Keile treiben
Im Ringen mit Russland bemühen sich die USA, einen Keil zwischen Moskau und Minsk zu treiben und Belarus an den Westen zu binden. Die EU hatte dies lange angestrebt; der Versuch galt aber schon vor dem Ukraine-Krieg als gescheitert.
WASHINGTON/MINSK (Eigener Bericht) – Im Ringen mit Russland bemühen sich die USA in Absetzung vom Konfrontationskurs der EU, Belarus mit politischen Zugeständnissen enger an den Westen zu binden. Im Gegenzug gegen die Aufhebung der US-Sanktionen gegen die belarussische Fluggesellschaft Belavia und in der Hoffnung auf eine weitere Annäherung hat Präsident Alexander Lukaschenko kürzlich veranlasst, 52 als politisch eingestufte Gefangene freizulassen. Die Wiedereröffnung der US-Botschaft in Minsk ist im Gespräch; Lukaschenko hat kürzlich telefonisch mit seinem Amtskollegen Donald Trump gesprochen – sein einziges Telefonat mit einem US-Präsidenten in seiner 31-jährigen Amtszeit. Ziel der Vereinigten Staaten ist es, einen Keil zwischen Minsk und Moskau zu treiben. Daran hatte sich schon seit den 1990er Jahren auch die EU versucht, war aber – nach zwischenzeitlichen Erfolgen, etwa dem Abschluss eines Abkommens mit Belarus zur Flüchtlingsabwehr im Jahr 2017 – letztlich gescheitert. Die aktuellen US-Bestrebungen erfolgen, während die EU an ihrem beinharten Konfrontationskurs nicht nur gegen Moskau, sondern auch gegen Minsk festhält. Washington fällt Brüssel damit einmal mehr in den Rücken.
„Eine sehr schöne Geste“
Auf Ersuchen der USA haben die belarussischen Behörden am 11. September in einem ungewöhnlichen Schritt 52 als politisch eingestufte Gefangene freigelassen.[1] Unter ihnen befinden sich 14 Bürger anderer Staaten, darunter sechs Litauer, zwei Letten, zwei Polen, zwei Deutsche und je eine Person aus Frankreich und Großbritannien. Der stellvertretende Sonderbeauftragte des Weißen Hauses für die Ukraine, John Coale, bezeichnete den Schritt als eine „sehr schöne Geste“ des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko.[2] Coale, der sich zum Zeitpunkt der Freilassung in Minsk aufhielt, überbrachte zudem einen Brief von US-Präsident Donald Trump. Im Gegenzug gegen die Freilassung hoben die USA ihre Sanktionen gegen die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia auf; diese kann nun Wartungsarbeiten durchführen lassen und Ersatzteile für ihre Flotte beim US-Hersteller Boeing erwerben. Bereits im Juni hatte Minsk nach einem Besuch des US-Sonderbeauftragten Keith Kellogg 14 politische Gefangene aus der Haft entlassen, darunter den Oppositionspolitiker Sergej Tichanowskij, den Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, die sich selbst als Siegerin der Präsidentschaftswahlen 2020 bezeichnet. Laut Coale laufen derzeit Verhandlungen über die Freilassung weiterer 1.300 als politisch eingestufter Gefangener in Belarus.
USA-Belarus: Annäherungsversuche
Die Freilassung der Gefangenen in Absprache mit der Trump-Administration steht im Zusammenhang mit Bestrebungen der Vereinigten Staaten, ihre Beziehungen zu Belarus aufzubessern. So erklärte Coale während seines Treffens mit Lukaschenko, die USA würden „sehr gerne die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern normalisieren”; er fügte hinzu, die Aufhebung der Sanktionen gegen Belavia sei „nur der Anfang”.[3] Berichten zufolge erwägen die USA auch eine mögliche Wiedereröffnung ihrer Botschaft in Minsk. Auffällig war neben der Freilassung der Gefangenen auch die Anwesenheit von zwei US-Offizieren beim kürzlich zu Ende gegangenen russisch-belarussischen Manöver Sapad 2025; ihnen war es gestattet, Teile der Manöver auf dem Militärstützpunkt Borisov nordöstlich von Minsk zu beobachten. Nicht zuletzt hatte Trump mit Lukaschenko telefoniert, als er nach Alaska flog, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen – Lukaschenkos erstes Telefonat mit einem US-Präsidenten in seiner 31-jährigen Amtszeit. Trump bezeichnete ihn als „hoch angesehenen Präsidenten“, was insofern bemerkenswert ist, als die EU Lukaschenko seit 2020 nicht mehr als Präsidenten anerkennt. Im Gegenzug lud Lukaschenko Trump zu einem Besuch in Minsk ein; Trump nahm dies an.[4] Washington ist offenbar bemüht, einen Keil zwischen Belarus und Russland zu treiben.
Belarus-Russland: Nicht immer reibungslos
Die Beziehungen zwischen Russland und Belarus waren zuweilen erheblichen Spannungen ausgesetzt. Um eine übermäßige Abhängigkeit von Moskau zu vermeiden, war Lukaschenko lange Zeit bemüht, einen Balanceakt zwischen dem Westen und Russland zu vollführen. Die auffälligsten Differenzen zwischen Minsk und Moskau entwickelten sich nach dem von EU und NATO geförderten Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014, der zur Abspaltung der Krim und ihrer Aufnahme in die Russische Föderation führte. Da die postsowjetischen Staaten insgesamt – die Ukraine inklusive – der wichtigste Exportmarkt für Belarus waren, blieb Minsk in der Krim-Frage neutral, und es verbesserte seine Beziehungen zur Ukraine, der Republik Moldau und Georgien. Im Jahr 2017 stellte sich Lukaschenko im Ukraine-Konflikt sogar vorsichtig auf die Seite Kiews und deutete an, die Ukraine kämpfe im Donbass für ihre Unabhängigkeit. Bis dahin hatte Minsk sich auch geweigert, einen russischen Luftwaffenstützpunkt auf belarussischem Staatsgebiet zuzulassen. Die Strategie des Westens, die beiden Länder zu spalten, trug erste offene Früchte, als Belarus eine einseitige Zusammenarbeit mit der EU einging, wonach es Flüchtlinge, die über das Land in die EU eingereist waren – einschließlich derer, die Russland verlassen wollten – zurücknehmen würde.[5] Russland protestierte und forderte Belarus auf, seine Migrationspolitik im Rahmen der 1996 gegründeten belarussisch-russischen Union zu koordinieren; diese erlaubt freien Personenverkehr.
„Belarus‘ Platz in Europa“
Wenig später begann sich das Blatt zu wenden. Im Dezember 2019 wurden westliche Befürchtungen, Belarus könne der Russischen Föderation beitreten, durch Äußerungen des damaligen belarussischen Botschafters in Moskau, Vladimir Semashko, geschürt, wonach die Regierungen beider Staaten über ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Regierung verhandelten.[6] Die Vereinigung mit Russland steht offiziell seit 1993 auf der Agenda, als die Mehrheit des belarussischen Parlaments die Wiedervereinigung mit Russland zu ihrem Ziel erklärte und damit den seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eingeschlagenen prowestlichen Kurs zurückwies.[7] 1994 forderte Lukaschenko, der die Präsidentschaftswahlen mit 80,1 Prozent der abgegebenen Stimmen gewann, ebenfalls die Wiederherstellung der Sowjetunion. Im Dezember 2019 waren die Verhandlungen zwischen Russland und Belarus in dieser Frage zwar noch nicht abgeschlossen; doch leitete Berlin Bestrebungen ein, prowestliche Kräfte in Minsk wieder zu stärken. Dirk Wiese, Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, besuchte die belarussische Hauptstadt zum damaligen „Minsk Forum”, das unter dem Motto „Belarus' Platz in Europa” stand. Wiese erklärte, es sei Berlin „ein besonderes Anliegen ..., dass die deutschen politischen Stiftungen ... wieder mit Büros in Belarus vertreten sein können”.[8]
Exil in der EU
Die Versuche des Westens, Belarus aus seinem Bündnis mit Russland zu lösen und es fest in Richtung EU zu orientieren, erlitten nach den Wahlen im August 2020 einen womöglich endgültigen Rückschlag.[9] Lukaschenkos chancenreichste politische Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, verlor die Wahl. Sie weigerte sich jedoch – darin unterstützt von der EU –, das Ergebnis anzuerkennen, und behauptet bis heute, die Wahlen gewonnen zu haben. Aktuell lebt sie im Exil in der EU; die polnische Regierung stellte ihr sogar ein Haus in einem Diplomatenviertel in Warschau zur Verfügung, das zu einem wichtigen Zentrum für die belarussische Exilopposition geworden ist; zuweilen ist sogar von einer belarussischen „Exilregierung“ die Rede.[10] Tichanowskajas Wahlniederlage – die EU spricht, freilich ohne Beweise, von Wahlbetrug – veranlasste die EU, Sanktionen gegen 40 belarussische Beamte zu verhängen, denen sie vorwirft, für den angeblichen Wahlbetrug verantwortlich zu sein. Tichanowskaja wurde im Oktober 2020 sogar von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen. Dieser hochkarätige Empfang und die EU-Sanktionen wurden jedoch von anderen belarussischen Oppositionellen kritisiert, darunter Maria Kolesnikowa, die warnte, all dies verstärke den Vorwurf, der Westen mische sich in Belarus ein.[11]
Die Orientierung der Bevölkerung
Die westlichen Anbindungsbestrebungen kamen zum Stillstand, als Lukaschenko nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs einen engen Schulterschluss mit Moskau vollzog. Sie haben dabei stets die Tatsache ignoriert, dass die klare Mehrheit der belarussischen Bevölkerung prorussisch eingestellt ist. Im Jahr 2019 etwa sprachen sich rund zwei Drittel der Bevölkerung für eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland aus; nur knapp ein Drittel wünschte sich eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland.[12] Vor die Wahl zwischen einer Union mit Russland und einer Union mit der EU gestellt, stimmten nur 25 Prozent für die EU, während 54,5 Prozent für Russland votierten. Selbst eine Umfrage unter jungen Menschen zwischen 16 und 34 Jahren, die in Großstädten leben – diese Bevölkerungsgruppe ist in Osteuropa gewöhnlich am stärksten prowestlich orientiert –, ergab, dass nur eine Minderheit von 9,1 Prozent engere Beziehungen zu Deutschland wünschte, während 36,8 Prozent – mit Abstand die größte Zahl – intensivere Beziehungen zu Russland befürworteten. Daran kommen auch die aktuellen Bestrebungen der Trump-Administration, einen Keil zwischen Belarus und Russland zu treiben, nicht vorbei.
[1] Belarus frees 52 political prisoners after US mediation. aljazeera.com 11.09.2025.
[2] Lukaschenkos „schöne Geste“ an Präsident Trump. faz.net 12.09.2025.
[3] Meeting with U.S. President’s representative John Coale. ebs.publicnow.com 11.09.2025.
[4] Hours Ahead of Meeting Putin, Trump Calls Kremlin’s Closest Ally. nytimes.com 15.08.2025.
[5] S. dazu Zwei Partner entzweien.
www.german-foreign-policy.com/news/detail/7207
[6] Are Russia and Belarus Creating a Unified Cabinet and Parliament? themoscowtimes.com 09.12.2019.
[7] S. dazu „Belarus’ Platz in Europa“.
[8] Koordinator Dirk Wiese anlässlich seiner Reise nach Belarus. auswaertiges-amt.de 04.12.2019.
[9] S. dazu Eine Ikone des Westens und In der Sanktionsspirale.
[10] Poland probes disappearance of Belarusian opposition activist. reuters.com 31.03.2025.
[11] Inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Maria Kolesnikowa mit Günter-Wallraff-Preis ausgezeichnet. www.deutschlandfunk.de 05.05.2025.
[12] Umfragen des Belarusian Analytical Workroom. In: Belarus-Analysen Nr. 49. 18.04.2020. S. 18f.
