Die Konzentration der europäischen Rüstungsindustrie
Manager großer Rüstungskonzerne planten vergangene Woche auf einem Geheimtreffen in Hamburg eine Konzentration der europäischen Rüstungsbranche. Europas Wehretats könnten um 280 Milliarden US-Dollar wachsen.
BERLIN/LONDON (Eigener Bericht) – Führende Repräsentanten der Rüstungsindustrie der europäischen NATO-Staaten arbeiten an einer Konzentration der Branche und einer massiven Ausweitung der Rüstungsproduktion über europäische Grenzen hinweg. Dies geht aus einem Bericht über ein Treffen namentlich nicht genannter europäischer Rüstungsmanager hervor, das in der vergangenen Woche auf dem britischen Flugzeugträger HMS Queen Elizabeth abgehalten wurde, während dieser – bewacht von einer sogenannten Heimatschutzkompanie – im Hamburger Hafen ankerte. Das Geheimtreffen knüpfte an das Trinity House Agreement an, ein deutsch-britisches Militär- und Rüstungsabkommen, das im Oktober in London unterzeichnet wurde und unter anderem gemeinsame deutsch-britische Rüstungsprojekte vorsieht. In dem Bericht über das Hamburger Treffen heißt es, man gehe davon aus, dass die für 2024 in den europäischen Militärhaushalten eingeplanten Ausgaben von 436 Milliarden US-Dollar schon bald gesteigert würden; komme es zu der anvisierten Einigung auf eine Aufstockung der Wehretats auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung, dann stünden in Kürze gut 280 Milliarden US-Dollar zusätzlich zur Verfügung. Ansätze zur Verschmelzung der EU-Rüstungsindustrie sind bereits vorhanden.
Geheimtreffen im Hamburger Hafen
Offizieller Anlass für den Aufenthalt des britischen Flugzeugträgers HMS Queen Elizabeth von Montag bis Samstag vergangener Woche im Hamburger Hafen war, wie die Bundeswehr mitteilt, das Bestreben, die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Marine und der Royal Navy zu vertiefen.[1] Die beiden Teilstreitkräfte sind demnach „seit Jahrzehnten“ durch „eine ausgesprochen gute und substanzielle Kooperation und vertrauensvolle Partnerschaft“ miteinander verbunden; ihre „Schiffe, Boote und Flieger“ arbeiten, erläutert die Bundeswehr, nicht nur in Manövern, sondern auch „in Einsätzen ... mit unterschiedlichen Aufträgen“ seit langer Zeit „hervorragend“ zusammen. Neben der praktischen Kooperation besteht auch eine solche in der Offiziersausbildung, bei der die Marineschule Mürwik in Flensburg sowie das Britannia Royal Naval College in Dartmouth zusammenwirken. Der Aufenthalt der HMS Queen Elizabeth galt nicht nur der Herausbildung engerer Beziehungen der Marinen; er bot darüber hinaus der 1. Heimatschutzkompanie Hamburg – einer von drei solchen Kompanien, die mittlerweile in Hamburg existieren – die Gelegenheit, ihr Spezialgebiet, die „Sicherung von Hafenanlagen“, zu trainieren.[2] Die deutschen Häfen haben im Kriegsfall eine ganz besondere Bedeutung, weil über sie Truppen sowie Waffen aus Nordamerika an eine potenzielle neue Ostfront herangeführt würden.[3]
Das Trinity House Agreement
Hintergrund für den Ausbau der deutsch-britischen Marinekooperation und damit auch für den Aufenthalt der HMS Queen Elizabeth in Hamburg ist das Trinity House Agreement, das Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein britischer Amtskollege John Healey am 23. Oktober in London unterzeichneten. Es sieht einen Ausbau der deutsch-britischen Militär- und Rüstungszusammenarbeit allgemein vor und hat die Lancaster House Treaties zum Vorbild, die im November 2010 von Großbritannien und Frankreich geschlossen wurden.[4] Ihren ersten Praxistest durchliefen die Lancaster House Treaties bereits ab März 2011 im gemeinsam von London und Paris geführten Libyen-Krieg. Das Trinity House Agreement sieht unter anderem gemeinsame Manöver an der NATO-Ostflanke vor und nimmt die Verlegung deutscher Seefernaufklärer vom Typ Boeing P-8A Poseidon auf die Air Base RAF Lossiemouth in den Blick, die erste dauerhafte Verlegung deutscher Militärflugzeuge in das Vereinigte Königreich. Von Lossiemouth aus werden sie sich an der Überwachung des Nordatlantiks beteiligen.[5] Darüber hinaus ist im Trinity House Agreement eine intensivere Rüstungskooperation festgelegt. Sie umfasst unter anderem eine gemeinsame Entwicklung von Mittelstreckenwaffen, die Herstellung von Drohnen und den Bau eines Rheinmetall-Artillerierohrwerks in Großbritannien.
280 Milliarden mehr für die Rüstung
Auf der Grundlage der im Trinity House Agreement vorgesehenen Intensivierung der deutsch-britischen Rüstungskooperation soll nun die Zusammenarbeit von Rüstungsfirmen aus ganz Europa gestärkt werden. Dies war, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, Gegenstand eines Treffens von Repräsentanten großer Rüstungsunternehmen in der vergangenen Woche auf der HMS Queen Elizabeth, während diese im Hamburger Hafen lag. Im Kern sei es darum gegangen, heißt es in dem Bericht, die europäischen NATO-Staaten für kriegerisch eskalierende Großkonflikte fit zu machen; dazu müssten nicht zuletzt „schneller und besser Waffen produziert werden“ können, dies vor allem auch in erheblich größerer Stückzahl als bisher.[6] Nach Angaben des International Institute for Strategic Studies (IISS) mit Hauptsitz in London und Nebensitzen unter anderem in Berlin haben die Militärhaushalte der Staaten Europas in diesem Jahr bereits ein Volumen von 436 Milliarden US-Dollar erreicht; es stehen also schon heute gewaltige Mittel zur Aufrüstung zur Verfügung. Man gehe allerdings davon aus, dass man auf Druck des künftigen US-Präsidenten Donald Trump die europäischen Rüstungsetats auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung aufstocken müsse, hieß es auf dem Hamburger Treffen. Damit kämen pro Jahr 280 Milliarden US-Dollar hinzu. Wo die Mittel eingespart werden sollen, wurde nicht thematisiert.
Europas Rüstungsgiganten
Welche Rüstungskonzerne an der Zusammenkunft auf der HMS Queen Elizabeth beteiligt waren, ist nicht bekannt. Nur einzelne Unternehmen wurden im Kontext des Treffens zitiert. Dabei handelt es sich unter anderem um den britischen Rüstungsgiganten BAE Systems, um den deutsch-französischen Airbus-Konzern, um den italienischen Waffenriesen Leonardo sowie um Rolls Royce, einen bedeutenden Zulieferer unter anderem für den Eurofighter.[7] Auch konkrete Projekte jenseits derjenigen, die bereits im Trinity House Agreement genannt wurden, wurden – sofern sie besprochen wurden – nicht genannt. Verwiesen wurde nur auf die beiden Vorhaben für Kampjets der neuesten, sechsten Generation: das FCAS (Future Combat Air System), das unter deutsch-französischer Führung von Unternehmen in der EU entwickelt wird, und den Tempest, ein britisch-italienisches Konkurrenzprojekt, an dem inzwischen auch Japan beteiligt ist.[8] Man wolle sicherstellen, dass beide Jets kompatibel seien und zur gemeinsamen Kriegsführung genutzt werden könnten, hieß es. Allerdings gelten beide Vorhaben als durchaus problembehaftet. Während das FCAS frühestens in den 2040er Jahren einsatzreif ist, wird in Großbritannien immer wieder diskutiert, ob man am Tempest mit Blick auf dessen immense Kosten wirklich festhalten solle.[9] Ob sich Möglichkeiten zur FCAS-Tempest-Kooperation ergeben, ist ungewiss.
Alleingang möglich
Dies auch deshalb, weil über eine Beteiligung der großen französischen Rüstungskonzerne wie Dassault oder Thales nichts bekannt ist. Dassault hat zuweilen durchblicken lassen, man könne das FCAS auch alleine bauen – ohne deutsche Beteiligung.[10] Für die Schaffung einer einheitlichen Rüstungsbranche der europäischen NATO-Staaten ist dies nicht hilfreich; ohne eine Einbindung der französischen Waffenschmieden könnte von einem geschlossenen Vorgehen der europäischen Rüstungsindustrie keine Rede sein.
„Europäisches Systemhaus“ Rheinmetall
Allerdings konnte die Hamburger Zusammenkunft auch an Kooperationsbemühungen jenseits der deutsch-britischen Rüstungszusammenarbeit anknüpfen. So hat erst kürzlich der deutsche Rheinmetall-Konzern bekanntgegeben, er gründe ein Joint Venture mit dem italienischen Rüstungsgiganten Leonardo, um gemeinsam neue Kampfpanzer zu entwickeln und herzustellen.[11] Rheinmetall arbeitet schon jetzt mit der britischen Rüstungsbranche zusammen, um den Radpanzer Boxer weiterzuentwickeln und damit das britische Heer auszustatten. Der Konzern sucht zudem die europäische Herstellung von Artilleriemunition, die für künftige Kriege besondere Bedeutung hat, bei sich zu bündeln und hat angekündigt, als „europäisches Systemhaus“ zu den US-Branchenriesen Lockheed Martin, Raytheon und Northrop Grumman aufschließen zu wollen.[12] Ansätze für eine Verschmelzung der Rüstungsindustrien der europäischen NATO-Staaten sind bereits vorhanden, und zumindest zum Teil stehen sie unter deutscher Führung – siehe Rheinmetall.
[1] Britischer Flugzeugträger zu Besuch im Hamburger Hafen. bundeswehr.de 21.11.2024.
[2] Flugzeugträger wird von 1. Heimatschutzkompanie Hamburg gesichert. soldat-und-technik.de 19.11.2024.
[3] S. dazu Auf Krieg einstellen (II).
[4] S. dazu Die neue Entente Cordiale.
[5] UK-Germany Trinity House Agreement on Defence. gov.uk 23.10.2024.
S. auch Das Mittelstreckenwaffenbündnis.
[6], [7] Susanne Preuß: Gemeinsam für den Ernstfall. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.11.2024.
[8] S. dazu Streit um das Luftkampfsystem.
[9] Steven Swinford, Larisa Brown: Rachel Reeves to boost defence spending by £3bn. thetimes.com 29.10.2024.
[10] S. dazu Streit um das Luftkampfsystem.
[11] S. dazu Die rüstungsindustrielle Basis der transatlantischen Militärallianz.
[12] S. dazu „Worldwide Player“ Rheinmetall.