„Gewalt gegen Gewalt“

Politikberater in Berlin dringen auf schärfere Reaktionen der EU gegen die Zollattacken der Trump-Administration: Eskalations- und Risikobereitschaft sei gefordert. Das Plädoyer geht mit Forderungen nach einer Weltmachtrolle der EU einher.

BERLIN/BRÜSSEL/WASHINGTON (Eigener Bericht) – Außenpolitikberater und Wirtschaftsexperten in Berlin dringen auf erheblich schärfere Gegenmaßnahmen der EU gegen die unverändert eskalierenden Zolloffensiven der Trump-Administration. Während an diesem Mittwoch die US-Zölle auf den Import von Stahl und Aluminium verdoppelt werden sollen, beschränkt sich Brüssel weiterhin darauf, mit Gegenzöllen nur zu drohen, ohne sie wirklich umzusetzen. Das sei völlig unzureichend, urteilen Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in öffentlichen Stellungnahmen. Um der US-Regierung Einhalt zu gebieten, müsse man „auf Gewalt mit Gewalt“ reagieren, heißt es. Das verlange nicht nur das Inkraftsetzen von Gegenzöllen, sondern auch Exportbeschränkungen bei Produkten, auf die die Vereinigten Staaten angewiesen seien – etwa Lithografiegeräte zur Halbleiterproduktion. Die EU müsse bei ihren Maßnahmen sogar „das Risiko umfassender Instabilität“ auf den Finanzmärkten eingehen, heißt es: Dies sei das einzige Szenario, das die Trump-Administration zum Einknicken bringe. Die Plädoyers für offensivere Gegenwehr gehen mit Forderungen nach einer eigenständigen Weltmachtrolle der EU einher.

Die Reaktion der EU

Die Maßnahmen, die die EU bisher in Reaktion auf die Zölle der Trump-Administration getroffen hat, fallen äußerst zurückhaltend aus. Washington erhebt zur Zeit Zölle in Höhe von zehn Prozent auf sämtliche Importe aus der EU; diese sollen auf Dauer erhalten bleiben. Hinzu kommen Zölle in Höhe von jeweils 25 Prozent zum einen auf Stahl und Aluminium, zum anderen auf Autos sowie Autoteile. Weitere Zölle, die US-Präsident Donald Trump am 2. April verhängt hat – „reziproke Zölle“, wie es heißt –, sind gegenüber der EU vorläufig für 90 Tage ausgesetzt worden. Am heutigen Mittwoch wird die Trump-Administration ihre Zölle auf Stahl und Aluminium auf 50 Prozent erhöhen. Die EU hat ihrerseits im April eine Liste von US-Waren fertiggestellt, auf die sie Gegenzölle gegen die US-Stahl- und Aluminiumzölle zu verhängen droht; sie umfasst Waren mit einem Importwert von 21 Milliarden Euro, etwa Sojabohnen und Harley Davidson-Motorräder. Zudem hat sie eine weitere Liste von US-Waren in einem Wert von 95 Milliarden Euro entworfen, die in der nächsten Woche finalisiert werden soll; sie enthält unter anderem Autos und Autoteile, Flugzeuge, medizinische Geräte und Chemikalien. Auf diese Waren könne man ab Ende Juni EU-Zölle erheben, wenn es nicht zu einer Verhandlungslösung im Zollkonflikt komme, heißt es.[1]

„Risiken eingehen“

Das zurückhaltende Vorgehen der EU, die vorsichtig droht, aber kaum handelt, löst bei Wirtschaftsexperten und Politikberatern zunehmenden Unmut aus. So heißt es etwa in einer neuen Stellungnahme eines Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Markus Jaeger, die EU solle offensiver operieren. So sei es nicht zielführend, mit Gegenzöllen US-Bundesstaaten zu attackieren, in denen Trump über eine große Wählerbasis verfüge. Das pralle bislang an Trump ab. Besser sei es, sich „die Kosten-Nutzen-Kalküle des Präsidenten direkt“ vorzunehmen. Die bisherige Erfahrung zeige, dass Trump etwa dem „Risiko einer umfassenderen Finanzmarktinstabilität“ verlässlich ausweiche und dann, wenn eine solche drohe, seine Zölle zurückziehe. Ein deutlicher Einbruch an den Aktienmärkten etwa habe ihn veranlasst, die Zollschlacht gegen China einzufrieren.[2] Die EU müsse daher zu einer Strategie übergehen, „die glaubwürdig und wirkungsvoll mit Vergeltung droht“. Bei Bedarf dürfe sie im Vorgehen gegen „unfreundliche protektionistische Maßnahmen“ auch einer „Eskalation“ des Konflikts nicht ausweichen; sie solle dabei gegebenenfalls sogar „das Risiko umfassender Instabilität eingehen“. Das sei, so urteilt Jaeger, ein früherer Mitarbeiter von Deutsche Bank Research, der einzig machbare Weg, sich taktisch gegen Trump zu behaupten.

„Komplett gescheitert“

Noch grundsätzlichere Kritik übt Shahin Vallée, ein weiterer DGAP-Mitarbeiter, der früher als Wirtschaftsberater erst von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, dann des damaligen französischen Wirtschaftministers Emmanuel Macron sowie zuletzt von George Soros tätig war. Vallée erklärt, die EU sei mit ihrem Versuch, „US-Präsident Donald Trump nach seiner Wiederwahl zu begreifen und mit ihm umzugehen, komplett gescheitert“.[3] Erstens habe sie nicht akzeptiert, dass man ihm gegenüber „auf Gewalt mit Gewalt“ reagieren müsse, „offen und sichtbar“. Zweitens habe sie „die außerordentliche Gelegenheit“ verpasst, die aufgetreten sei, als Trump sich „mit der ganzen Welt auf einmal frontal angelegt“ habe: Hätte man sich umgehend „mit Ländern wie China oder Kanada“ zusammengetan, „um die Vereinigten Staaten zu isolieren“, hätte man sie zum Einknicken nötigen können. Diesen Erfolg habe nun China erzielt, das „standgehalten und seine Hebelkraft auf kritischen Feldern eingesetzt“ habe; es habe „eine vollständige Kapitulation der USA“ erreicht – und dies, ohne in Zukunft im Wirtschaftskrieg gegen die USA auf die Kooperation mit der EU angewiesen zu sein. Die EU hingegen stecke inzwischen in einer nächsten Runde von Zolldrohungen fest – und sie werde in Zukunft wohl noch stärkerem Druck ausgesetzt sein.

„Bereit zur Eskalation“

Im Hinblick darauf dringt Vallée energisch auf „eine vollständige Kehrtwende“ der EU in ihrer wirtschaftspolitischen Strategie gegenüber der Trump-Administration.[4] Im ersten Schritt müsse Brüssel „unverzüglich“ seine Gegenzölle gegen die US-Zölle auf Stahl und Aluminium in Kraft setzen und zugleich neue Gegenzölle gegen die Kfz-Zölle sowie gegen die – ausgesetzten – „reziproken“ Zölle ankündigen. Dies müsse Importe aus den USA in einem Wert von über 150 Milliarden Euro betreffen. Zweitens müsse die EU den Export von Waren einschränken, die die Vereinigten Staaten kaum ersetzen könnten. Vallée nennt als Beispiel Lithografietechnologie zur Herstellung von Halbleitern; gemeint sind mutmaßlich die Anlagen zur Produktion avanciertester Chips, die der niederländische Konzern ASML herstellt und die zumindest im Westen gegenwärtig als weitestgehend alternativlos gelten.[5] Drittens spricht sich der DGAP-Experte dafür aus, Maßnahmen gegen den Import von US-Dienstleistungen zu ergreifen. Dabei handelt es sich zum einen um Digitalsteuern auf die Gewinne der großen US-Internetkonzerne, zum anderen um Schritte zur Eindämmung der Aktivitäten von US-Finanzdienstleistern, die von europäischen Vermögen profitieren. Dabei müsse man bereit sein, den Konflikt scharf zu eskalieren, rät Vallée.

Weltmacht Europa

Die Plädoyers für eine offensivere Gegenwehr der EU gegen die Zollattacken der Trump-Administration gehen mit Forderungen einher, der EU eine eigenständige Weltmachtrolle zu verschaffen. So hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche explizit verlangt, die EU müsse die „neue internationale Ordnung“, die sich „noch in dieser Dekade ... herausschälen“ werde, „gestalten“: „Unser Auftrag heißt – europäische Unabhängigkeit“.[6] Kurz zuvor hatte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, dafür plädiert, dem Euro eine „größere internationale Rolle“ zu sichern; dabei gehe es auch darum, die bisherige Weltleitwährung, den US-Dollar, zumindest partiell zurückzudrängen.[7] Berlin wiederum strebt die Aufstockung der Militärausgaben auf fünf Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung an – mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, die Bundeswehr zu den konventionell stärksten Streitkräften Europas hochzurüsten.[8] Damit könnte die EU zu einer global führenden Militärmacht aufsteigen, die mit einer starken Weltwährung und einer gegenüber den USA eigenständigen Wirtschaftspolitik eine international führende Stellung einnähme – unter deutscher Führung.

 

[1] Jakob Hanke Vela: 100-Milliarden-Vergeltungsliste – EU erhöht Druck auf Trump. handelsblatt.com 08.05.2025.

[2] Markus Jaeger: The EU Should Change Its Approach to Countering Trump’s Tariffs. ip-quarterly.com 28.05.2025.

[3], [4] Shahin Vallée: How the EU Botched its Trade Policy Response. ip-quarterly.com 31.05.2025.

[5] S. auch Entkoppeln und aufrüsten.

[6] Rede von Präsidentin von der Leyen anlässlich der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen. ec.europa.eu 29.05.2025.

[7] Earning influence: lessons from the history of international currencies. Speech by Christine Lagarde, President of the ECB, at an event on Europe’s role in a fragmented world organised by Jacques Delors Centre at Hertie School in Berlin, Germany. ecb.europa.eu 26.05.2025. S. dazu Euro gegen Dollar.

[8] S. dazu Militärrepublik Deutschland.


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