„Europa als Weltprägemacht“

Designierter Kulturstaatsminister nennt koloniale Welteroberung „zivilisatorische Leistung“, beklagt „kulturelle Selbstvernichtung“ Europas durch „Zuwanderung“ und trauert „Europas“ angeblich verlorener „Expansionskraft“ nach.

BERLIN (Eigener Bericht) – Der designierte Staatsminister im Bundeskanzleramt für Kultur und Medien, Wolfram Weimer, beklagt einen „erdrutschartige[n] Machtverlust“ Europas durch die Entkolonialisierung und lobt eine angebliche „zivilisatorische Leistung, die in einer Welteroberung steckt“. Die „Bindung an das Christentum“, heißt es außerdem in einem „Konservativen Manifest“, das Weimer im Jahr 2018 veröffentlichte, stelle „einen wichtigen Bestandteil der europäischen Identität dar“: „Der Taufschein ist die Eintrittskarte in die europäische Kultur“. Bereits zuvor hatte der designierte Kulturstaatsminister eine „kulturelle Selbstvernichtung“ beklagt, bei der „mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch“ versucht werde, „die alten Nationalinstinkte auszutilgen“. Weimer mokiert sich in seinem „Manifest“ auch über „die Gleichstellungsbeauftragten und Integrationsberater“ – „Hohepriester[n] des Gutmenschentums“. Aktuell dringt er darauf, den Forderungen der AfD zur Abwehr von Einwanderung Rechnung zu tragen. Seine Positionen sind geeignet, eine ideologische Grundlage für eine Formierung der EU sowie für eine aggressiv ausgreifende Weltpolitik zu stellen.

„Das konservative Manifest“

Zentrale Grundelemente seiner Weltanschauung hat Wolfram Weimer vor einigen Jahren in einem Buch mit dem Titel „Das konservative Manifest“ dargelegt.[1] Darin äußert er positive Bezüge zu klassischen Werten konservativer sowie rechter Milieus – Familie, Heimat, Nation und Tradition –, schreibt dem Christentum tragende Bedeutung zu und lobt alte preußische Tugenden („Fleiß, Treue, Gehorsam, Disziplin“). Weimer klagt, „die deutsche Linke“ habe „die vermeintlich überholten preußischen Erziehungsziele über Bord werfen und durch einen neuen Wertekanon ersetzen“ wollen, darunter „Ziele“ wie zum Beispiel „Gleichberechtigung, Emanzipation und Solidarität“. Zu deren Durchsetzung sei eine „Tugendrepublik“ etabliert worden, die etwa Glücksspiele reglementiere und in bestimmten Bereichen für Frauenquoten plädiere: „Mit Quoten und Verboten kommen sie daher“, schreibt Weimer, „die Verbraucher- und Familienschützer, die Gleichstellungsbeauftragten und Integrationsberater“, ganz „wie Hohepriester des Gutmenschentums“. Gedankliche Parallelen zur aktuellen Politik der Trump-Administration, die im Namen des Kampfs gegen soziale Inklusion (DEI – Diversity, Equality, Inclusion) mit der Gleichstellungspolitik Schluss zu machen sucht, liegen auf der Hand.

„Europas Niedergangssklerose“

„Europa“ definiert der designierte Staatsminister für Kultur und Medien als christliches „Abendland“; so heißt es im „Konservativen Manifest“: „Der Taufschein ist die Eintrittskarte in die europäische Kultur“.[2] Die „Bindung an das Christentum“ stelle „einen wichtigen Bestandteil der europäischen Identität dar“. Entsprechend hätten bereits deutsche Romantiker „den europäischen Kulturraum im Kontrast zum islamisch geprägten Orient“ gesehen. Nun werde aber „das Christentum ... seit einigen Jahrhunderten relativiert, bekämpft, letztlich aufgegeben“, erklärt Weimer: „Mit diesem religiösen Masochismus neutralisiert Europa seine kulturelle Kernkraft.“ „Europa“ leide gar „seit einigen Jahren an einer Niedergangssklerose“; es habe „kapituliert“ – „denn es ahnt, ein Comeback Europas als Weltprägemacht wird es kaum mehr geben“. Schon zuvor hatte Weimer in der damals von ihm publizierten Zeitschrift Cicero eine „kulturelle Selbstvernichtung“ in den „Staaten Mitteleuropas“ moniert; da werde versucht, „mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch die alten Nationalinstinkte auszutilgen“.[3] „In unseren Großstädten leben Millionen arbeitsloser Muslime in Parallelwelten“, fuhr Weimer fort; er nannte die Lage dort „ein Halloween der Entfremdung“.

„Europas Expansionskraft“

Die Notwendigkeit, dem ein Ende zu setzen, ergibt sich für Weimer auch daraus, dass sich „Europa“ weltpolitisch „als Expansionskraft aufgegeben“ habe und sich zur Zeit „nicht mehr räumlich“ vermehre.[4] „Das Zeitalter der europäischen Expansion“ sei „1945 zu Ende gegangen“, heißt es im „Konservativen Manifest“. „Territorial“ würden „die Räume, die von europäischen Hauptstädten beherrscht“ würden, „immer kleiner“. Als letzte Kolonie sei im Jahr 1999 das portugiesisch kontrollierte Macau an China zurückgegeben worden, äußert der designierte Kulturstaatsminister – insofern inkorrekt, als zahlreiche weitere Territorien vor allem in der Karibik, im Indischen Ozean und im Pazifik nach wie vor von europäischen Staaten als faktische Kolonien gehalten werden (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Über die Entkolonialisierung insgesamt heißt es, „dieser erdrutschartige Machtverlust“ sei in Europa „nicht einmal bedauert“ worden. Dabei sei „Europa in nur 60 Jahren als Weltmacht territorial zusammengebrochen“; es habe „das verloren, was binnen 600 Jahren erobert worden war“. „Die eigene Kolonialgeschichte“ werde heute bedauerlicherweise bloß noch „als illegitime Expansion“ eingestuft; „die eigene zivilisatorische Leistung, die in einer Welteroberung steckt“, werde ignoriert.

„Kultureller Protest“

Weimers Positionen sind geeignet, einer straffen inneren Formierung Europas und einer aggressiv neu ausgreifenden Weltpolitik als ideologische Grundlage zu dienen. Zudem sind sie anschlussfähig für die AfD. Deren Erfolg stuft Weimer als „kulturelle[n] Protest“ ein: „Die Leute wollen eine ungezügelte Massenzuwanderung von muslimischen Männern nicht mehr.“[6] „Dieses Thema“ aber hätten „die Parteien der Mitte viel zu lange nicht richtig adressiert“; das müsse „die nächste Bundesregierung“ nun nachholen. Dass der mutmaßlich künftige Bundeskanzler Friedrich Merz grundsätzlich bereit ist, im Kampf gegen Migration zumindest indirekt mit der AfD zu kooperieren, hat er am 29. Januar gezeigt, als er einen Antrag in den Bundestag einbrachte, der – vorab klar absehbar – nur dank der Stimmen der AfD eine Mehrheit erhielt.[7] Weimer hat sich vor der Bundestagswahl mehrmals offen gegen die AfD geäußert, allerdings vor allem wegen der Positionierung der Partei gegen die NATO und die EU. Diese ist freilich nicht unumstößlich. Teile der AfD sprechen sich längst für den Verbleib in der NATO aus.[8] Die Forderung nach dem EU-Austritt hatte die Partei aus ihrem Programm für die Bundestagswahl entfernt.[9] Über den Austritt aus dem Euro, den in der AfD derzeit viele fordern, erklärte Parteichefin Alice Weidel Anfang Februar, für diesen sei es „viel zu spät“.[10]

Die Normalisierung der AfD

Völlig unabhängig von der Person des designierten Staatsministers für Kultur und Medien, von dem es heißt, er sei ein alter Bekannter des künftigen Bundeskanzlers, schreitet in Berlin die Debatte über eine schrittweise Öffnung für die AfD voran. Der designierte Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jens Spahn, hat kürzlich dafür plädiert, bei der Besetzung von Ausschussposten im Parlament „mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen ... wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“. Öffentlich stieß Spahn damit auf Kritik, vor allem bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen; in den Unionsparteien aber fänden den Vorstoß, wie berichtet wurde, intern „die meisten richtig“.[11] Zwar hat Spahn betont, sein Plädoyer lediglich auf die Wahl von Ausschussposten bezogen wissen zu wollen; doch handelt es sich dabei um einen weiteren Schritt, die Akzeptanz der AfD und ihre Normalisierung in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Ihm hat beispielsweise auch der designierte Außenminister Johann Wadephul zugestimmt: „AfD-Kandidaten für Ausschussvorsitze“, die „in der Vergangenheit nicht negativ aufgefallen“ seien, sollten gewählt werden, sagte Wadephul [12]; die AfD sei schließlich die zweitgrößte Fraktion im Bundestag – „diese Realität müssen wir anerkennen“.

 

[1], [2] Wolfram Weimer: Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit. Kulmbach 2018.

[3] Wolfram Weimer: Die Multi-Kulti-Lüge. Cicero, Dezember 2004.

[4] Wolfram Weimer: Das konservative Manifest. Zehn Gebote der neuen Bürgerlichkeit. Kulmbach 2018.

[5] S. dazu Kolonien im 21. Jahrhundert (I) und Kolonien im 21. Jahrhundert (IV).

[6] „Dann sind wir den Spuk los“: Wirtschafts-Insider warnt und macht Anti-AfD-Vorschlag. focus.de.

[7] S. dazu Der Höhenflug der Rechten.

[8] S. dazu Widersprüchliche Annäherung.

[9] Dietmar Neuerer: Der gefährliche Euro-Irrweg der AfD. handelsblatt.com 12.01.2025.

[10] „Für Austritt aus dem Euro viel zu spät“. tagesschau.de 03.02.2025.

[11] Wulf Schmiese: Warum Spahns Vorschlag kein Streit-Grund ist. zdf.de 16.04.2025.

[12] Alisha Mendgen: Nach Spahn-Forderung: Union ringt um Umgang mit AfD im Bundestag. rnd.de 14.04.2025.


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