Tödliches Trauma

Es gibt eine deutsche Berufsgruppe, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, von uns allen, jedenfalls mehr, als der Dienstherr ihr zukommen lässt. Ihr Dienstherr ist Deutschland, genauer gesagt, der deutsche Staat, der diesen Personenkreis sogar symbolisch auf seinem Staatswappen abbildet: dort symbolisieren die Krallen des Adlers, eines stolzen Greif- und Beutetieres, die Bestimmung der deutschen Soldaten – und Soldatinnen.

Allerdings: der bildhafte Stolz ist nur eine Projektion. Soldaten werden nicht zu Adlern. Das Archaische der Tierwelt bekommt unserer Art nicht wirklich gut. Der Beweis lässt sich im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin führen. Dort werden vermehrt Soldaten behandelt, die unter dem Archaischen zusammengebrochen sind und aus Einsätzen mit inneren Wunden, mit seelischen Wunden zurückkehren.

Sie haben im Ausland Menschen getötet oder sind Zeugen unmenschlicher Grausamkeiten geworden, etwa bei der sogenannten Seeraumüberwachung im Mittelmeer, wo das Meer zu einem Meer voller Leichen geworden ist. Im Mittelmeer sind bis heute über 30.0000 Menschen ertrunken (auch unter den Augen von Bundeswehrsoldaten), weil sie in die Europäische Union gelangen wollten.

Solche Erlebnisse können Adlern nichts anhaben, Soldaten aber schon. Sie können Täter und Opfer in einer Person sein und sind es nicht selten. Werden sie dabei seelisch krank, ist das keine Schwäche. Dann rebelliert ihre humane Verletzlichkeit. Sie wehrt sich gegen Grausamkeiten an unserer Art, um unsere Art zu erhalten.

Dieses empathische Potential ist den seelisch erkrankten Soldaten geblieben – es ist verloren, sobald sie an dem Töten und an den Grausamkeiten verzweifeln, indem sie Hand an sich legen.

Dies taten in den vergangenen 3 Jahren mehr deutsche Soldaten als im gesamten Zeitraum des Afghanistan-Einsatzes bei Gefechten, durch Anschläge und andere Kampfhandlungen starben.

Über die tieferen Ursachen dieser verzweifelten Aggressionen gegen das eigene Leben schweigen sich Bundeswehr und die deutsche Militärpolitik aus. Ihre PR-Kampagnen einer Militärabteilung, die frührer "Psychologische Kriegführung" hieß, will die traumatisierenden Folgen deutscher Auslandseinsätze als ein bedauernswürdiges Leiden "für Deutschland" darstellen.

Aber diese Traumata werden nicht "für Deutschland" erlitten.

Die traumatisierten Bundeswehrsoldaten sind leidende Teilnehmer einer schweren kollektiven Verirrung, die das zivile Leben in Deutschland (und überall in der EU) systematisch zersetzt. Es ist durch Gewaltkonkurrenz und Empathielosigkeit vergiftet. Diese Vergiftung kann tödlich ausgehen.

Im bedeutendsten, dem wirtschaftlich bedeutendsten EU-Staat, der sein internationales Export-Regime mit der Bundeswehr flankiert, ist diese Vergiftung unübersehbar. Sie ist in den  Arbeitsämtern unübersehbar, auch wenn sie Jobcenter heißen, sie ist in den Armenküchen unübersehbar, auch wenn sie "Tafeln" heißen, und sie ist in der Bundeswehr unübersehbar, in die jene Milliardensummen gepumpt werden, welche Arbeitsämter und Armenküchen überflüssig machen könnten

Dem Gift der Empathielosigkeit und Gewaltkonkurrenz sind Soldaten am direktesten ausgeliefert: Ihre Selbstmorde während und nach den Auslandseinsätzen zeugen davon. An den seelischen Krankheiten in der Bundeswehr erkennt man die Beschädigungen der gesamten Gesellschaft, die mit Gewalt, jenseits ihrer Grenzen, Reichtum akquirieren lässt.

Diese Gesellschaft leidet unter Überlebensgesetzen, die ein geflügeltes Wort aus der deutschen Wirtschafts- und Kriegspolitik populär zum Ausdruck bringt: "Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder".

Übersetzt man diese Eigenschaften in eine modernisierte Fassung, so finden wir sie im Milieu politischer Größenideen und privater Selbstoptimierung wieder – dort, wo sich die deutsche Außenpolitik "Weltgeltung" anmaßt und das neoliberale, das private Selbst sich narzisstisch spreizt:  rücksichtslos.

"Deutschland zuerst" lautet die politische Variante des geflügelten Wortes über Härte und Zähigkeit. "Deutschland zuerst" meint: Gewaltkonkurrenz.

"Jetzt bin ich dran" heißt es im Neusprech privater Selbstoptimierung und Empathielosigkeit. Gewaltkonkurrenz und Empathielosigkeit bedingen einander:

"Deutschland zuerst"

"Jetzt bin ich dran"

Das ist der Dünger, der Kriege befördert und das Soziale erstickt. Das ist das Trauma, das Soldaten umbringt – und nicht nur Soldaten.

 

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