Angriff auf die Neutralität

In Irland werden Proteste gegen Bestrebungen der Regierung laut, ein Instrument zur Sicherung der Neutralität des Landes – den Triple Lock – abzuschaffen. Die Militarisierung der EU soll auch auf Dublin ausgeweitet werden.

DUBLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – In Irland werden energische Proteste gegen die faktische Abschaffung der Neutralität des Landes zugunsten einer Militarisierung im Rahmen der EU laut. Am Samstag gingen in Dublin rund tausend Menschen auf die Straße, um gegen die von der Regierung geplante Abschaffung des sogenannten Triple Lock zu demonstrieren. Der Triple Lock sieht vor, dass Einsätze von mehr als zwölf irischen Soldaten nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrats zulässig sind. Dies soll die historische Neutralität des Landes wahren helfen. Irlands Neutralität gründet tief in der Geschichte des Landes unter der kolonialen Herrschaft Großbritanniens; die Ablehnung jeder Beteiligung an Kriegen in fremden Ländern – erst recht an der Seite des Vereinigten Königreichs – sei „ein Kernelement der Grundstimmung der irischen Bevölkerung“, konstatiert Anthony Coughlan, Professor Emeritus am Trinity College Dublin und Sprecher des National Platform EU Research and Information Centre, im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Der Versuch der Regierung, mit der Abschaffung des Triple Lock den Bruch der Neutralität möglich zu machen, sei auch Folge der Einbindung der irischen Eliten in das EU-Establishment.

Irlands Neutralität

Irlands Neutralität besagt, dass der irische Staat, wie etwa die Irish Neutrality League schreibt, „in einem militärischen Konflikt weder die eine noch die andere Seite unterstützt“. Dies soll „das Potenzial“ zu verringern helfen, „einen Krieg zu verlängern oder ihn zu intensivieren“.[1] Historisch gründet Irlands Neutralität in seiner Vergangenheit unter der Herrschaft Großbritanniens; „als postkoloniale Nation“ habe Irland die Erfahrung des Leids „unter imperialistischer Eroberung und Besetzung“ gemacht und habe keinerlei Neigung, Ähnliches anderen Ländern anzutun, heißt es weiter bei der Irish Neutrality League. Gegnerschaft zu Kriegen in fernen Ländern und zur Mitgliedschaft in Militärbündnissen sei „ein Kernelement der Grundstimmung der irischen Bevölkerung“, konstatiert Anthony Coughlan, Professor Emeritus am Trinity College Dublin sowie Sprecher des National Platform EU Research and Information Centre in Dublin, im Gespräch mit german-foreign-policy.com; es gebe eine bloß „geringe Neigung, an der Seite Großbritanniens in Kriege verwickelt zu werden“.[2] Umfragen ergeben jeweils hohe Zustimmungswerte für die Neutralität; für diese sprachen sich zuletzt im April 2025 in einer Umfrage der Zeitung The Irish Times fast zwei Drittel der Befragten aus.[3]

Der Triple Lock

Ein unmittelbarer Widerspruch besteht zwischen der Neutralität des EU-Mitglieds Irland sowie der EU selbst, seit letztere mit dem im Jahr 2001 unterzeichneten Vertrag von Nizza – er trat zum 1. Januar 2003 in Kraft – die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und damit eine gemeinsame Militärpolitik einführte. Das gilt als zentraler Grund dafür, dass die irische Bevölkerung den Vertrag zunächst in einem Referendum ablehnte. Sie stimmte ihm in einem zweiten Referendum erst zu, als die Regierung den sogenannten Triple Lock (Dreifachriegel) beschlossen hatte. Demnach dürfen Einheiten von mehr als zwölf irischen Soldaten lediglich dann im Ausland eingesetzt werden, wenn erstens die Regierung, zweitens das Parlament zugestimmt haben und drittens ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vorliegt. Die Vorgänge wiederholten sich mit dem 2007 unterzeichneten – und zum 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen – Vertrag von Lissabon, der eine Transformation der ESVP in die umfassendere Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) vorsah. Auch dieser wurde zunächst in einem Referendum abgelehnt, bevor er – nach einer Bekräftigung des Triple Lock durch die Regierung – per zweitem Referendum in Irland abgesegnet wurde.

Schleichende Abkehr

Faktisch hat die irische Regierung die Neutralität des Landes immer wieder ausgehöhlt. So hat sie Zwischenlandungen von US-Militärtransportern auf dem Flughafen Shannon auf dem Weg zu Kriegsschauplätzen im Mittleren Osten erlaubt. Zudem beteiligt sich Irland, wie Coughlan betont, an der Außen- und Militärpolitik der EU. Am 1. Oktober 2024 räumte der damalige Vizepremierminister (Tánaiste) und Verteidigungsminister Micheál Martin, der inzwischen als Premierminister (Taoiseach) amtiert, offiziell ein, die Regierung in Dublin ziehe bei ihren Plänen, moderne Radar- und Flugabwehrsysteme für die irischen Streitkräfte zu beschaffen, eine Beteiligung an dem deutsch initiierten, aber europaweit angelegten Flugabwehrsystem ESSI (European Sky Shield Initiative) in ihre Überlegungen ein.[4] Bereits zuvor, im Februar 2024, hatte Irlands Regierung ein sogenanntes Individual Tailored Partnership Programme (ITPP) mit der NATO unterzeichnet, das einen stärkeren Austausch von Informationen – auch von Spionageerkenntnissen – erlaubt. Damit erhält Irland, so bestätigte es damals ein Regierungsmitglied in Dublin, unter anderem Zugang zum Cyberverteidigungszentrum der NATO, dem NATO Cooperative Cyber Centre of Excellence (NATO CCD COE) in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Zudem könne man die eigene Unterwasserinfrastruktur besser schützen, heißt es.[5]

Ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss

Um künftig auch irische Soldaten flexibler einsetzen zu können, bereitet Irlands Regierung nun die Abschaffung des Triple Lock vor. Dazu hat sie einen Gesetzesentwurf, die Defence (Amendment) Bill 2025, vorgelegt, der – als Kernpunkt – kein Votum des UN-Sicherheitsrats mehr als Grundlage für die Entsendung von irischen Soldaten ins Ausland vorsieht.[6] Zum Ersatz dafür heißt es lediglich, die Entsendung müsse „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen“ stattfinden. Möglich sollen demzufolge Einsätze zur Friedenssicherung, zur Konfliktprävention und zur „Stärkung der internationalen Sicherheit“ sein – ein weites, zudem dehnbares Spektrum. Für Einsätze von insgesamt mehr als 50 irischen Soldaten soll künftig außer einem Regierungs- auch ein Parlamentsbeschluss notwendig sein. Letzterer kann allerdings bei einer etwaigen Verlängerung eines Einsatzes entfallen, die die Regierung in alleiniger Verfügungsgewalt beschließen darf. Bei Einsätzen, an denen 50 oder weniger irische Soldaten beteiligt sind, soll die Zustimmung des Parlaments gar nicht mehr nötig sein. Einsätze sollen im Rahmen nicht mehr nur der UNO, sondern auch der OSZE, der EU und aller sonstigen regionalen Organisationen geschehen können, sofern sich diese im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und dem internationalen Recht befinden. Laut ihrem Selbstverständnis trifft dies auch auf die NATO zu.

Proteste

Gegen die geplante Abschaffung des Triple Lock erhebt sich in wachsendem Maße Protest. Am vergangenen Samstag gingen in Dublin rund tausend Menschen auf die Straße, um gegen die geplante Abschaffung des Triple Lock und für die Beibehaltung der irischen Neutralität zu demonstrieren. Veranstaltet worden war die Demonstration von einem breiten Bündnis von politischen Parteien der Opposition, darunter Sinn Féin, und von außerparlamentarischen Organisationen, die gemeinsam unter dem Namen „Together for Neutrality“ auftraten. Zu den Rednerinnen gehörten unter anderem Alice Mary Higgins, unabhängige Senatorin im irischen Senat (Seanad Éireann), und Mary Lou McDonald, Präsidentin von Sinn Féin. Bereits im Mai hatten Oppositionspolitikerinnen erklärt, sie würden „wie die Teufel“ kämpfen, um die konstitutive Neutralität des Landes und den Triple Lock zu sichern.[7] Dem verlieh die Demonstration jetzt energisch Nachdruck: „Save our neutrality“, wurde skandiert, „keep our Triple Lock!“[8]

 

[1] Why Neutrality? neutrality.ie.

[2] Vgl. hier und im Folgenden: „Den Triple Lock des neutralen Irland verteidigen“.

[3] Irish Times poll: Current model of neutrality backed by 63% of voters. irishtimes.com 19.04.2025.

[4] Departmental Policies. Dáil Éireann Debate, Tuesday – 1 October 2024.

[5] Ireland in new agreement with Nato to counter potential threats to undersea infrastructure. thejournal.ie 09.02.2024.

[6] Defence (Amendment) Bill 2025. Dublin, February 2025. Mícheál Lehane: Government publishes legislation to remove Triple Lock. rte.ie 21.05.2025.

[7] ‘Hands off Irish neutrality’: Opposition parties join together to protest triple lock changes. thejournal.ie 10.05.2025.

[8] Jackie Fox: Dublin rally urges Govt to protect Ireland’s neutrality. rte.ie 14.06.2025.


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