„Zutaten für einen gescheiterten Staat“

Der Südsudan, dessen Abspaltung vom Sudan ein Vorzeigeprojekt der Berliner Afrikapolitik war, droht in einem zweiten Bürgerkrieg zu versinken. Deutschland hatte die Abspaltung aus geostrategischen Gründen forciert.

BERLIN/JUBA (Eigener Bericht) – Ein einstiges Vorzeigeprojekt der Berliner Afrikapolitik, der mit deutscher Hilfe vom Sudan abgespaltene Südsudan, droht zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in einem Bürgerkrieg zu versinken. Nach einer blutigen Eskalation zwischen den Sprachgruppen der Dinka und der Nuer im März kam es am Wochenende zu einem Angriff mit Kampfhubschraubern auf eine Nuer-Stadt; mindestens sieben Menschen kamen dabei zu Tode. Die Täter seien womöglich Dinka-Soldaten gewesen, heißt es; eine Eskalation der Kämpfe zwischen den beiden Sprachgruppen wird befürchtet. Berlin und Washington hatten die Abspaltung des Südsudan vom Sudan, die im Jahr 2011 erfolgte, schon seit Mitte der 1990er Jahre vorangetrieben. Hintergrund war der Versuch, den arabisch dominierten Sudan zu schwächen – in einer Zeit, in der die transatlantischen Mächte sich bemühten, die arabische Welt so weit wie möglich auf prowestlichen Kurs zu trimmen und dem Westen gegenüber nicht loyale Regierungen zu stürzen. Berlin stützte die Abspaltung des Südsudans, obwohl Insider und Experten vor einer erneuten Eskalation der Spannungen zwischen Dinka, Nuer und anderen Sprachgruppen warnten. Die Warnungen haben sich bewahrheitet.

Aus geostrategischen Gründen

Die Abspaltung des Südsudans vom Sudan war seit Mitte der 1990er Jahre gezielt von den Vereinigten Staaten sowie der Bundesrepublik vorangetrieben worden. Ihr Motiv bestand in geostrategischen Zielen: Es ging darum, in der arabischen Welt prowestliche Kräfte an die Macht zu bringen und Regierungen welcher Orientierung auch immer, die dem Westen gegenüber nicht loyal waren, zu stürzen oder sie doch wenigstens zu schwächen. Prominente Beispiele waren der Sturz der Regierung von Saddam Hussein im Irak im Jahr 2003 durch einen US-Angriffskrieg oder die Bestrebungen, die Regierung von Bashar al Assad in Syrien per Unterstützung von Aufständischen im Bürgerkrieg ab 2011 aus dem Amt zu bringen. Im Sudan wiederum wählten Washington und Berlin den Weg, die Abspaltung des Südsudans zu fördern. Für dessen Sezession kämpfte die Sudan People’s Liberation Movement/Army (SPLM/A) schon seit dem Jahr 1983. Für Khartum ging es beim Versuch, dies zu verhindern, nicht nur um seine territoriale Integrität, sondern auch um seine Haupteinnahmequelle: Im Südsudan befanden sich gut drei Viertel der sudanesischen Erdölvorräte. Dem Land drohten mit der Abspaltung herbe geostrategische wie auch ökonomische Verluste.

Instrumente der Außenpolitik

Entsprechend ließ sich beobachten, wie die Bundesrepublik die verschiedensten Instrumente ihrer Außenpolitik einsetzte, um die SPLM/A respektive deren Kampf um Eigenstaatlichkeit zu unterstützen. Vorarbeiten leistete schon ab dem Jahr 1998 das Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht: Es bemühte sich unter anderem um die Ausarbeitung einer potenziellen südsudanesischen Verfassung – viele Jahre, bevor das Land wirklich eigenständig wurde.[1] Sofort nach der Einigung auf ein Friedensabkommen im Jahr 2005 nahm die Bundesregierung die Entwicklungshilfe für den Südsudan auf. Im Jahr 2007 leitete die bundeseigene Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein auf zehn Jahre angelegtes Programm zur Unterstützung des Staatsaufbaus im Südsudan ein.[2] Auch die Durchführung des Sezessionsreferendums Anfang 2011 und die formale Erklärung der Unabhängigkeit am 9. Juli 2011 wurden durch massiven politischen Druck aus Berlin und aus Washington abgesichert. Hinzu kamen Bestrebungen, die Erdölquellen im Südsudan per Eisenbahnverbindung an Kenia anzubinden, um den Abtransport des Öls unabhängig vom Sudan zu ermöglichen (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Dies scheiterte aber letztlich.

Konflikte zwischen Sprachgruppen

Mit Blick auf die entschlossene Unterstützung Berlins für die Abspaltung des Südsudans hatten Insider und Beobachter immer wieder vor gravierenden Konsequenzen des Vorhabens gewarnt. Hintergrund waren die Geschichte und die Entwicklung der südlichen Regionen im Sudan. Die britische Kolonialmacht (1899 bis 1956) hatte das Gebiet lange Zeit strikt vom Norden abgeschottet und so seine wirtschaftliche und politische Entwicklung gehemmt. Dies hatte zur Folge, dass im Südsudan tradierte soziokulturelle Strukturen stark blieben – nach Sprachen (rund 60) gegliederte Bevölkerungsgruppen sowie tribale Organisationen. Die stärkste Sprachgruppe, die Dinka, stellen heute rund 40 Prozent der Bevölkerung, die Nuer – die zweitgrößte Sprachgruppe – stellen rund 20 Prozent. Konflikte zwischen den Dinka, den Nuer sowie weiteren Sprachgruppen oder Clans begleiteten die gesamte Geschichte des heutigen Südsudans. Noch im zweiten Unabhängigkeitskrieg, der von 1983 bis 2005 geführt wurde, kam es immer wieder zu schweren Kämpfen zwischen südsudanesischen Milizen – bis hin zu Massakern.[4] Diverse Beobachter gingen kurz vor der Abspaltung des Südsudans davon aus, den Kämpfen zwischen südsudanesischen Milizen seien mehr Menschen zum Opfer gefallen als den Kämpfen zwischen diesen und den Truppen des Sudans.

„Wie in Somalia“

Entsprechend berichteten etwa Mitarbeiter von Hilfsorganisationen im Jahr 2010 nicht nur, die Kräfte, die in der südsudanesischen Hauptstadt Juba an der Macht seien, seien „zutiefst antidemokratisch“ eingestellt.[5] Der ehemalige SPLM-Aktivist Lam Akol warnte im Hinblick auf die innere Zersplitterung des Südsudans nach Sprachgruppen und Clans: „Das wird enden wie in Somalia“.[6] Seine Warnung brachte Akol ein Verbot jeder politischen Betätigung in den von der SPLM kontrollierten Gebieten ein. In Berlin erklärte noch Anfang Juli 2011 – unmittelbar vor der Abspaltung des Gebiets – der Direktor des Global Public Policy Institute (GPPI), Thorsten Benner, im Südsudan sei „keine funktionierende Verwaltung, Polizei, Justiz, Bildungs- oder Gesundheitssystem“ vorhanden. Stattdessen sei das Land „voller Waffen und noch nicht demobilisierter Kämpfer“.[7] „Wenig“ vereine „die ethnischen Gruppen, die den Südsudan ausmachen“. Allein im ersten Halbjahr 2011 habe es im Südsudan bei inneren Kämpfen mehr Todesopfer gegeben „als in der Krisenregion Darfur“. „Alle Zutaten für einen gescheiterten Staat ... sind im Südsudan vorhanden“, hielt Benner fest; der vor seiner Gründung stehende Staat drohe „zum Sicherheitsrisiko ... für die eigene Bevölkerung“ zu werden.

Neue Kämpfe

Die Warnungen waren begründet. Bereits Ende 2013, keine zweieinhalb Jahre nach der Staatsgründung, versank der Südsudan in einem mörderischen Bürgerkrieg, in dem unter anderem Dinka, Nuer und andere Sprachgruppen und Clans gegeneinander kämpften. Den Kämpfen und Massakern, darunter Massenmorde an Hunderten Angehörigen feindlicher Sprachgruppen, fielen bis zum Ende des Bürgerkriegs 2018 nach gängiger Schätzung rund 400.000 Menschen zum Opfer. Die Lage blieb auch in den folgenden Jahren prekär. Seit Anfang März die Nuer-Miliz „White Army“ die Stadt Nasir im Nordosten des Landes und eine dort gelegene Kaserne eroberte und dabei zahlreiche Dinka-Soldaten tötete, werden Warnungen vor einem zweiten südsudanesischen Bürgerkrieg laut. Diese verschärfen sich, seit Ende März Präsident Salva Kiir, ein Dinka, den Vizepräsidenten Riek Machar, einen Nuer, in Hausarrest nehmen ließ; Kiir und Machar waren bereits zentrale Kontrahenten im ersten südsudanesischen Bürgerkrieg. Am Samstag kam es zu einem Angriff auf die Nuer-Stadt Fangak, bei dem mindestens sieben Menschen getötet und ein Krankenhaus der Hilfsorganisation Médecins sans frontières (MSF) zerstört wurden.[8] Die Angreifer seien womöglich Dinka-Soldaten gewesen, heißt es.

Kein Interesse mehr

Berlin, das die Abspaltung des Südsudans trotz einschlägiger Warnungen vorangetrieben hatte, zieht sich jetzt womöglich endgültig aus dem Land zurück. Das Auswärtige Amt hat bereits am 22. März mitgeteilt, die deutsche Botschaft in Juba werde geschlossen: „Nach Jahren des fragilen Friedens steht Südsudan erneut am Rand des Bürgerkriegs“, teilte Außenministerin Annalena Baerbock mit. Präsident Kiir und sein Vizepräsident Machar stürzten „das Land in eine Gewaltspirale“.[9] Die Verantwortung, dies zu verhindern, liege bei ihnen. Das einstige Ziel der Abspaltung, Khartums Schwächung, ist erreicht; Berlin hat daher das Interesse am Südsudan verloren.

 

[1], [2] S. dazu Das Wirken der Geostrategen.

[3] S. dazu Die Bahn zur Unabhängigkeit und Die Bahn zur Unabhängigkeit (II).

[4] Toward a Viable Future for South Sudan. crisisgroup.org 10.02.2021.

[5] Marc Engelhardt: „Im Südsudan herrscht der Super-GAU“. derstandard.at 04.02.2010.

[6] Thomas Scheen: Sudanischer Kuhhandel. Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.02.2010.

[7] Thorsten Brenner: Scheitert der Südsudan als Staat? www.tagesspiegel.de 08.07.2011.

[8] Mohammed Tawfeeq: Hospital bombing kills 7 amid fears South Sudan is returning to civil war. edition.cnn.com 03.05.2025.

[9] Deutschland schließt Botschaft im Südsudan. tagesschau.de 22.03.2025.


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