Meinung wird gemacht

EU-Kommission kündigt „Schutzschild“ gegen „Informationsoperationen“ aus dem Ausland an und will in den internationalen Machtkämpfen durch die Abwehr missliebiger Meinungen „gesellschaftliche Resilienz“ erreichen.

BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die EU-Kommission kündigt einen „Schutzschild“ zur Abwehr missliebiger, aus dem gegnerischen Ausland lancierter „Informationsoperationen“ an. In der gegenwärtigen Ära „zunehmender politischer Konfrontation“ sei es notwendig, die „Integrität“ des europäischen „Informationsraums“ zu wahren, heißt es in Brüssel; dazu gelte es gegen unwillkommene Positionen vorzugehen, die Drittstaaten lancierten. Gemeint sind derzeit vor allem Auffassungen, die Russland vertritt. Der Kampf gegen sie sei nötig zur „Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz“, erklärt die EU-Kommission. Dazu soll ein neues „Zentrum für demokratische Resilienz“ errichtet werden, das – im Dialog mit sogenannten Faktencheckern, mit Mediendiensten oder auch Wissenschaftlern – unerwünschten Ansichten entgegentritt. Während die EU behauptet, damit die Meinungsfreiheit im Innern gegen Angriffe von außen schützen zu wollen, beklagen Journalisten eine wachsende Beschränkung der Meinungsfreiheit durch Kräfte innerhalb der EU. Die Kommission hat im Mai einen Journalisten auf eine Sanktionsliste gesetzt und ihn so unter Umgehung des Rechtswegs, also extralegal, ausgeschaltet.

Staatliche Auslandsmedien

Anlass für den Aufbau des sogenannten Europäischen Schutzschilds für die Demokratie ist laut Angaben der EU-Kommission die Tatsache, dass die EU sich in einer Ära „zunehmender politischer Konfrontation“ und anschwellender „regionaler und internationaler Konflikte“ befindet.[1] Dabei wirkt sich ein Umstand aus, den die Kommission unerwähnt lässt. Bislang galt es als selbstverständlich, dass zumindest die großen Länder Europas sich in regionalen und internationalen Konflikten medial und relativ oft auch praktisch im Ausland einmischten – beispielsweise mit ihren Auslandssendern wie der Deutschen Welle oder Radio France International (RFI), aber auch mit praktischem Beistand für prowestlich orientierte politische Organisationen aller Art. Ein bekanntes Beispiel ist die Unterstützung für die prowestliche Opposition in der Ukraine etwa in der Orangenen Revolution 2004 und während der Majdan-Proteste im Winter 2013/14.[2] Während die EU und ihre Mitgliedstaaten sich weiterhin in politische Auseinandersetzungen im Ausland einmischen, hat sich die Lage insofern geändert, als mittlerweile auch nichtwestliche Staaten in zunehmendem Maße gleichfalls mediale Auslandsaktivitäten entfalten. Das gilt nicht nur, aber vor allem für Russland.

„Gesellschaftliche Resilienz“

Zwar sind große russische Auslandssender wie Russia Today (RT) oder Sputnik in der EU seit einigen Jahren verboten. Dennoch können sie, wie zuletzt im August etwa die Londoner Denkfabrik Institute for Strategic Dialogue (ISD) konstatierte, in den EU-Mitgliedstaaten weiterhin rezipiert werden.[3] Auch über soziale Medien sind russische Quellen zugänglich. Mit Blick darauf heißt es nun bei der EU-Kommission – in der Absicht, die Vermittlung von Positionen des politischen Gegners in die EU hinein zu unterbinden –, der neu geplante Europäische Schutzschild für die Demokratie solle „die Wahrung der Integrität des Informationsraums“ sicherstellen. Man müsse dazu „ein Störungs- und Krisenprotokoll für das Gesetz über digitale Dienste ausarbeiten“, um Reaktionen der „zuständigen Behörden … auf groß angelegte und potenziell länderübergreifende Informationsoperationen“ möglich zu machen.[4] Bei der Abwehr fremder Informationsoperationen gehe es letztlich um „die Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz“. Der Sache nach handelt es sich um ein Zeichen politischer Schwäche: Offenkundig reicht die Überzeugungskraft der EU im Alltag der eigenen Bevölkerung nicht mehr aus, um gegnerische Positionen auszuhebeln.

Faktenchecker und Influencer

Im Mittelpunkt des Europäischen Schutzschilds für die Demokratie wird laut Angaben der EU-Kommission ein Europäisches Zentrum für demokratische Resilienz stehen. Aufgabe der Institution soll es sein, „das Fachwissen und die Ressourcen der EU und der Mitgliedstaaten“ zu bündeln, um „insbesondere Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland sowie Desinformation“ besser abwehren zu können.[5] Innerhalb des Zentrums wird der Kommission zufolge „eine Stakeholder-Plattform eingerichtet“, über die ein „Dialog mit vertrauenswürdigen Interessenträgern“ gestartet werden soll. Zu den Zusammenschlüssen und Einzelpersonen, die Brüssel auf diesem Weg an das Zentrum anbinden will, zählen unter anderem NGOs, Hochschulen, Wissenschaftler und Mediendienste. Außerdem soll ein „Europäisches Netz von Faktenprüfern“ geschaffen werden, um in Zukunft „Faktenchecks in allen Amtssprachen der EU zu stärken“. Laut Berichten ist nicht zuletzt ein Rückgriff auf Influencer – vermutlich in den sozialen Medien – geplant, „um das Bewusstsein für relevante EU-Themen zu schärfen“.[6] Den naheliegenden Gedanken, da werde zur Abschottung der Bevölkerung gegen missliebige Ideen eine Art „Ministerium für die Wahrheit“ geplant, weist Brüssel ohne nähere Begründung zurück.[7]

Falsche Fragen

Während die EU ihre Maßnahmen unter dem Vorwand plant, verhindern zu wollen, dass „autoritäre Regime“ mit Desinformation „freie Medien“ in Europa einschränkten, beklagen Journalisten in wachsendem Umfang eine Einschränkung der Medienfreiheit durch Kräfte aus der EU selbst. So wurde unlängst der italienische Reporter Gabriele Nunziati von der Agenzia Nova entlassen, weil er bei einer EU-Pressekonferenz eine angeblich falsche Frage stellte.[8] Nunziati hatte wissen wollen, ob die Kommission, wenn sie fordere, dass Russland für den Wiederaufbau der Ukraine zahle, auch darauf dringe, dass Israel den Wiederaufbau von Gaza finanziere. Kurz darauf kündigte die Agenzia Nova ihm. Als Grund wurde erst genannt, seine Frage sei „fachlich unkorrekt“ gewesen; dann hieß es, „schlimmer noch“ sei, dass ein Video mit der Szene „von russisch-nationalistischen Telegram-Kanälen“ aufgegriffen worden sei. Wieso Nunziati dafür verantwortlich gemacht werden könne, dass Dritte in sozialen Medien seine Frage aufgegriffen hätten, erläuterte die Agenzia Nova nicht. Ein anderer Mitarbeiter der Agentur erklärte, bei dem Vorfall handle es sich nur um die „Spitze eines Eisbergs“; italienische Journalisten seien in puncto Israel faktisch einer Zensur ausgesetzt.[9]

Extralegal ausgeschaltet

Noch schwerer wiegt das Vorgehen der EU gegen den deutschen Journalisten Hüseyin Doğru. Mit der Begründung, er habe mit seiner Berichterstattung über den Gaza-Krieg „ethnische, politische und religiöse Zwietracht“ gesät und auf diese Weise „destabilisierenden Aktivitäten Russlands“ Vorschub geleistet, setzte Brüssel ihn am 20. Mai auf eine Sanktionsliste.[10] Das führte dazu, dass jegliche geschäftliche Interaktion mit ihm unzulässig war: Doğru durfte keinerlei Erwerbsarbeit mehr ausüben; sein Bankkonto wurde gesperrt, und er konnte nicht einmal mehr Medikamente für seine schwangere Ehefrau kaufen.[11] Zudem wurde es ihm verwehrt, das Land seines Wohnsitzes, die Bundesrepublik, zu verlassen. Inzwischen heißt es in einem Rechtsgutachten, das eine frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) mitverfasst hat, die Sanktionen kämen einer Art „zivilrechtlichen Todes“ gleich; damit sei die EU zu weit gegangen.[12] Freilich handelt es sich dabei um ein Gutachten und nicht um ein Urteil. Gegen Rechtsverstöße von Journalisten stünde der EU jederzeit der Rechtsweg frei. Gelingt es ihr, den Präzedenzfall gegen Doğru aufrechtzuerhalten, dann hätte sie sich ein Mittel geschaffen, um missliebige Meinungen außergerichtlich ganz nach Belieben auszuschalten.

 

[1] Ein Europäischer Schutzschild für die Demokratie und die EU-Strategie für die Zivilgesellschaft ebnen den Weg für stärkere und resilientere Demokratien. ec.europa.eu 12.11.2025.

[2] S. dazu Unser Mann in Kiew.

[3] Banned Russian media sites ‘still accessible’ across EU, report finds. euractiv.com 05.08.2025.

[4], [5] Ein Europäischer Schutzschild für die Demokratie und die EU-Strategie für die Zivilgesellschaft ebnen den Weg für stärkere und resilientere Demokratien. ec.europa.eu 12.11.2025.

[6], [7] Neues Zentrum für Resilienz. Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.11.2025.

[8] Raphael Schmeller: Nach kritischer Frage an EU-Kommission: Journalist wird gefeuert. berliner-zeitung.de 05.11.2025.

[9] Arthur Neslen: A journalist asked why Israel isn’t paying to rebuild Gaza. It cost him his job. theintercept.com 04.11.2025.

[10] Max Grigutsch: Der Feind im Inneren. jungewelt.de 28.06.2025.

[11], [12] Raphael Schmeller, Simon Zeise: Vorwurf Russland-Propaganda: Wie ein deutscher Journalist durch EU-Sanktionen kaltgestellt wird. berliner-zeitung.de 15.11.2025.


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