Auf der Suche nach Plan B
Der deutsch-französische Streit um die Aufteilung der Projektanteile am Kampfjet der sechsten Generation (FCAS) ist weiter ungelöst. Deutschland erwägt Trennung von Frankreich und Kooperation mit Schweden oder Großbritannien.
BERLIN/PARIS (Eigener Bericht) – Vor dem Zusammentreffen von Bundeskanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am morgigen Freitag in Saarbrücken bleibt der Streit um den deutsch-französischen Kampfjet FCAS (Future Combat Air System) ungelöst. Die Entwicklung des Kampfjets der sechsten Generation, der im Verbund mit Drohnen und Drohnenschwärmen eingesetzt werden soll, ist seit dem Start des Projekts im Jahr 2017 von Auseinandersetzungen um die Anteile an Entwicklung und Produktion geprägt. Während es in Deutschland heißt, der französische Dassault-Konzern verlange übermäßige Anteile, fordert Dassault mit Blick auf die Verspätung des Projekts eine klare Führungsrolle. Eine Lösung, die die aktuelle Blockade aufheben könnte, ist nicht in Sicht. In Deutschland ist eine Trennung von Dassault und ein Wechsel zu einer Kooperation mit Schweden oder Großbritannien im Gespräch; Konzerne in beiden Ländern verfügen über das technologische Know-how zur Entwicklung des Kampfjets, das Deutschland fehlt. Frankreich verfügt ebenfalls über das Know-how und könnte das FCAS im Alleingang entwickeln, wäre aber auf finanzstarke Kooperationspartner angewiesen – etwa aus Indien oder aus der arabischen Welt.
„Eine unbefriedigende Situation“
Die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich beim Bau eines Kampfjets der sechsten Generation verschärfen sich. Die deutsche Seite wirft dem französischen Konzern Dassault Aviation vor, eine übermäßige Rolle in dem Programm einzufordern, und besteht darauf, das Projekt gemäß dem unterzeichneten Vertrag durchzuführen, der allen Vertragsparteien gleiche Anteile garantiert.[1] Zugleich nehmen die Verzögerungen bei dem Vorhaben zu; Experten gehen inzwischen davon aus, dass es nicht 2040, sondern erst 2050 fertiggestellt sein könnte – ein Zeitpunkt, zu dem die FCAS-Technologie schon überholt sein dürfte.[2] Bundeskanzler Friedrich Merz besprach das Thema im vergangenen Monat bei seinem Besuch in Madrid mit Pedro Sánchez, dem Ministerpräsidenten Spaniens, das 2019 dem Projekt beigetreten ist; er erklärte anschließend, er und Sánchez teilten „die Einschätzung ..., dass die aktuelle Situation unbefriedigend ist“.[3] Deutschland ziehe es in Betracht, die Arbeit am FCAS mit Spanien, aber ohne Frankreich und stattdessen eventuell mit Schweden oder Großbritannien fortzusetzen, heißt es. Zuletzt hatten Merz und der französische Präsident Emmanuel Macron die Entscheidung über den Fortgang des Projekts auf das Jahresende verschoben.[4] Beide könnten am morgigen Freitag in Saarbrücken die Gespräche fortsetzen, wo sie anlässlich der Feierlichkeiten zum deutschen Nationalfeiertag zusammentreffen.[5] Darüber hinaus soll in diesem Monat in Berlin auch ein Treffen der Verteidigungsminister Spaniens, Frankreichs und Deutschlands stattfinden.
Mangel an Geld
Frankreich seinerseits nennt Behauptungen, Dassault fordere einen Anteil von 80 Prozent an dem Projekt für sich ein, stark übertrieben [6], verlangt jedoch eine klare Führungsrolle und argumentiert, die derzeitige Architektur des FCAS, die auf einer gemeinsamen Führungsstruktur aller drei beteiligten Staaten aufbaut, lähme die Beschlussfähigkeit und sei für die Verzögerungen verantwortlich[7]. Dassault-Chef Éric Trappier verweist auf den Kampfdrohnen-Demonstrator nEUROn, der in den 2000er Jahren in Zusammenarbeit mit Italien, Schweden, Spanien, Griechenland und der Schweiz, aber unter der Leitung von Dassault entwickelt und 2012 erfolgreich fertiggestellt wurde.[8] Auf die Berichte, denen zufolge Deutschland einen möglichen Ersatz für Frankreich prüft, reagiert Trappier scharf: „Die Deutschen können sich beschweren, aber hier wissen wir, wie das geht”; wenn „die Deutschen“ es „allein machen wollen, sollen sie es tun”.[9] Der Dassault-Konzern, der bereits den Rafale-Kampfjet allein entwickelt hat, verfügt laut Auffassung von Experten in der Tat über das erforderliche technologische Know-how. Massive Zweifel gibt es aber an Frankreichs finanzieller Leistungsfähigkeit. Zu hören ist, Frankreich denke mit Blick auf die Finanzierung über eine Zusammenarbeit mit Indien oder arabischen Staaten nach; ihnen liefert Dassault bereits Rafale-Kampfjets.[10]
Mangel an Know-how
Während Frankreich mit den nötigen Finanzen zu kämpfen hat, mangelt es Deutschland laut Einschätzung von Experten an technologischem Know-how für einen Alleingang in der Entwicklung des FCAS. Als möglicher Kooperationspartner gilt der schwedische Luftfahrt- und Rüstungskonzern Saab [11], der unter anderem den Kampfjet Gripen entwickelt hat; der Gripen wird – wie die Rafale oder der deutsch-britisch-italienische Eurofighter – der vierten bzw. 4,5-ten Kampfjetgeneration zugerechnet und ist unter anderem nach Südafrika, Brasilien, und Thailand exportiert worden.[12] Thailand setzte die Jets erst vor kurzem in seinem bewaffneten Konflikt mit Kambodscha ein.[13] Jüngsten Berichten zufolge soll eine nicht näher bezeichnete Anzahl von Gripen-Jets, die vollständig NATO-kompatibel sind, an die Ukraine geliefert werden. Nun deutet ein aktueller Bericht darauf hin, Deutschland bereite sich darauf vor, Saab und dem US-Konzern Northrop Grumman einen Auftrag im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro zur Modernisierung seiner Eurofighter-Flotte zu erteilen.[14] Es heißt, ein modernisierter Eurofighter könne – ähnlich dem FCAS-Konzept – im Verbund mit einer großen Anzahl von Drohnen operieren. Dies wurde gemeldet, als der schwedische Verteidigungsminister Pål Jonson am 23. September in Berlin mit seinem deutschen Amtskollegen Boris Pistorius zusammentraf.[15]
Rüstungspartner Schweden
Deutschland und Schweden verfügen über eine gute Grundlage für eine umfassendere Rüstungskooperation. So produzieren Airbus, MBDA und Saab Dynamics radargelenkte Meteor-Raketen für den Gripen.[16] Im März dieses Jahres erhielt Saab einen Auftrag im Wert von 159 Millionen US-Dollar aus Deutschland zur Modernisierung und Wartung der Taurus-Marschflugkörper bis 2035; der Taurus wurde bereits gemeinsam von Saab und MBDA entwickelt.[17] Die Gripen-Jets sollen nun ebenfalls mit den neuesten Versionen des Taurus ausgerüstet werden.[18] Außerdem sorgte das in München ansässige Rüstungs-Startup Helsing, das sich auf Drohnen und Künstliche Intelligenz (KI) spezialisiert hat [19], im Juni für Schlagzeilen, als sein KI-Agent Centaur erfolgreich in ein Gripen-Kampfflugzeug integriert wurde.[20] Bei über der Ostsee durchgeführten Tests gelang es dem KI-Agenten, in einem simulierten Luftkampf die partielle Kontrolle über das Flugzeug zu übernehmen. Die Rüstungskooperation wird gefördert durch eine 2017 unterzeichnete Innovationspartnerschaft, die 2024 – nach Schwedens NATO-Beitritt – explizit um eine engere Zusammenarbeit in puncto Rüstung und Militär erweitert wurde.
Noch nicht festgelegt
In Bezug auf das FCAS legt sich Schweden jedoch noch nicht fest – auch, um alle Fähigkeiten zur Herstellung eigener Kampfflugzeuge zu behalten. Verteidigungsminister Jonson erklärte während seines Besuchs in Berlin, Stockholm werde „irgendwann zwischen 2028 und 2030” eine Entscheidung über seinen künftigen Weg im Bereich Kampfflugzeuge treffen, betonte jedoch, die jüngste Variante des Gripen, der Gripen E, werde „mindestens bis 2050” im Einsatz bleiben.[21]
Option Großbritannien
Neben einer Kooperation mit Schweden zieht Deutschland auch einen Beitritt zum von Großbritannien geleiteten FCAS-Konkurrenzprojekt Tempest (Global Combat Air Programme, GCAP) in Betracht. Großbritannien, das das GCAP zusammen mit Italien und Japan entwickelt, ist Berichten zufolge grundsätzlich offen für einen Beitritt Deutschlands zu dem Projekt.[22] Da dieses sich jedoch bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, bis 2027 über einen Demonstrator verfügen und bis 2035 einsatzbereit sein soll, ist der Spielraum für eine Vergabe von Anteilen an Deutschland recht begrenzt. Experten argumentieren, an der Entwicklung würden sich deutsche Unternehmen kaum noch beteiligen können; denkbar sei lediglich ein Beitritt als Produktionspartner mit einer lokalen Montage. Dies gelte umso mehr, als bereits die aktuelle Dreierkooperation zwischen Großbritannien, Italien und Japan mit allerlei Komplikationen verbunden sei, weil sich die drei Länder politisch, ökonomisch und kulturell stark voneinander unterschieden.[23]
Neue Chancen
Andererseits sind auch Stimmen zu hören, die für eine Öffnung des GCAP für verbündete Staaten wie Deutschland plädieren. Zunächst einmal ist das Tempest-Programm extrem teuer; die Kosten werden auf etwa 300 Millionen US-Dollar pro Stück geschätzt. Zusätzliche Käufer könnten die Stückkosten senken. Die Möglichkeit der Bundesrepublik, per Verschuldung immense Finanzmittel aufzubringen, sowie der hohe Bedarf der Bundeswehr sprächen dafür, Deutschland eine größere Rolle einzuräumen, heißt es. Darüber hinaus könne die Öffnung des Tempest-Programms für weitere Teilnehmer den kontinentaleuropäischen Konkurrenten FCAS weiter schwächen und dem Tempest einen größeren Markt erschließen. Nicht zuletzt biete eine Einbindung zusätzlicher Staaten die Chance, die technologische und industrielle Abhängigkeit von den USA zu verringern.[24]
[1] Chris Lunday, Laura Kayali: Germany explores how to replace France in Europe’s flagship fighter jet project. politico.eu 18.09.2025.
[2] Markus Fasse, Jens Koenen, Frank Specht: Europas FCAS-Projekt von Airbus und Dassault droht zu scheitern. handelsblatt.com 25.09.2025.
[3] Chris Lunday, Laura Kayali: Germany explores how to replace France in Europe’s flagship fighter jet project. politico.eu 18.09.2025.
[4] S. dazu Noch immer kein Take-off.
[5] Emmanuel Macron kommt zum Tag der Deutschen Einheit. saarland.de 06.09.2025.
[6] Pierre Sauveton: SCAF : l’Allemagne agite ses plans B avec la Suède et le Royaume-Uni. opexnews.fr 19.09.2025.
[7] Pierre Sauveton: « Nous croyons à la méthode Rafale » : Eric Trappier defend un pilotage du SCAF à la française. opexnews.fr 23.09.2025.
[8] Introduction. dassault-aviation.com.
[9] Europäisches Kampfjet-Projekt droht zu scheitern. spiegel.de 24.09.2025.
[10] Michaela Wiegel, Niklas Záboji: Gibt es noch Hoffnung für Europas größtes Rüstungsprojekt? faz.net 30.09.2025.
[11] Chris Lunday, Laura Kayali: Germany explores how to replace France in Europe’s flagship fighter jet project. politico.eu 18.09.2025.
[12] Markus Fasse, Jens Koenen, Frank Specht: Europas FCAS-Projekt von Airbus und Dassault droht zu scheitern. handelsblatt.com 25.09.2025.
[13] Illia Kabachynskyi: Why the Expected Swedish Gripen Fighters Are More Than Just Another Jet for Ukraine. united24media.com 29.09.2025.
[14] Michael Nienaber: Germany to Award Saab, Northrop €1.2 Billion Fighter Update. bloomberg.com 22.09.2025.
[15] Jonas Olsson: Germany and Sweden not discussing FCAS partnership, say defense ministers. breakingdefense.com 24.09.2025.
[16] Rojoef Manuel: MBDA to Supply Meteor Missiles for Swedish Gripen Figher Jets. thedefensepost.com 19.03.2025.
[17] Saab wins $159 million cruise missile maintenance order from Germany. reuters.com 03.03.2025.
[18] Sweden to integrate Taurus cruise missiles on Gripen fighter jets. defence-industry.eu 03.03.2025.
[19] S. dazu „Resilience Factories”.
[20] Clement Charpentreau: Saab, Northrop to receive €1.2B Eurofighter EW contract from Germany: Bloomberg. aerotime.aero 22.09.2025.
[21] Chris Lunday: Sweden keeps jet fighter options open amid Franco-German tensions. politico.eu 24.09.2025.
[22] Matt Oliver: Britain prepared to let Germany join next-gen fighter jet programme. telegraph.co.uk 27.09.2025.
[23], [24] Alec Smith: Should GCAP be opened to other countries? britainsworld.org.uk 11.07.2025.
