Auf dem Weg in den Krieg

Merz schließt Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine nicht aus. Berlin und EU beharren auf Truppenstationierung dort; deutsch-ukrainische Rüstungskooperation wird forciert. Rutte: „Krieg wie zur Zeit der Großeltern oder Urgroßeltern“.

BERLIN/KIEW (Eigener Bericht) – Vor dem heute beginnenden EU-Gipfel mit Schwerpunkt Ukraine schließt Bundeskanzler Friedrich Merz die Stationierung deutscher Soldaten in dem Land nach dem Abschluss eines Waffenstillstands nicht aus. Über Details zur Entsendung von Truppen in die Ukraine werde erst nach einer Einstellung der Kampfhandlungen gesprochen, erklärte Merz am gestrigen Mittwoch im Bundestag. Auf einen Einsatz europäischer Militärs hatten sich die Staats- und Regierungschefs von zehn europäischen Staaten am Montag geeinigt – in klarer Kenntnis der Tatsache, dass Russland, militärisch auf dem Weg zum Sieg, dies nicht akzeptiert und angekündigt hat, Soldaten aus NATO-Staaten in der Ukraine als Angriffsziel zu behandeln. Auch der deutsche Plan, die bereits seit vier Jahren laufende enge Kooperation der deutschen und der ukrainischen Rüstungsindustrie mächtig auszubauen, läuft zentralen russischen Forderungen zuwider und ist geeignet, einen Friedensschluss in der Ukraine weiter zu verzögern. Gleichzeitig schwillt die propagandistische Kriegsvorbereitung auch in Frankreich und Großbritannien an. NATO-Generalsekretär Mark Rutte fordert, auf „Zerstörung, Millionen von Vertriebenen und extreme Verluste“ vorbereitet zu sein.

Die Sicherheitsgarantien der EU

Die Erklärung zur vorgeblichen Beendigung des Ukraine-Krieges, auf die Bundeskanzler Friedrich Merz, acht weitere Staats- und Regierungschefs der EU, der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie NATO-Generalsekretär Mark Rutte sich am Montagabend in Berlin geeinigt haben, sieht eine Reihe an Maßnahmen vor, die die militärische und die rüstungsindustrielle Kooperation der EU-Staaten mit der Ukraine in der Zeit nach einem etwaigen Waffenstillstand betreffen. Dies gilt zunächst für die sogenannten Sicherheitsgarantien. Offiziell heißt es, sie seien „robust“ und „weitgehend“ und sähen „eine rechtsverbindliche Verpflichtung“ vor, im Fall eines künftigen Angriffs auf die Ukraine gewisse „Maßnahmen“ zur Wiederherstellung des Friedens zu ergreifen.[1] Konkret sieht die Erklärung Schritte vor, die militärische Operationen umfassen „können“. Erlaubt ist es den Staaten Europas freilich auch, sich auf geheimdienstliche oder logistische Unterstützung oder auch ein nicht genauer präzisiertes „wirtschaftliches und diplomatisches“ Vorgehen zu beschränken. Resümierend heißt es dazu: „Das entspräche dem aktuellen Grad der westlichen Unterstützung für Kiew.“[2] Um eine klassische militärische Beistandsgarantie handelt es sich demnach nicht.

Truppen in die Ukraine

Zeigt dies, dass Berlin und die EU nicht bereit sind, sich auf einen Krieg einzulassen, wenn sie die Rahmenbedingungen nicht unter Kontrolle haben, so zeigen andere Elemente der Erklärung, dass sie zu einem Krieg aus eigener Initiative jederzeit bereit sind. Demnach planen sie eine „multinationale Ukraine-Truppe“ unter europäischer Führung, die offiziell zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte aufgestellt werden soll. Sie soll den Luftraum und die Gewässer der Ukraine im Schwarzen Meer sichern und auch auf ukrainischem Territorium stationiert werden. Eine Eingliederung von Militärs aus europäischen NATO-Staaten in ukrainische Einheiten ist im Gespräch.[3] Russland lehnt jegliche Stationierung von Einheiten der NATO oder der EU in der Ukraine grundsätzlich ab und betrachtet etwaige Truppen dort als potenzielles Angriffsziel. Dies ist allgemein bekannt, hält die EU-Staaten aber nicht davon ab, den Schritt dennoch zu beschließen. Wird er umgesetzt, läuft dies auf einen Kriegseintritt der europäischen NATO-Staaten hinaus. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp (CDU), verlangt: „Deutschland muss sich personell und materiell an einer multinationalen Mission beteiligen.“ Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Matthias Miersch, erklärt: „Wir schließen nichts aus.“[4]

Im Krieg mit Russland

Bundeskanzler Merz hat das deutsch-europäische Vorhaben, Soldaten auf ukrainischem Territorium zu stationieren, inzwischen konkretisiert. Man werde, erklärte Merz am Dienstag in einem Fernsehinterview, „zum Beispiel eine entmilitarisierte Zone zwischen den Kriegsparteien absichern“.[5] Unter Umständen müsse man dabei „auch russische Übergriffe und Angriffe erwidern“. Dann stünden die Staaten Europas, darunter Deutschland, im Krieg mit der Atommacht Russland.

Gemeinsame Hochrüstung

Zur weiteren Eskalation trägt auch das deutsche Vorhaben bei, die deutsch-ukrainische Rüstungskooperation systematisch auszubauen. Dazu hat die Bundesregierung am Montag einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt.[6] Er sieht neben einer generellen Intensivierung der Zusammenarbeit unter anderem „Leuchtturmprojekte“ zur gemeinsamen Entwicklung und Herstellung von Kriegsgerät vor – insbesondere auf Feldern, auf denen die ukrainischen Streitkräfte im aktuellen Krieg spezielle Erfahrungen gesammelt haben. Geplant ist zudem eine „strategische Förderung rüstungsindustrieller Joint Ventures“. Allgemein sollen die ukrainischen Waffenschmieden in den EU-Rüstungsmarkt eingebunden werden. Für gemeinsame deutsch-ukrainische Vorhaben stellt die Bundesregierung außerdem staatliche Investitionsgarantien in Aussicht, dringt umgekehrt allerdings darauf, von Kiew digitale Gefechtsfelddaten zu erhalten. Als Zentrum für die Koordination und die Planung der deutsch-ukrainischen Rüstungskooperation ist ein Verbindungsbüro in Berlin geplant; vom „Ukraine Freedom House“ ist die Rede.[7] Um die Rüstungskooperation konsequent zu kontrollieren und bei Bedarf rasch präzise nachjustieren zu können, sind regelmäßige Konsultationen der Verteidigungsministerien beider Länder geplant.

Kriegserfahrungen nutzen

Dabei kann die deutsch-ukrainische Rüstungskooperation auf eine inzwischen beinahe vierjährige Vergangenheit zurückblicken. Bereits in den ersten Kriegsmonaten nahmen erste deutsche Drohnen-Startups Kontakte nach Kiew auf, um die ukrainischen Streitkräfte mit Drohnen zu beliefern. Daraus entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, in deren Rahmen die deutschen Unternehmen in engem Kontakt zu den Einheiten an der Front ihre Waffen kontinuierlich anpassen und optimieren konnten; im sich rasch entwickelnden Drohnenkrieg war das unverzichtbar, schuf aber auch die Grundlagen für die im Entstehen begriffene deutsch-europäische Drohnenindustrie um erfolgreiche deutsche Startups wie Helsing oder Quantum Systems (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Die Erfahrungen aus dem Krieg, über die die Ukraine verfügt, erweisen sich dabei für die deutsche Branche als starker Konkurrenzvorteil. In Fachkreisen ist mittlerweile von der Ukraine als dem „Silicon Valley der Rüstungsindustrie“ die Rede.[9] Entsprechend nahmen an einem deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum am Montag in Berlin 110 Rüstungsfirmen aus beiden Ländern teil. Dabei kollidiert die systematische Stärkung der Rüstungskooperation mit der Forderung Russlands, die Ukraine solle sich nach einem Waffenstillstand nur beschränkt hochrüsten dürfen.

„Die Front ist überall“

Die deutsch-europäischen Provokationen gegen Russland – Pläne zur Stationierung eigener Truppen in der Ukraine und zur systematischen Stärkung der ukrainischen Rüstungsindustrie – werden von einem massiven Anschwellen propagandistischer Kriegsvorbereitungen auch jenseits der Bundesrepublik begleitet. Am Donnerstag vergangener Woche hatte NATO-Generalsekretär Mark Rutte in einer Rede in Berlin verlangt, man solle „auf ein Ausmaß des Krieges vorbereitet sein, wie es unsere Großeltern oder Urgroßeltern erlebt haben“: „ein Konflikt, der jedes Zuhause, jeden Arbeitsplatz erreicht, Zerstörung, Massenmobilisierung, Millionen von Vertriebenen, weit verbreitetes Leid und extreme Verluste“.[10] Bereits am 18. November hatte Frankreichs Generalstabschef Fabien Mandon vor der Versammlung der französischen Bürgermeister gefordert, die französische Bevölkerung müsse bereit sein, „den Verlust ihrer Kinder zu akzeptieren“.[11] Am Montag sprach sich nun die neue Leiterin des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6, Blaise Metreweli, dafür aus, umgehend auf einen „gesamtgesellschaftlichen Ansatz für Abschreckung und Verteidigung“ einzuschwenken.[12] Notwendig sei nicht nur die Mobilisierung aller industriellen und personellen Reserven für die Rüstungsproduktion und die Streitkräfte, sondern auch eine ideologische Formierung der Bevölkerung für den Propagandakrieg: „Die Front ist überall.“

 

[1], [2] Mit welchen Sicherheitsgarantien Kiew rechnen darf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.12.2025.

[3] „Einzige Möglichkeit, einen Nachfolgekrieg zu verhindern“. tagesschau.de 16.12.2025.

[4] Koalition schließt Einsatz deutscher Truppen nicht aus. Frankfurter Allgemeine Zeitung 16.12.2025.

[5] Sebastian Huld: „Wir würden auch russische Übergriffe und Angriffe erwidern“. n-tv.de 16.12.2025.

[6] Frank Specht, Leila Al-Serori: Deutschland legt Zehn-Punkte-Plan für Kooperation mit Ukraine vor. handelsblatt.com 15.12.2025.

[7] „Ukraine Freedom House“ für Rüstungskooperation geplant. sueddeutsche.de 17.12.2025.

[8] S. dazu Rüstungsknotenpunkt Ukraine (II) und Die Drohnenkrise (II).

[9] Gregor Grosse: Ein Silicon Valley für Rüstung. Frankfurter Allgemeine Zeitung 20.09.2025.

[10] Keynote speech by NATO Secretary General Mark Rutte and moderated discussion with Minister for Foreign Affairs of Germany Johann Wadephul. nato.int 11.12.2025.

[11] Après des propos de Fabien Mandon, chef d’état-major des armées, la porte-parole du gouvernement promet que « nos enfants » n’iront pas « combattre et mourir en Ukraine ». lemonde.fr 21.11.2025.

[12] MI6 Chief says the “front line is everywhere” in first speech, as the UK faces new “age of uncertainty”. gov.uk 15.12.2025.


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