Nationaler Schulterschluss

Angesichts der eskalierenden globalen Einflusskämpfe fordern führende Personen in Staat und Wirtschaft die deutschen Unternehmer auf, zum Ausbau der militärischen Kapazitäten der Bundesrepublik beizutragen.

BERLIN (Eigener Bericht) – Die Bundesregierung setzt beim Ausbau der militärischen Reserve auf eine intensivere Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft. Wie Bundeskanzler Friedrich Merz auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) erklärte, „müssen und sollten“ Unternehmer ihren Angestellten Tätigkeiten als Reservisten ermöglichen – auch wenn das „Konsequenzen für Ihre Unternehmen“ habe. Die Bundeswehr baut seit Jahren gezielt sogenannte Partnerschaften der Reserve mit deutschen Firmen auf. Auf Reservisten setzt Berlin im Kontext der Vorbereitungen auf einen möglichen Krieg gegen Russland vor allem beim sogenannten Heimatschutz; Berufssoldaten würden im Kriegsfall überwiegend an die Ostfront verlegt. Schon jetzt bindet die Bundeswehr Reservisten in Großmanöver ein. Eine Vielzahl von Unternehmen hat in Sachen Heimatschutz bereits Kooperationsverträge mit der Armee unterzeichnet – unter anderem Lufthansa und Amazon, aber auch mittelständische Betriebe und die Bundesagentur für Arbeit. Der BDI fordert in Sachen Aufrüstung einen engen Schulterschluss zwischen Staat und Wirtschaft, der weit über eine Vereinfachung des Reservistendienstes hinausgeht.

Appell an die Industrie

Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte Ende Juni auf dem „Tag der Industrie“, der internationalen Zukunftskonferenz des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), an, die Bundesregierung werde die deutschen Unternehmer für allerlei Aufgaben „in Anspruch nehmen“. Dies gilt laut Merz nicht zuletzt für die Aufrüstungspolitik. In Vorbereitung auf einen möglichen Krieg gegen Russland strebt die Bundesregierung den Aufbau einer umfassenden militärischen Reserve an – militärisch ausgebildete ehemalige Soldaten oder auch „Ungediente“ nach einer Grundausbildung im Freiwilligen Wehrdienst, die in Friedenszeiten in der privaten Wirtschaft arbeiten und von der Armee nur bei Bedarf zum militärischen Dienst einberufen werden. Arbeitgeber „müssen und sollten“ bereit sein, die Reservisten in ihrer Belegschaft „auch mal für eine Woche oder zwei Wochen“ für Reserveübungen in den Streitkräften freizustellen, appellierte Merz an die Industriellen; die „Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte“ sei „ohne Ihre Unterstützung“ nicht zu erreichen. Im Gegenzug versprach der Kanzler Steuersenkungen und Bürokratieabbau. Für die Zeiträume der militärischen Übungen übernimmt der Staat die Lohnkosten.[1]

Heimatschutzkräfte

Reservisten wurden schon im vergangenen Jahr unter anderem in das Manöver Quadriga 2024 eingebunden, das in Militärkreisen als erster großer Testlauf des sogenannten Operationsplans Deutschland gilt – und damit zugleich als erste bundesweite Übung der sogenannten Heimatschutzkräfte.[2] Reservisten hatten in der Kriegsübung die Aufgabe, den Marsch von NATO-Truppen auf ihrem Weg von Nordamerika oder Westeuropa über Deutschland nach Osteuropa zu ermöglichen. Nach eigenen Angaben wird die Bundeswehr im Kriegsfall den Hauptteil ihrer Truppen an die Ostfront verlegen und setzt deshalb im Inland vor allem auf die Heimatschutzkräfte, die hauptsächlich aus Reservisten bestehen und nur wenige aktive Soldaten umfassen. Um den „unmittelbaren personellen Aufwuchs, die Einsatzbereitschaft und die Durchhaltefähigkeit“ der Bundeswehr zu ermöglichen, sollen die Streitkräfte allerdings nicht nur dort, sondern „im gesamten Aufgabenspektrum durch die Reserve verstärkt“ werden, heißt es dazu in den Verteidigungspolitischen Richtlinien, einem sicherheitspolitischen Grundsatzdokument.[3]

Zivil-militärisches Bindeglied

Wie Kanzler Merz auf dem „Tag der Industrie“ erläuterte, liege das „entscheidende Problem“ beim Aufwuchs der Streitkräfte nicht in den finanziellen Mitteln, sondern darin, „qualifiziertes Personal“ zu finden. Eine große Reserve soll doppelt Abhilfe schaffen: Einerseits entlastet sie die regulären Streitkräfte personell; andererseits ist sie gleichzeitig ein Netzwerk der Bundeswehr in der Privatwirtschaft, vom dem sich die Militärs Erfolge beim Rekrutieren neuer qualifizierter Soldaten erhoffen. „Heimatschutz“ sei „nicht nur Aufgabe der Bundeswehr“, sondern „der gesamten Gesellschaft“, hatte der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck im März beim Aufstellungsappell der Heimatschutzdivision geäußert. Die Reservisten im Heimatschutz – verankert in Armee und ziviler Wirtschaft zugleich – seien das „Bindeglied zwischen militärischem Schutz und ziviler Widerstandsfähigkeit“.[4]

Partner der Reserve

Seit 2016 verleihen das Bundesministerium der Verteidigung und der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr den sogenannten Arbeitgeberpreis „Partner der Reserve“ an Unternehmen, die sich am Aufbau der Reserve beteiligen – meist durch Anwerbung und Freistellung ihres Personals für den Dienst im Heimatschutz. Zu den jüngsten Preisträgern zählen Amazon und Airbus, mehrere mittelständische Unternehmen und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft.[5] Die Landesärztekammer Hessen ist seit vergangenem Jahr [6], die Agentur für Arbeit Wiesbaden seit April dieses Jahres offizieller Partner der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium und die Bundesagentur für Arbeit hatten bereits im November 2024 eine „Grundsatzvereinbarung zur Stärkung der militärischen Personalgewinnung“ unterzeichnet.[7] Seit Anfang Juni zählt auch die Lufthansa Group zu den Partnern der Reserve. Personalvorstand Michael Niggemann betonte, ihm und seinen Kollegen sei es ein „ ein besonderes Anliegen, unsere Mitarbeitenden für die Bedeutung des Heimatschutzes zu sensibilisieren“.[8] Wieviele Unternehmen bereits solche Kooperationsverträge mit der Bundeswehr abgeschlossen haben, ist öffentlich nicht bekannt. Für die Bundeswehr sind die Reservisten nicht zuletzt eine Bereicherung an vielseitiger fachlicher Expertise.

Gesamtverteidigung

Noch über die Kooperation bezüglich der Reserve hinaus geht die Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft, die der BDI unter dem Schlagwort „Gesamtverteidigung“ fordert. Die Industrie liefere „ die Hardware und die Software für die Wehrhaftigkeit Europas“, „den Panzerstahl und das Chip-Design“, äußerte BDI-Präsident Peter Leibinger auf dem „Tag der Industrie“. Sie könne aber mehr tun als „nur einfach … Fabriken auslasten“. Die Unternehmer sollten „beim Wiederaufbau der Bundeswehr“ eine „aktive gestalterische Rolle“ übernehmen. Leibinger verlangte von den deutschen Industriellen, den Erfolg der Aufrüstung wenn nötig auch über ihren „individuellen Maximalgewinn“ zu stellen.[9] Im Juni hatte der BDI ein Positionspapier veröffentlicht, in dem er die Bundesregierung auffordert, „ein kohärentes Konzept für eine leistungsfähige zivil-militärische Gesamtverteidigung“ zu entwickeln. Angesichts globaler „geopolitischer und wirtschaftlicher Umbrüche“ sollten die „Fähigkeiten des gesamten industriellen Ökosystems“ der Bundesrepublik „stärker genutzt“ werden, um schnellstmöglich eine „dauerhaft hohe Einsatzbereitschaft“ der Bundeswehr zu gewährleisten. Der BDI fordert vom deutschen Staat dazu einen „engen Schulterschluss mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft“. Der Aufbau von „militärischer Stärke allein [!]“ reiche nicht aus; Sicherheitspolitik und Industriepolitik müssten daher konsequent zusammengedacht werden.[10] Deutschland benötige einen „gesellschaftlichen Konsens“ gegen „innere und äußere Bedrohungen“; die Trennung von von Krieg und Frieden sei „veraltet“.[11]

 

[1] Schnelle Entscheidungen für eine starke Industrie. bundesregierung.de 23.06.2025.
[2] S. dazu Ein halbes Jahr Aufmarschmanöver.
[3] Verteidigungspolitische Richtlinien 2023. Bonn, November 2023. S. dazu „Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime.
[4] Festrede zum Appell der Heimatschutzdivision. joachim-gauck.de 14.03.2025.
[5] Preisverleihung „Partner der Reserve“. bmvg.de 10.09.2024.
[6] Partnerschaft für den Heimatschutz. laekh.de 22.05.2024.
[7] BMVg und Bundesagentur für Arbeit: Gemeinsam für eine starke Bundeswehr. bmvg.de 06.11.2024.
[8] Die Bundeswehr und die Lufthansa Group vereinbaren Partnerschaft beim Heimatschutz. lufthansagroup.com 04.06.2025.
[9] BDI-Präsident Peter Leibinger: „Neue Zeiten – neue Haltung“. bdi.eu 23.06.2025.
[10] Gesamtverteidigung stärken. bdi.eu 23.06.2025.
[11] Gemeinsam sicher. bdi.eu 12.03.2025.

 


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