Unter Generalverdacht
Das neue „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung stößt auf Widerstand: Nach heftigen Protesten von Menschenrechtsorganisationen räumen Politiker der Ampelkoalition ein, es sei „rechtlich fragwürdig“ und müsse geändert werden.
BERLIN (Eigener Bericht) – Das neue „Sicherheitspaket“ der Bundesregierung ist „rechtlich fragwürdig“, seine Verabschiedung durch den Bundestag muss verschoben werden. Dies berichten mehrere Bundestagsabgeordnete der Berliner Ampelkoalition. Die geplanten Gesetzesänderungen umfassen erweiterte polizeiliche Befugnisse wie verdachtsunabhängige Personenkontrollen an „kriminalitätsbelasteten“ Orten, Verschärfungen im Waffenrecht und den Einsatz KI-gestützter Überwachungstechnologie. Zudem sollen Rechte von Flüchtlingen und Asylbewerbern noch weiter eingeschränkt werden; Asylbewerbern droht der Verlust des Schutzstatus‘ und der Sozialleistungen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder die Gesellschaft für Freiheitsrechte warnen vor einem massiven Abbau von Bürgerrechten und sehen Deutschland auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Insbesondere warnen sie vor Racial Profiling und vor der Verletzung des Datenschutzes wie auch allgemeiner Menschenrechte. Die Ausweitung der Überwachung geschieht zu einer Zeit, zu der in Deutschland oppositionelle Strömungen immer stärker von Repression betroffen sind, insbesondere propalästinensische Aktivisten.
Das Überwachungspaket
Nach dem Terroranschlag vom 23. August in Solingen, bei dem drei Menschen erstochen und fünf verletzt wurden, hatte die Bundesregierung den Blick sofort auf die Herkunft des Täters gerichtet, eines 26-jährigen syrischen Geflüchteten, und darauf, dass er eigentlich nach Bulgarien hatte abgeschoben werden sollen. Kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sollte das Aufgreifen von Themen, mit denen gewöhnlich die AfD um Stimmen wirbt, die Partei schwächen. Wie die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, gelang dies nicht; stattdessen trug Berlin dazu bei, Gedankengut der AfD salonreif zu machen. Zwei eilig von der Ampelkoalition eingebrachte Gesetzesentwürfe – zusammen werden sie als „Sicherheitspaket“ bezeichnet – wurden am 12. September erstmals im Bundestag beraten; die endgültige Abstimmung steht allerdings noch aus. Teile des Pakets müssen dann abschließend vom Bundesrat abgesegnet werden.[1] Kritiker übten unmittelbar nach der Vorlage des Gesetzespakets scharfe Kritik; der digitalpolitische Verein D64 etwa, nach Eigenangaben der mitgliederstärkste seiner Art in der Bundesrepublik, sprach von einem „Überwachungspaket“, das „der Massenüberwachung Tür und Tor“ öffne.[2] Unionspolitiker hingegen forderten eine weitere Verschärfung; die CSU-Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz etwa kritisierte die einberufene Expertenanhörung mit den Worten: „Jetzt soll das Paket offenbar noch weichgespült werden“.[3]
„Mit den Menschenrechten unvereinbar“
Vorgesehen sind in dem „Sicherheitspaket“ unter anderem erweiterte Befugnisse für die Polizei, so etwa verdachtsunabhängige Personenkontrollen an Orten, die als „kriminalitätsbelastet“ bezeichnet werden.[4] Das Waffenrecht soll verschärft werden, zum Beispiel durch ein absolutes Messerverbot bei öffentlichen Veranstaltungen und durch ein ein Verbot des „Umgang[s]“ mit „gefährlichen Springmessern“. Neue Technologien wie Datenanalysen, die sich auf Künstliche Intelligenz (KI) stützen, sollen genutzt werden, um – so beschreibt es die Bundesregierung – terroristische Netzwerke und organisierte Kriminalität effektiver zu bekämpfen.[5] So soll es gestattet werden, per biometrischem Abgleich Fotos in Polizeidatenbanken, aber auch im Internet zu durchsuchen – dies nicht nur, um Verdächtige, sondern auch, um Zeugen aufzufinden. Der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Christian Mihr, erklärt dazu, künftig würden staatliche Stellen „all unsere Fotos oder Tonaufnahmen im Netz“ mit Stimm- und Gesichtserkennungstechnologie durchsuchen dürfen – ob es sich dabei um „Urlaubs-Schnappschüsse, Fotos vom Kindergeburtstag oder ein selbst aufgenommenes Lied“ handle. Dies verletze „die Privatsphäre der gesamten Bevölkerung“.[6] Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, urteilt, dies sei „mit den Menschenrechten unvereinbar und außerdem europarechtswidrig“. Die am 1. August in Kraft getretene KI-Verordnung der EU verbiete das sogenannte „Scraping“ explizit.[7]
Mit Härte gegen Geflüchtete
Das „Sicherheitspaket“ umfasst auch harte Maßnahmen gegen Geflüchtete und Asylbewerber. Schon jetzt sind an allen deutschen Landgrenzen wieder Grenzkontrollen eingeführt worden, und es finden – wie es heißt, „mit der notwendigen Härte“ [8] – verstärkt Zurückweisungen statt; nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser wurden seit Oktober 2023 rund 30.000 Personen zurückgewiesen. Wird das „Sicherheitspaket“ in seiner aktuellen Form verabschiedet, könnte Asylbewerbern außerdem der Schutzstatus entzogen werden, wenn sie ohne Notwendigkeit in ihr Herkunftsland reisen. Ausreisepflichtige sollen ihre Sozialleistungen verlieren, wenn der für die Rücknahme zuständige EU-Staat einer Abschiebung zugestimmt hat. Eine „Dublin-Task Force“ von Bund und Ländern bekommt die Aufgabe, die Abschiebungen zu beschleunigen. Wenn Asylsuchende keinen gültigen Pass vorweisen können, sollen zunächst ihre Mobiltelefone durchsucht, dann ihre biometrischen Daten mit dem Internet abgeglichen werden, um eine Identitätsfeststellung zu treffen.[9] Kritiker wie etwa die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) warnen, Menschen, die marginalisierten Gruppen angehören, könnten per Racial Profiling jederzeit anlasslos von der Polizei kontrolliert und durchsucht werden – mit „hoher Gefahr des gezielten Missbrauchs und diskriminierenden Einsatzes der Kontrollbefugnisse“.[10]
Kein „Thema“, sondern ein Problem
Zu Racial Profiling liegen inzwischen Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vor. Eins bezieht sich auf einen Vorfall, bei dem Mohamed Wa Baile am Züricher Hauptbahnhof als Einziger in einem weißen Umfeld kontrolliert wurde. Auslöser war offenkundig seine Hautfarbe. Am 20. Februar 2024 urteilte der EGMR zu Bailes Gunsten: Er stufte Racial Profiling als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK) in Verbindung mit dem Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK) ein.[11] Opfer von Racial Profiling war auch der kürzlich verstorbene Aktivist Bitlap Basu geworden, der 2022 vor dem EGMR Recht bekam. Er habe, so berichten es Mitaktivisten vom Zusammenschluss ReachOut, über Racial Profiling „immer gesagt: Für die einen ist es ein Thema, für die anderen ein Problem“.[12]
Polizeigewalt, Demonstrationsverbote
Die neuen Repressionsinstrumente, die das „Sicherheitspaket“ umfasst, sollen zu einem Zeitpunkt eingeführt werden, zu dem die politisch motivierte Repression in Deutschland immer weiter um sich greift. Dies betrifft aktuell – vor allem seit dem 7. Oktober 2023 – ganz besonders propalästinensische Aktivisten und Personen, die sich für Geflüchtete einsetzen bzw. gegen den parallel zur Eskalation der Kriege im Gazastreifen und im Libanon erstarkenden antiarabischen Rassismus kämpfen. Mit der Repression gegen sie hat sich in einem ausführlichen Bericht vom Juli dieses Jahres Amnesty International befasst. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert darin die deutschen Behörden für den Einsatz repressiver Maßnahmen gegen friedliche Demonstranten, die zuweilen unter Berufung auf die „nationale Sicherheit“ festgenommen werden. Zudem prangert Amnesty exzessive Polizeigewalt und präventive Demonstrationsverbote an, die auf diskriminierenden Stereotypen gegen arabische und muslimische Gemeinschaften basieren, sowie den Einsatz von Vorbeugegewahrsam, der gegen internationale Menschenrechtsstandards verstößt (german-foreign-policy.com berichtete [13]).
Rechtlich fragwürdig
Mittlerweile regt sich auch in Teilen der Ampelkoalition Kritik an dem „Sicherheitspaket“. So konstatiert etwa die AG Migration in der SPD, die neuen Gesetze seien „rechtlich fragwürdig“; sie stellten „eine ganze Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht“.[14] Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jan Dieren urteilt: „Viele der diskutierten Maßnahmen sind nicht nur überzogen, sie schaffen auch einen Zusammenhang, wo keiner ist. Statt über islamistischen Terror zu reden, verschärfen wir jetzt irrational die Migrationspolitik.“ Das sei „fatal für die gesellschaftliche Debatte“ und spiele „nur einen in die Hände: den ganz Rechten“.[15] Das sei „eine sehr gefährliche Spirale“. Die ursprünglich für Ende September vorgesehene endgültige Verabschiedung des „Sicherheitspakets“ im Bundestag ist nun verschoben worden; die Proteste gegen das Vorhaben dauern an.
[1] Union: „Vernünftige Maßnahmen“ – aber zu wenig. zdf.de 12.09.2024.
[2] Sicherheitspaket schränkt Grundrechte ein. d-64.org 11.09.2024.
[3] Ampel hat zum „Sicherheitspaket“ noch Abstimmungsbedarf. faz.net 24.09.2024.
[4] Markus Reuter: Ampel will anlasslose Personenkontrollen und Durchsuchungen fast überall. netzpolitik.org 23.09.2024.
[5] Mehr Sicherheit für Deutschland. bundesregierung.de 10.09.2024.
[6] Zivilgesellschaft kritisiert Sicherheitspaket. ccc.de 11.09.2024.
[7] Deutschland: Geplantes Sicherheitspaket untergräbt Menschenrechte. amnesty.de 23.09.2024.
[8] Mehrere Vorlagen zur inneren Sicherheit überwiesen. bundestag.de 12.09.2024.
[9] Kabinett beschließt Gesetzentwürfe zur Umsetzung der Sicherheitspakets. bmi.bund.de 09.09.2024.
[10] Markus Reuter: Ampel will anlasslose Personenkontrollen und Durchsuchungen fast überall. netzpolitik.org 23.09.2024.
[11] Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Racial Profiling verstößt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. antidiskriminierungsstelle.de 25.04.2024.
[12] Ampel hat zum „Sicherheitspaket“ noch Abstimmungsbedarf. faz.net 24.09.2024.
[13] S. dazu „Stigmatisiert, kriminalisiert, angegriffen“.
[14], [15] Konrad Litschko: Mit Sicherheit gibt’s Ärger. taz.de 26.09.2024.