„Wages not Weapons“

Interview mit Alex Gordon über den wachsenden Widerstand britischer Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg.

LONDON german-foreign-policy.com sprach mit Alex Gordon über den zunehmenden Widerstand britischer Gewerkschaften gegen die aktuelle Aufrüstungspolitik und gegen den drohenden Krieg. Gordon war von 2010 bis 2012 und dann wieder von 2022 bis 2024 Präsident der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), der größten Bahn- und Transportgewerkschaft in Großbritannien. Er gehört zudem der Campaign for Nuclear Disarmament (CND) an, die seit ihrer Gründung im Jahr 1957 gegen nukleare Aufrüstung kämpft. RMT und CND haben Ende Mai die Alternative Defence Review veröffentlicht; bei dieser handelt es sich um ein Gegenmodell zur Strategic Defence Review, dem zentralen außen- und militärpolitischen Strategiepapier der britischen Regierung. Die Alternative Defence Review hat zu einem Kurswechsel der britischen Gewerkschaften beigetragen, die kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs noch in der Mehrheit den Aufrüstungskurs der damaligen Regierung von Premierminister Boris Johnson unterstützten, inzwischen aber entschlossen gegen die Umschichtung aller verfügbaren materiellen Ressourcen weg von der arbeitenden Bevölkerung hin zur Kriegsproduktion kämpfen.

german-foreign-policy.com: Sie sind Mitautor der Alternative Defence Review, die dieses Jahr veröffentlicht wurde. Worum genau handelt es sich dabei?

Alex Gordon: Die Alternative Defence Review ist ein Gemeinschaftsprojekt, das Ende Mai 2025 veröffentlicht wurde. Verfasst wurde sie von einer Arbeitsgruppe, die von der Campaign for Nuclear Disarmament (CND), deren Mitglied ich bin, und von Gewerkschaftern aus verschiedenen Gewerkschaften sowie von Journalisten und Wissenschaftlern aus den Bereichen Verteidigung, Sicherheit, Waffenhandel und politische Ökonomie ins Leben gerufen wurde. Das Projekt entstand auf Initiative meiner Gewerkschaft, der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT), der größten Gewerkschaft für Eisenbahn- und Transportarbeiter hier in Großbritannien.

german-foreign-policy.com: Was genau hat die RMT vorgeschlagen?

Alex Gordon: Im Jahr 2022 fand unsere jährliche RMT-Konferenz im Juni statt, kurz nach dem NATO-Gipfel in Madrid. Wir stellten fest, dass die Vereinigten Staaten unter Präsident Biden darüber sprachen, den Anteil des BIP zu erhöhen, den die NATO-Mitgliedstaaten für Militärausgaben aufwenden sollen. Zu diesem Zeitpunkt war das offizielle Ziel, im Jahr 2024 zwei Prozent des BIP zu erreichen. Großbritannien, das über eines der größten Militärbudgets verfügt, wandte diesen Betrag bereits auf. Das Vereinigte Königreich ist eines der Länder mit den höchsten Rüstungsausgaben in der westlichen Welt. Wir waren darüber sehr besorgt, aber auch über das, was wir als Marsch in Richtung Militarisierung im Westen betrachteten. All dies geschah nur vier Monate, nachdem Russland in den Donbass einmarschiert war und Teile der Oblaste Luhansk und Donezk unter seine Kontrolle gebracht hatte. Das politische Klima in Großbritannien wie auch in vielen anderen europäischen Ländern wurde immer kriegslüsterner. Es gab jeden Tag Medien und Politiker, die Russland nicht nur kritisierten, sondern verteufelten, ebenso China. Wir beobachteten einen deutlichen Anstieg der Sinophobie in Großbritannien.

Das hat uns sehr beunruhigt. Die RMT hat sich 2022 dafür eingesetzt, ein Gipfeltreffen der Arbeiterbewegung zum Thema Frieden einzuberufen und Diskussionen über eine Außenpolitik zu initiieren, die auf Frieden und Diplomatie statt auf Krieg basiert. Dann kam es im Oktober 2023 zum Beginn des verheerenden Völkermords an den Palästinensern in Gaza, der trotz des Waffenstillstands immer noch andauert. Wir haben eine Eskalation der militärischen Feindseligkeiten in Westasien – oft als Naher und Mittlerer Osten bezeichnet – erlebt, mit einem heißen Krieg zwischen Israel und Iran, einschließlich des Einsatzes ballistischer Mittelstreckenraketen. Wir haben erlebt, wie Flugzeuge der britischen Royal Air Force (RAF) eingesetzt wurden, um den Jemen zu bombardieren. Wir haben erlebt, wie der britische RAF-Stützpunkt in Akrotiri auf Zypern, der ein wichtiger strategischer Stützpunkt für den westlichen Imperialismus ist, nicht nur für Spionageflüge über Gaza genutzt wurde, um Israel mit Informationen zu versorgen, sondern auch als Stützpunkt für die Lieferung schwerer Waffen aus den Vereinigten Staaten auf dem Weg nach Israel diente. Und natürlich haben wir während all dieser Ereignisse den weltweit verheerendsten Krieg in Bezug auf menschliche Opfer erlebt – im Sudan –, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Ägypten und Saudi-Arabien finanziert wird, sowie den anhaltenden Krieg in der Demokratischen Republik Kongo.

In diesem Zusammenhang hielten wir es zwar für notwendig, ein Gipfeltreffen der Arbeiterbewegung zum Thema Frieden einzuberufen, aber nicht für ausreichend: Ein Aufruf klingt hohl, wenn man keine positiven konkreten Schritte und Vorschläge in petto hat. Nach weiteren Debatten im Jahr 2023 beschlossen wir daher, ein relativ kurzes, aber detailliertes und hoffentlich gut belegtes Dokument zu erstellen, das es den Lesern ermöglicht, mehr über die fortschreitende Militarisierung zu erfahren. Das Dokument sollte darlegen, wie der Westen eine neue Weltordnung schafft, die auf Militarismus und auf endlosen Kriegen basiert und die unserer Meinung nach gefährlich in Richtung auf eine reale Möglichkeit eines Krieges zwischen den globalen Supermächten kippt, insbesondere zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, die beide über Atomwaffen verfügen. Ein solcher Krieg würde zum Aussterben des größten Teils des Lebens auf diesem Planeten führen.

german-foreign-policy.com: Dieses Dokument – ist das die Alternative Defence Review?

Alex Gordon: Ja, genau.

german-foreign-policy.com: Bevor wir näher darauf eingehen: Es ist doch kein neues Phänomen, dass britische Gewerkschaften wie die RMT für den Frieden kämpfen, oder?

Alex Gordon: Überhaupt nicht. Es stimmt zwar, dass die britische Gewerkschaftsbewegung vom Imperialismus geprägt ist – sie entstand aus der Entwicklung des Kapitalismus in einem Land, das die erste industrielle Revolution erlebte und darauf aufbauend das größte Imperium des 19. Jahrhunderts errichtete. Aber gleichzeitig trug die Entwicklung des britischen Kapitalismus auch den Keim für kritisches, sozialistisches Denken in sich. Es gibt eine Reihe historischer Beispiele dafür, wie britische Gewerkschaften gegen den Krieg vorgegangen sind. Die bekanntesten sind wohl die Ereignisse von 1918/1919, als britische Hafenarbeiter sich weigerten, Waffen auf Schiffe zu laden, die die britische Regierung nach Russland schicken wollte, um die Weiße Armee zu bewaffnen und die Russische Revolution niederzuschlagen. Die Russische Revolution wurde übrigens während des Ersten Weltkriegs in Großbritannien begeistert begrüßt. In Kohlebergbaugemeinden in den Tälern in Südwales gab es Massendemonstrationen, bei denen Tausende Menschen aus ihren Häusern kamen, um zu feiern. Im Jahr 1921 gründete die Gewerkschaftsbewegung die Councils of Action, lokale Gewerkschaftsräte, die von revolutionären Sozialisten und Kommunisten beeinflusst waren und gebildet wurden, um Streikmaßnahmen gegen den Interventionskrieg der britischen Regierung zur Niederschlagung der Russischen Revolution zu ergreifen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte Frank Cousins, Generalsekretär der Transport and General Workers’ Union (T&GWU) – die T&GWU heißt heute Unite und ist eine der größten Gewerkschaften Großbritanniens –, auf einer Konferenz seiner Gewerkschaft im Jahr 1957, die Trennung von Gewerkschaftsangelegenheiten und Politik sei ein Fehler. Die T&GWU bezog Stellung gegen die Nutzung von Atomwaffen durch Großbritannien und argumentierte, eine Verteidigungspolitik, die auf der Androhung des Einsatzes von Atomwaffen basiere, sei moralisch falsch, militärisch gefährlich und wirtschaftlich unsinnig. Frank Cousins war ein früher Unterstützer der 1957 gegründeten Campaign for Nuclear Disarmament. Die Positionierung gegen Atomwaffen zieht sich seit 70 Jahren durch die Arbeiterbewegung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es eine Reihe von Gelegenheiten, bei denen sich die Gewerkschaftsbewegung entschieden für den Frieden und gegen den Krieg ausgesprochen hat. So haben sich beispielsweise 2003 Gewerkschaften mit linksgerichteten Persönlichkeiten gegen Großbritanniens illegalen Krieg im Irak zur Unterstützung der USA ausgesprochen.

Aber vielleicht noch wichtiger ist es, einen alternativen Industrieplan zu entwickeln, der Arbeitern Hoffnung und die Zuversicht gibt, dass es möglich ist, durch eine Diversifizierung weg von der Rüstungsproduktion zu mehr Wohlstand, sichereren Arbeitsplätzen, besseren Einkommen und einer besseren Zukunft für sich und ihre Familien zu gelangen. Eine der Erkenntnisse, die wir bei unseren Recherchen für die Alternative Defence Review gewonnen haben, war, dass die Rüstungsproduktion in vielen Städten, die von der Rüstungsindustrie abhängig sind, Schaden verursacht. Es gibt Städte wie Barrow-in-Furness im Nordwesten Englands, wo eine Fabrik für den Bau von Atom-U-Booten liegt. Dort erhält die lokale Bevölkerung Jodtabletten, um sich vor möglichen radioaktiven Strahlungen aus der Rüstungsindustrie zu schützen. Selbst ohne diese schrecklichen medizinischen Aspekte ist es völlig klar, dass die Städte, die von der Rüstungsindustrie abhängig sind, zu den ärmsten Gemeinden Großbritanniens gehören. Es handelt sich um Gemeinden, die auf Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor basieren, die die Menschen versorgen, die nur in die Stadt kommen, um dort ihre Arbeit zu verrichten, Waffen zu bauen und die Stadt danach so schnell wie möglich wieder zu verlassen und an ihren Wohnort zurückzukehren. Es gibt klare Argumente dafür, dass diese verlassenen Gemeinden eine Alternative brauchen.

german-foreign-policy.com: Wie könnte eine Alternative aussehen?

Alex Gordon: Es gibt alternative Wirtschaftspläne, deren Geschichte bis in die 1970er Jahre zurückreicht. 1976 erstellte das Shop Stewards’ Committee bei Lucas Aerospace, einem sehr wichtigen privaten Unternehmen, das militärische und zivile Komponenten für die Luft- und Raumfahrtindustrie entwickelt und herstellt, den Lucas-Plan, ein umfassendes Konzept, wie Werke umgerüstet und auf die Produktion von Medizintechnik, Transportmitteln und vielem mehr umgestellt werden können. Es war ein vollständig durchkalkulierter Plan. In den 1990er und 2000er Jahren gab es auch Versuche der T&GWU, alternative Strategien für die Diversifizierung weg von der Rüstungsindustrie zu entwickeln, indem die Fähigkeiten der Ingenieure für die Herstellung von Komponenten für erneuerbare Energien und Turbinen genutzt wurden – kurz gesagt: Ihre Fähigkeiten wurden vom militärischen in den zivilen Sektor übertragen. Es ist wichtig, dass solche Pläne von Arbeitern ausgearbeitet werden, die über direkte einschlägige Erfahrungen mit den Techniken, Werkzeugen und Technologien verfügen, die sie einsetzen.

Was heute natürlich fehlt, ist eine Regierungsbehörde, die diesen Prozess der Diversifizierung weg von der Rüstung steuern kann. Ohne den Staat ist ein solcher Diversifizierungsprozess nicht zu bewältigen. Der Staat muss ihn steuern. Während der fünfjährigen Amtszeit von Jeremy Corbyn als Vorsitzender der Labour Party (2015-2020) wurden Vorschläge zur Einrichtung einer Behörde für Verteidigungsdiversifizierung ausgearbeitet, die mit Beamten besetzt sein sollte, deren Aufgabe es wäre, staatliche Investitionen weg vom Militärsektor in sozial produktive Sektoren zu lenken. Sobald der heutige Premierminister Keir Starmer Corbyn als Vorsitzenden der Labour-Partei abgelöst hatte, gab er dieses Vorhaben auf, weshalb es heute nicht mehr existiert. Aber wir müssen uns an es erinnern, denn es ist ein wichtiger Bestandteil einer ernsthaften Strategie zur Diversifizierung der Verteidigung.

german-foreign-policy.com: Kommen wir zurück zur Alternative Defence Review. Was sind ihre wichtigsten Elemente?

Alex Gordon: Kurz zusammengefasst enthält die Alternative Defence Review zunächst einmal eine Erklärung der politischen Ursprünge der neuen Kriegsrhetorik, der wir derzeit ausgesetzt sind. Unsere Recherche befasst sich mit der Tatsache, dass die britische Regierung nach der Finanzkrise von 2008 zwei Strategic Defence Reviews veröffentlicht hat, eine im Jahr 2010 und eine im Jahr 2015. Dabei verfolgte sie einen Ansatz, der auf Einsparungen beim britischen Militär abzielte; sie versuchte, Kosten zu senken. Sie strebte eine Verkleinerung der britischen Armee an. Britische Armeeregimenter wurden weggekürzt oder zusammengelegt. Gleichzeitig wurden der militärisch-industrielle Komplex und die Generäle mit sehr teuren Rüstungsprojekten beschwichtigt, um sicherzustellen, dass die großen Rüstungsunternehmen und ihre Lieferketten weiterhin vom Staat finanziert wurden.

All dies änderte sich dramatisch mit einer Reihe von Ereignissen um das Jahr 2020 herum. Am 31. Januar 2020 verließ Großbritannien nach dreieinhalb Jahren zäher Verhandlungen mit Michel Barnier und der Europäischen Kommission endgültig die Europäische Union. Im Juli 2019 kam Boris Johnson als Premierminister an die Macht. Johnson vertrat einen besonders militaristischen Flügel der Conservative Party, der – quasi als untergeordneter, loyaler Diener der Vereinigten Staaten – Großbritanniens militärische Macht projizieren und weltweit militärisch aktiv sein wollte, vom Südchinesischen Meer bis zur Karibik. Im Jahr 2020 führte dies zu einer dramatischen Kehrtwende in der britischen Politik, weg von Sparmaßnahmen beim Militär und hin zur Wiederaufrüstung. Dieser Wandel wurde von wichtigen Persönlichkeiten der damaligen US-Regierung unter Biden unterstützt, darunter Victoria Nuland und Robert Kagan, der Gründer des Project for the New American Century. Die neokonservativen Kreise um Nuland waren zu dieser Zeit speziell dafür verantwortlich, die Strategie der Spannung in der Ukraine zu fördern, die schließlich im Februar 2022 in den heißen Krieg führte.

Ihre Hauptstrategie bestand jedoch darin zu argumentieren, die USA müssten eine militärische Intervention auslösen, um den Aufstieg Chinas zu verhindern, der größten Wirtschaftsmacht der Welt, die die Vereinigten Staaten in den Schatten stellen würde. China nimmt in der Weltgeschichte eine einzigartige Position ein: Es ist das erste Land, das den Status einer Wirtschaftssupermacht erreicht hat, bevor es sich zu einer Militärsupermacht entwickelt. Die US-Neokonservativen setzten verschiedene Fristen – einige US-Generäle nennen das Jahr 2027 – für einen heißen Krieg mit China, ohne den die USA ihrer Meinung nach in Bezug auf die Wirtschaftsleistung qualitativ und quantitativ hinter China zurückfallen würden. Gemessen an der Kaufkraftparität (Purchasing Power Parity, PPP) ist diese Entwicklung bereits eingetreten.

german-foreign-policy.com: Was hat das für Großbritannien bedeutet?

Alex Gordon: Ab 2020 gab es die von mir erwähnte scharfe Wende in der britischen Militärpolitik – von den Sparmaßnahmen hin zur Wiederaufrüstung. Diese Wende war mit wichtigen politischen Persönlichkeiten und akademischen Beratern verbunden; wir konnten dies in der Alternative Defence Review aufzeigen und erklären, wer diese Personen sind, wofür sie sich einsetzten und welche konkreten Schritte sie unternehmen wollten, um den Schalter für die Wiederaufrüstung umzulegen. Im britischen Kontext war der wahrscheinlich wichtigste Vertrag, für den sie verantwortlich waren, der im September 2021 unterzeichnete AUKUS-Vertrag, ein Abkommen zwischen Australien, Großbritannien (United Kingdom) und den Vereinigten Staaten (US), das im Wesentlichen die Militarisierung der Meere rings um China eskalierte. Es brachte ein Verteidigungspaket, das Australien in die Lage versetzte, atomgetriebene U-Boote für den Einsatz im Pazifik zu beschaffen. Kurz vor der Unterzeichnung des AUKUS-Vertrags hatte Großbritannien im Juni 2021 die New Atlantic Charter mit den Vereinigten Staaten unterzeichnet, die symbolisch an die Atlantic Charter erinnern soll, die beide 1941 unterzeichnet hatten, als die Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg eintraten.

All dies wurde von mächtigen politischen Persönlichkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks choreografiert und unterstützt. Wir bekamen in Großbritannien eine innenpolitische Debatte über eine massive Aufrüstung. Zunächst entschied sich Boris Johnson für Raten oberhalb der Inflation, um die die Verteidigungsausgaben jedes Jahr erhöht werden sollten. Doch dann kam Johnsons chaotische Amtszeit zu einem Ende, und er wurde durch andere konservative Persönlichkeiten ersetzt, die noch chaotischer waren, bis schließlich die Parlamentswahlen am 4. Juli 2024 kamen. Die Conservative Party wurde abgewählt und erhielt das schlechteste Ergebnis seit Jahrzehnten, während die Labour Party mit einer großen Mehrheit an die Macht kam, die sie nutzte, um die Kontinuität der Rüstungs-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik der konservativen Regierung sicherzustellen. Insbesondere in Bezug auf die Ukraine kam es zu einer kontinuierlichen Eskalation der militärischen Aufrüstung und zur Neuausrichtung der britischen Wirtschaft auf die Rüstungsindustrie – auf Kosten des Sozialstaats, der öffentlichen Dienste und der Sozialleistungen.

All dies erhielt im November 2024 mit der Wahl von Donald Trump als US-Präsident weiteren Auftrieb. Trump wurde mit einem bewusst verwirrenden Programm gewählt, in dem er sich selbst als „Friedenspräsident” darstellte. Nach seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 verschärfte er sofort die militärischen Drohungen der USA gegen Grönland, Panama, Nigeria und Venezuela. Das Kronjuwel der globalen Militaristen war der NATO-Gipfel 2025, auf dem sich die NATO-Mitgliedstaaten darauf einigten, sich auf ein Ziel von fünf Prozent des BIP für Militärausgaben zu verpflichten.

german-foreign-policy.com: Was findet sich noch in der Alternative Defence Review?

Alex Gordon: Wir haben untersucht, wie die britische Regierung ihre Kriegsrhetorik über die Medien, aber auch über Schulen und Universitäten verbreitet hat. Wir argumentieren, dass es eine Entwicklung gibt, die ich als MIMAC bezeichnet habe – einen Militärisch-Industriellen Medial-Akademischen Komplex –, der Institutionen vom Rundfunk über die Hochschulbildung bis hin zu den Rüstungsunternehmen selbst und sogar zu den Politikern, von denen sie bestochen werden, miteinander verbindet. Wir haben also die schädlichen Auswirkungen auf die Demokratie in Großbritannien dargelegt. Wir haben darüber geschrieben, wie der derzeitige Ansatz Großbritanniens, der auf Militärausgaben und einer übertriebenen Wahrnehmung von Bedrohungen basiert, soziale und ökologische Schäden verursacht – nicht nur in dieser Gesellschaft, sondern weltweit. Dies ist ein Bereich, in dem sich die Gewerkschaften in den vergangenen 15 bis 20 Jahren viel stärker engagiert haben: Sie sind sich nicht nur der globalen Klimaziele bewusst, sondern auch der tatsächlichen Schäden, die industrielle Prozesse und die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder dem Planeten zufügen. Die größten Verursacher der globalen Erwärmung sind natürlich die Rüstungsproduktion und Kriege. Ein wichtiges Beispiel dafür ist die katastrophale Sabotage, bei der die Nord Stream-Pipelines in der Ostsee gesprengt und riesige Mengen Methan freigesetzt wurden, die sich über Skandinavien ausbreiteten.

Wir haben uns auch mit der Verschwendung im Zusammenhang mit den Militärausgaben im britischen Kontext befasst. Es handelt sich um eine Geldverschwendung, bei der niemand für den Verlust riesiger Summen an öffentlichen Mitteln zur Rechenschaft gezogen wird. Natürlich investiert kein Rüstungsunternehmen eigene Mittel. Sie sind von staatlichen Investitionen und öffentlichen Geldern abhängig; Rüstungsunternehmen saugen Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen auf und verschieben sie. Großbritannien hat die niedrigste industrielle Produktivität aller G7-Staaten. Wir haben eine Wirtschaft, die auf billiger Arbeitskraft, billigen Verträgen und niedrigen Löhnen basiert. Das ist der Schlüssel des britischen Wirtschaftsmodells. Es ist billiger, jemanden für fünf Pfund pro Stunde ein Auto von Hand waschen zu lassen, als in Maschinen zu investieren, die die gleiche Arbeit effizienter und billiger erledigen, aber Kapitalaufwand erfordern. Einer der Gründe dafür ist, dass Forschung und Entwicklung in Großbritannien auf den Rüstungssektor ausgerichtet sind. Das ist totes Geld.

german-foreign-policy.com: Was ist mit der Behauptung, der Militärsektor sei eine Quelle des Wirtschaftswachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen?

Alex Gordon: Das ist schlichtweg ein Mythos. In der Alternative Defence Review haben wir die Behauptungen britischer Minister widerlegt, Verteidigungs- und Rüstungsausgaben seien ein „Wachstumsmotor”. Wir haben uns die Höhe der Ausgaben und die geringe Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze angesehen; wir haben auch untersucht, was mit diesem Geld gemacht werden könnte, wenn man es in Dinge investierte, die die Menschen wirklich brauchen, zum Beispiel in ein neues Verkehrssystem, in neue Krankenhäuser, Schulen, die Isolierung unseres unglaublich schlechten Wohnungsbestands, den Bau neuer Häuser – wir haben eine schreckliche Wohnungskrise in Großbritannien. Es gibt eine lange Liste von Ausgaben, die unsere Regierungen tätigen sollten, dies aber nicht tun, weil wir stattdessen fünf Prozent unseres BIP – tatsächlich 127 Milliarden Pfund pro Jahr – für den militärisch-industriellen Komplex ausgeben sollen. Im letzten Kapitel der Alternative Defence Review haben wir Argumente für eine Diversifizierung weg von der Verteidigung und für die Notwendigkeit eines „gerechten Übergangs“ zusammengestellt, ein Begriff, den wir in der Gewerkschaftsbewegung verwenden, um den Transfer von Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsbedingungen zu beschreiben – die Arbeiter sollen nicht zu Opfern des Diversifizierungsprozesses werden.

german-foreign-policy.com: Wie wurde die Alternative Defence Review von der Arbeiterbewegung aufgenommen?

Alex Gordon: Sie wurde von einer großen Zahl an Gewerkschaftern und Linken begrüßt. Sie hatte auch einen breiteren Einfluss auf die Gewerkschaftsbewegung. Im September 2025 wurde auf der Hauptkonferenz des Gewerkschaftsbundes (Trades Union Congress, TUC) in Brighton ein Antrag der University and College Lecturers’ Union (UCU) unter dem Motto „Wages not Weapons“ („Löhne statt Waffen”) mit großer Mehrheit angenommen und damit die Politik rückgängig gemacht, die der TUC drei Jahre zuvor beschlossen hatte, auf dem Höhepunkt der Militarisierungspolitik von Boris Johnson. Im Jahr 2022, als Johnson versprach, viel Geld für Waffen auszugeben, hatte der TUC einen Vorschlag einer der Gewerkschaften des Maschinenbau- und Produktionssektors angenommen, die Forderung nach einer Erhöhung der Rüstungsausgaben zu unterstützen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Im Jahr 2025 gelang es uns, dies rückgängig zu machen und darauf hinzuweisen, dass die Gelder, die aus Schulen, Krankenhäusern, öffentlichen Dienstleistungen und dem Gesundheitswesen abgezogen werden, um die steigenden Rüstungsausgaben zu finanzieren, Arbeitsplätze kosten, Dienstleistungen einschränken und die soziale Wohlfahrt der von uns vertretenen Arbeitnehmer beeinträchtigen. Ich habe den Antrag unterstützt. Es war eine großartige gewerkschaftspolitische Debatte, und wir haben die Abstimmung gegen einige sehr tief verankerte Sonderinteressen mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Es war ein wichtiger Sieg, und ich glaube, dass die Alternative Defence Review dazu beigetragen hat, die Debatte innerhalb der Gewerkschaftsbewegung in Großbritannien zu verändern. Sie hat auch der Friedensbewegung eine viel klarere Vorstellung von der Rolle der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften im Kampf für den Frieden vermittelt.


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