische Probleme

Mit der im Juni 2021 gefällten Entscheidung, den Seefernaufklärer P-8A Poseidon zu beschaffen, wandte sich die Bundesregierung von einem deutsch-französischen Projekt ab: dem gemeinsam geplanten Seefernaufklärer Maritime Airborne Warfare System (MAWS). Dieses war eins von sechs überwiegend technologisch ehrgeizigen Projekten, die Berlin und Paris im Jahr 2017 zu entwickeln bzw. herzustellen beschlossen hatten, auch um damit den EU-Staaten eigene, von den USA unabhängige High-Tech-Waffensysteme zur Verfügung zu stellen. Die anderen fünf waren ein Kampfjet der sechsten Generation (Future Combat Air System, FCAS), der aktuell vor dem Scheitern steht [1], ein Kampfpanzer ebenfalls der modernsten Generation (Main Ground Combat System, MGCS), dessen Entwicklung schon jetzt sehr verzögert ist [2], sowie die Eurodrohne, die aufgrund ihrer drastischen Verspätung laut Einschätzung von Beobachtern bei ihrer Indienststellung in womöglich sechs Jahren voraussichtlich komplett veraltet sein wird. Aus der gemeinsam geplanten Modernisierung des Eurocopter Tiger, eines Kampfhubschraubers, ist die Bundesrepublik schon im Frühjahr 2023 ausgestiegen. Über die geplante Entwicklung eines gemeinsamen Artilleriesystems wurde 2023 berichtet, von ihr sei bereits „seit Jahren ... nichts zu vernehmen“.[3]

US-Waffen: schnell verfügbar

Der Beschluss, anstelle des deutsch-französischen Seefernaufklärers die US-amerikanische, auf einer Boeing 737 basierende P-8A Poseidon zu erwerben, wurde unter anderem damit begründet, die Entwicklung des deutsch-französischen Seefernaufklärers verschlinge zu viel Zeit; man könne nicht endlos warten. Mit ähnlichen Argumentationen hat Berlin auch die Beschaffung weiterer US-Rüstungsgüter legitimiert, deren Kauf dem oft beschworenen Ziel zuwiderläuft, Europas Streitkräfte mit eigenständigen Waffensystemen auszustatten. Die Entscheidung etwa, die alternden Tornado-Jets für die „nukleare Teilhabe“ durch 35 US-Jets vom Typ F-35 zu ersetzen, wurde damit begründet, die F-35 sei bereits für US-Kernwaffen zertifiziert; plane man den Eurofighter dafür ein, müsse er erst den Zertifikationsprozess durchlaufen, was viel Zeit koste und den USA darüber hinaus Industriegeheimnisse auf dem Silbertablett serviere.[4] Für den Aufbau eines umfassenden Flugabwehrschilds (European Sky Shield Initiative, ESSI) hatte Berlin das US-System Patriot anstelle des französisch-italienischen SAMP/T ausgewählt: Das Patriot-System sei bereits in Einsätzen erprobt, hieß es.[5] Ein Kurswechsel ist jedoch möglich: Dänemark hat jetzt entschieden, statt Patriot die SAMP/T-Flugabwehr zu beschaffen. Als Ursache gilt der Streit um Grönland.[6]

Anrainer unter sich

Bei der Beschaffung der P-8A Poseidon kamen weitere Erwägungen hinzu. Als eines der wohl wichtigsten Einsatzgebiete der Seefernaufklärer der Bundeswehr gilt der Nordatlantik, das Seegebiet also, das russische U-Boote auf dem Weg von ihrer Heimatbasis auf der Halbinsel Kola in den Atlantik durchqueren müssen, sollen sie dort intervenieren, um die Nachschubrouten aus Nordamerika nach Europa zu attackieren. Dort wird die Deutsche Marine jedoch nicht allein tätig sein, sondern in enger Kooperation mit den Anrainerstaaten Norwegen und Großbritannien. Diese aber setzen – wie auch der Nordatlantikanrainer Kanada – auf die P-8A Poseidon. Die gemeinsame Beschaffung des Flugzeugs erleichtert gemeinsame Operationen. Seit Januar 2024 halten die fünf nordatlantischen P-8A-Nutzer – USA, Kanada, Großbritannien, Norwegen und Deutschland – regelmäßig Symposien unter dem Titel Joint Exploration and Discussion of Initiatives (JEDI) ab, auf denen jeweils die gemeinsame Nutzung des Seefernaufklärers diskutiert und weiterentwickelt wird. Im Januar 2025 geschah dies zum ersten Mal auf dem britischen Luftwaffenstützpunkt Lossiemouth nordöstlich der schottischen Stadt Inverness. Dort unterhalten die US-Streitkräfte, die Lossiemouth regelmäßig nutzen, eigens eine Naval Support Facility.[7]

Deutsch-britische Zusammenarbeit

In Lossiemouth sollen darüber hinaus laut dem Trinity House Agreement, einer im Oktober 2024 geschlossenen Vereinbarung zur deutsch-britischen Militär- und Rüstungskooperation, „regelmäßig“ deutsche Flugzeuge des Modells P-8A Poseidon stationiert werden, um an der kontinuierlichen Überwachung des Nordatlantiks durch NATO-Staaten teilzunehmen. Die deutsch-britische Kooperation geht dabei über die Stationierung sowie etwaige gemeinsame Einsätze der P-8A Poseidon-Maschinen der beiden Länder hinaus. So sollen die deutschen Seefernaufklärer nicht nur mit US-Torpedos vom Typ MK 54 ausgestattet werden, um gegebenenfalls russische U-Boote abschießen zu können. Geplant ist auch, für sie britische Sting Ray-Torpedos zu beschaffen; diese werden von dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems hergestellt. Mit BAE Systems arbeitet unter anderem der deutsche Rheinmetall-Konzern in wachsendem Umfang zusammen.[8] Die geplante Ausweitung der deutsch-britischen Rüstungskooperation umfasst darüber hinaus eine gemeinsame Entwicklung von Drohnen, von „Combat Cloud“-Fähigkeiten und nicht zuletzt von Marschflugkörpern, die eine Reichweite von über 2.000 Kilometern haben und damit faktisch fähig sein sollen, Moskau zu erreichen.[9]

Das Marinedreieck

Die deutsch-britische Rüstungskooperation ist dabei nur eine Seite eines Dreiecks, das auch eine enge deutsch-norwegische bzw. britisch-norwegische Zusammenarbeit umfasst. So baut ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Kiel und in Wismar U-Boote des Typs 212CD (Common Design), die entsprechend gemeinsamen Interessen der Streitkräfte beider Länder entwickelt wurden und von Berlin wie auch von Oslo erworben werden.[10] Das soll nicht nur Einsparungen bringen, sondern auch gemeinsame Operationen begünstigen. Das Projekt ist eingebunden in eine breitere Kooperation, die sich beispielsweise auch auf die Fertigung von Seezielflugkörpern, auf die Wartung der Boote sowie auf die Ausbildung der Soldaten erstreckt. Fregatten wiederum hat Norwegen in Großbritannien bestellt. Ende August wurde bekannt, dass Oslo fünf britische Type 26-Fregatten erwirbt, die in den Werften von BAE Systems in Glasgow gefertigt werden. Der Kaufpreis beläuft sich auf rund zehn Milliarden Pfund. Interesse an dem Auftrag hatten auch Werften aus Deutschland, Frankreich und den USA geäußert.[11] Dass der Zuschlag nun nicht an Deutschland, sondern an Großbritannien ging, ist Beobachtern zufolge vor allem darauf zurückzuführen, dass Norwegen nicht von einem einzelnen Staat abhängig werden will. Die Entscheidung gegen die USA dagegen gilt als Entscheidung für eine innereuropäische Rüstungskooperation.

 

[1] S. dazu Entscheidung erneut verschoben.

[2] S. dazu Panzer für Europa (II).

[3] S. dazu Schlechte Signale.

[4] S. dazu Festtage für die Rüstungsindustrie (II).

[5] S. dazu Deutsch-französische Konflikte.

[6] Laura Kayali: Denmark chooses Franco-Italian air defense system over US patriots. politico.eu 12.09.2025.

[7] International Poseidon operators convene at RAF Lossiemouth. raf.mod.uk 30.01.2025.

[8] S. dazu Europas Mächtedreieck.

[9] Nina Werkhäuser: Berlin und London entwickeln gemeinsame Langstreckenwaffe. dw.com 16.05.2025.

[10] S. dazu Im Hohen Norden gegen Russland.

[11] Kaya Burgess: Defence industry buoyed by £10bn warship export deal with Norway. thetimes.com 31.08.2025.


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