Das Ende des deutschen Exportmodells
Deutsche Unternehmen sehen sich auf immer mehr Absatzmärkten mit starker chinesischer Konkurrenz konfrontiert, ihre Marktanteile fallen zurück – in den drei größten Branchen der deutschen Industrie.
BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) – Ökonomen warnen vor einem „China-Schock“ für die deutsche Industrie. Anlass ist, dass immer mehr deutsche Unternehmen nicht nur Anteile auf dem chinesischen Markt an ihre chinesische Konkurrenz verlieren. Sie drohen auch auf ihren sonstigen Exportmärkten gegenüber Firmen aus der Volksrepublik in Rückstand zu geraten. Dies gilt für die drei bedeutendsten Branchen der Bundesrepublik. So fallen deutsche Kfz-Konzerne bei Elektroautos hinter Konkurrenten aus China zurück. Maschinenbauer aus der Bundesrepublik stagnieren in der Volksrepublik und sehen sich auch auf Drittmärkten einer erstarkenden chinesischen Branche gegenüber. Die Chemieindustrie schwächelt ebenfalls; zusätzlich getroffen von den gestiegenen Erdgaspreisen, kann sie vor allem bei Produkten der Basischemie kaum noch mit chinesischen Firmen mithalten und muss Werke schließen, etwa BASF. „Deutschlands größter Kunde wird zu seinem größten Konkurrenten“, konstatiert Yanmei Xie, eine Expertin des Analysehauses Gavekal aus Hongkong. Spezialisten erklären, sie machten sich, weil deutsche Unternehmen auf ihren Absatzmärkten mit chinesischen Firmen oft nicht mehr mithalten könnten, „Sorgen um das deutsche Exportmodell“.
Probleme in der Basischemie
Bedeutende Teile der deutschen Chemieindustrie – der drittgrößten Industriebranche in der Bundesrepublik – geraten zunehmend unter Druck. Dies gilt einem Bericht des Handelsblatts zufolge vor allem für die Basischemie, so etwa für die Herstellung von Massenkunststoffen wie Polypropylen und Polyethylen. Ursache sind zum einen die gestiegenen Erdgaspreise, die zwar nicht mehr die Rekordhöhen des Jahres 2022 erreichen, aber immer noch erheblich über dem langjährigen Durchschnittswert der Jahre bis 2020 liegen; da Flüssiggas teurer ist als das früher vor allem aus Russland bezogene Pipelinegas, werden sie ihren einst niedrigen Stand wohl nie wieder erreichen.[1] Zum anderen macht sich bemerkbar, dass China die Produktion massiv hochgefahren hat. War etwa bei Polyethylen die chinesische Nachfrage von 2015 bis 2019 erheblich schneller gestiegen als das Angebot, so hatte der dadurch befeuerte Bau neuer Anlagen das Angebot so rapide gesteigert, dass es die chinesische Nachfrage – auch wegen der Covid-19-Pandemie – deutlich übertraf und nun zunehmend in den Export ging. Am Bau neuer Produktionsstätten haben sich auch deutsche Unternehmen beteiligt, insbesondere BASF, an dessen neuem Verbundstandort im südchinesischen Zhanjiang, mit zehn Milliarden US-Dollar die größte BASF-Einzelinvestition [2], auch Polyethylen hergestellt wird.
Schließungsschwerpunkt Europa
Nun zeigt sich, dass die kostengünstiger hergestellten chinesischen Chemieprodukte dem teurer gewordenen Ausstoß deutscher Firmen Marktanteile abnehmen – auch in Europa. So nahmen die Chemieimporte der EU in den Jahren von 2017 bis 2023 von einem Volumen von 107 Milliarden Euro auf einen Wert von 238 Milliarden Euro zu; ein rapide wachsender Anteil kam aus China. Besonders stark stieg der Anteil der Basischemie an den Importen.[3] In Europa sinkt nun die Gewinnspanne der Basischemie-Hersteller, sofern die Produktion in Konkurrenz zu den niedrigeren chinesischen Preisen überhaupt noch profitabel möglich ist. BASF etwa hat bereits Teile seiner Werke stillgelegt, und es stehen nun, wie berichtet wird, „weitere Anlagen vor dem Aus“. Laut Angaben des Marktforschungsunternehmens ICIS sind weltweit annähernd 40 Standorte der Basischemie von der Schließung bedroht oder schon geschlossen worden. „Der Schwerpunkt“, heißt es, „liegt eindeutig auf Europa: Mehr als die Hälfte“ der Schließungen entfalle „auf die EU und Großbritannien“.[4] Demnach will der US-Kunststoffhersteller Trinseo einen Standort im norddeutschen Stade stilllegen, während die US-Firma Celanese beabsichtigt, ihre Produktion in Hamm-Uentrop zu reduzieren. Von Schließungen wird auch aus Frankreich, Spanien und den Niederlanden berichtet.
„Drittmärkte aufgeben“
Wachsende Schwierigkeiten vermeldet auch Deutschlands zweitgrößte Industriebranche: der Maschinenbau, der lange Zeit zu den größten Profiteuren des Chinageschäfts gehörte. Die Volksrepublik ist bis heute der zweitgrößte Exportmarkt für deutsche Maschinenbauer; doch stagniert der Wert der nach China verkauften deutschen Maschinen seit 2018 bei rund 19 Milliarden Euro pro Jahr, während insbesondere chinesische Maschinenbauer immer weiter erstarken. Diese hätten – der riesige chinesische Markt macht es möglich – „enorme Produktionskapazitäten“ aufgebaut, die es ihnen langfristig erlaubten, mit ihren Ausfuhren die internationalen Märkte zu erobern, erläutert Karl Haeusgen, Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).[5] Nicht nur in China, sondern auch auf Drittmärkten würden sie für die deutschen Maschinenbauer immer öfter zur gefährlichen Konkurrenz. Inzwischen erwarteten rund 61 Prozent aller VDMA-Mitgliedsfirmen, dass ihre Wettbewerbssituation in nur fünf Jahren allenfalls noch durchschnittlich, vielleicht sogar noch schlechter sei, heißt es.[6] Haeusgen warnt, die deutsche Branche könne sich Preiskämpfe „auf weniger wichtigen Drittmärkten“ nicht mehr leisten und müsse eventuell „solche Märkte komplett aufgeben“ – ein herber Rückschlag.
Der „China-Schock“
Verluste auf Exportmärkten, die durch zunehmende Ausfuhren chinesischer Unternehmen verursacht werden, verzeichnet die deutsche Industrie in wachsendem Maß. So ist etwa der deutsche Marktanteil am globalen Export von Industrieanlagen von 16 Prozent im Jahr 2013 auf nur noch 15,2 Prozent im Jahr 2023 zurückgegangen – eine Folge der Tatsache, dass der Anteil Chinas gleichzeitig von 14,3 Prozent auf 22,1 Prozent stieg.[7] Lag der Anteil der Bundesrepublik am globalen Autoexport im Jahr 2013 noch bei 22,3 Prozent, so lag er 2023 nur noch bei 20,7 Prozent, während der Anteil Chinas von fast Null auf neun Prozent wuchs, dies mit rasch steigender Tendenz ganz besonders bei Elektroautos. Die Kfz-Industrie, deren Absatz von der chinesischen Konkurrenz geschmälert wird, ist Deutschlands bedeutendste Industriebranche vor dem Maschinenbau und der Chemie. Im Hinblick auf das Schrumpfen des deutschen Exportanteils in allen drei Spitzenbranchen bei gleichzeitigem Wachstum des chinesischen Anteils sprechen Beobachter inzwischen bereits von einem umfassenden „China-Schock“.[8]
„Kein Wundermittel für Drittmärkte“
Um der deutschen bzw. der europäischen Kfz-Industrie zumindest den EU-Binnenmarkt zu sichern, bereitet die EU-Kommission gegenwärtig Strafzölle auf die Einfuhr von Elektroautos aus China vor.[9] VDMA-Präsident Haeusgen klagt, aus „Furcht“ vor Chinas Reaktionen habe man im Maschinenbau allzu lange auf Zölle verzichtet; dies sei „blauäugig“.[10] Wie berichtet wird, geht die Ratingagentur S&P mit Blick auf die Entwicklung der deutschen bzw. der europäischen Chemieindustrie davon aus, dass auch in dieser Branche „die Rufe etwa nach Schutzzöllen für den EU-Markt lauter werden könnten“.[11] Doch selbst wenn es damit gelingen sollte, die Anteile der deutschen bzw. der europäischen Industrie auf ihrem Heimatmarkt zu stabilisieren, bleibt das Problem, dass China auf Drittmärkten überlegen ist. Es gebe „kein politisches Wundermittel“, um die Konkurrenzfähigkeit deutscher Firmen auf den Drittmärkten zu sichern, konstatiert Noah Barkin, ein Experte der Rhodium Group: Deutsche Unternehmen drohten „innerhalb weniger Jahre ...aus vielen dieser Märkte verdrängt [zu] werden“.[12] „Wir machen uns Sorgen um das deutsche Exportmodell“, räumte vor kurzem Rolf Langhammer, ein Experte des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), ein: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Modell, so wie wir es aus der Vergangenheit kennen, in den kommenden Jahren zu Ende geht.“
[1] Bert Fröndhoff: Chinas Exporte verschärfen Krise in der Chemie-Industrie. handelsblatt.com 29.08.2024.
[2] S. dazu Kollateralschäden im Handelskrieg.
[3], [4] Bert Fröndhoff: Chinas Exporte verschärfen Krise in der Chemie-Industrie. handelsblatt.com 29.08.2024.
[5], [6] Sven Astheimer, Uwe Marx: Der Maschinenbau steckt in der China-Falle. faz.net 13.07.2024.
[7], [8] Dana Heide: Deutscher Industrie droht der China-Schock. handelsblatt.com 22.08.2024.
[9] S. dazu Auf dem Weg in die Strafzollschlacht.
[10] Sven Astheimer, Uwe Marx: Der Maschinenbau steckt in der China-Falle. faz.net 13.07.2024.
[11] Bert Fröndhoff: Chinas Exporte verschärfen Krise in der Chemie-Industrie. handelsblatt.com 29.08.2024.
[12], [13] Dana Heide: Deutscher Industrie droht der China-Schock. handelsblatt.com 22.08.2024.