Im Amt, aber geschwächt

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen übersteht Misstrauensantrag, gilt aber wegen des wachsenden Unmuts über dubiose Deals und über die Aushöhlung der Mitsprache des Europaparlaments als geschwächt.

BRÜSSEL/BUKAREST (Eigener Bericht) – EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den ersten Misstrauensanstrag im Europaparlament gegen ihre Kommission nach einigen Zugeständnissen glimpflich überstanden. Den Antrag lehnte am Donnerstag eine klare Mehrheit der Abgeordneten ab. Allerdings hatte von der Leyen den Sozialdemokraten dafür zusagen müssen, einen Sozialfonds – anders als geplant – als eigenständigen Fonds beizubehalten und eine von ihr bislang verhinderte Anti-Diskriminierungs-Richtlinie ins Parlament einzubringen. Die Zugeständnisse waren nötig geworden, weil von der Leyen mit einem dubiosen Deal in Sachen Covid-19-Impfstoffbeschaffung und weiteren Maßnahmen erheblichen Unmut in allen Parlamentsfraktionen ausgelöst hatte. Beobachter halten ihre Position nach dem Votum für geschwächt. Ins Parlament eingebracht worden war der Misstrauensantrag von einem Abgeordneten einer Rechtsaußen-Fraktion aus Rumänien, wo die EU-Kommission dem EU-orientierten Establishment den Rücken bei seinen weithin kritisierten Versuchen gestärkt hat, mit vermutlich korrupten Machenschaften den Wahlsieg eines ultrarechten EU-Gegners zu verhindern.

Dubiose Machenschaften

Angestoßen wurde der Misstrauensantrag gegen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen durch dubiose Machenschaften während der Präsidentenwahl in Rumänien. Dort war das Wahlergebnis nach dem Sieg des Rechtsaußen-Kandidaten Călin Georgescu in der ersten Runde (24. November 2024) annulliert worden. In den Monaten darauf wurde Georgescus erneute Kandidatur in der Wiederholungswahl durch die rumänische Justiz verhindert.[1] In der Wahrnehmung weiter Teile der rumänischen Bevölkerung geschah dies auch auf Wunsch der EU-Kommission, die ihre Abneigung gegenüber Georgescu klar hatte erkennen lassen. Von der Leyen hatte zudem Mitte Dezember 2024 angekündigt, etwaige Verstöße der Social Media-Plattform TikTok untersuchen zu lassen [2]; auf TikTok war intensiv für Georgescu geworben worden. Schon im März wurde auf Demonstrationen in Bukarest wütend skandiert: „Ursula [von der Leyen], vergiss nicht, dass Rumänien nicht dir gehört!“[3] Das Misstrauen gegen die EU wurde durch Einmischung aus Westeuropa während der Wiederholungswahl noch verstärkt.[4] Den Misstrauensantrag gegen von der Leyen stellte der Europaabgeordnete Gheorghe Piperea von der Rechtsaußen-Partei AUR (Alianța pentru Unirea Românilor, Allianz für die Vereinigung der Rumänen); dieser gehörte der unterlegene Nachfolgekandidat Gheorgescus in der Wiederholungswahl, George Simion, an.

Mitsprache ausgehöhlt

Piperea stellte seinen Antrag zu einem Zeitpunkt, zu dem der Unmut über von der Leyen im Europaparlament auch jenseits der Rechtsaußenfraktionen stark zugenommen hat. Ursache ist zum einen die Affäre um den Vertrag über die Lieferung von bis zu 1,8 Millionen Covid-19-Impfdosen für erstaunliche 35 Milliarden US-Dollar, den die Kommissionspräsidentin mit dem Chef des US-Pharmakonzerns Pfizer, Albert Bourla, schloss. Der Preis gilt als viel zu hoch, die Zahl der bestellten Impfdosen als überhöht; die Textnachrichten, in denen sich von der Leyen mit Bourla auf den Deal einigte, sind ebensowenig auffindbar wie Textnachrichten, die die heutige Kommissionspräsidentin in ihrer Amtszeit als Bundesverteidigungsministerin versandte.[5] Neben den dubiosen Umständen des Impfstoffdeals hat den Unmut erheblich anschwellen lassen, dass von der Leyen ihr mit bis zu 800 Milliarden Euro beispiellos teures Aufrüstungsprogramm ReArm EU ohne jede Konsultation des Europaparlaments beschlossen hat.[6] Jüngst kam hinzu, dass sie einen Gesetzesentwurf gegen sogenanntes Greenwashing eigenmächtig zurückzog, dies gegen den Willen mehrerer Fraktionen im Europaparlament.[7] Mit dem Vorgehen höhlt von der Leyen die demokratischen Mitspracherechte des gewählten Parlaments aus, was unter vielen Abgeordneten auf Ablehnung stößt.

Zugeständnisse

Der Misstrauensantrag ist am gestrigen Donnerstag von der Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament zurückgewiesen worden. Dies liegt im Wesentlichen daran, das der Antrag von einem Rechtsaußen-Abgeordneten gestellt wurde, mit dem die Fraktionen vor allem der Sozialdemokraten und der Grünen nicht zu kooperieren bereit sind. Für den Antrag votierten 175 Abgeordnete, darunter geschlossen die Fraktion der Patriots of Europe (PfE), der unter anderem der französische Rassemblement National (RN), der belgische Vlaams Belang oder die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) angehören, sowie die Fraktion Europe of Sovereign Nations (ESN), zu der unter anderem die Alternative für Deutschland (AfD) zählt.[8] Gegen den Antrag stimmten 360 Abgeordnete, darunter jeweils klare Mehrheiten der Fraktionen der European People’s Party (EPP), der Sozialdemokraten (S&D) und der Liberalen. Von der Leyen hatte allerdings zwei Zugeständnisse machen müssen, um sich die Rückendeckung vor allem der Sozialdemokraten zu sichern. So soll der Europäische Sozialfonds Plus auch von 2028 bis 2034 als eigenständiger Fonds erhalten bleiben; zudem soll die Kommission nächste Woche eine bislang zurückgehaltene Anti-Diskriminierungs-Richtlinie vorlegen.[9] Von der Leyen gehe geschwächt aus der Auseinandersetzung hervor, urteilen viele Beobachter.

Uneinige Fraktion

Uneinig war bei der Abstimmung die Fraktion der European Conservatives and Reformists (ECR). Für den Antrag traten außer den Abgeordneten der rumänischen Partei AUR auch die Abgeordneten der polnischen Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit) ein, darunter einer der beiden ECR-Fraktionsvorsitzenden, Patryk Jaki (PiS). Gegen ihn sprachen sich der ECR-Fraktionsvorsitzende Nicola Procaccini von den Fratelli d’Italia (FdI) und die FdI-Fraktion aus. Die FdI unter Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni arbeiten seit geraumer Zeit eng mit der konservativen EPP und mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammen; sie stellen mit Raffaele Fitto einen exekutiven Vizepräsidenten der EU-Kommission mit Zuständigkeit für Kohäsion und Reformen [10] sowie mit Antonella Sberna eine Vizepräsidentin des Europaparlaments [11]. Dabei war in der ECR-Fraktion der Anteil derjenigen, die an der Abstimmung überhaupt teilnahmen, mit nur 56 Prozent aller Abgeordneten außerordentlich gering; 35 der 79 Abgeordneten blieben dem Votum fern – um sich nicht auf eine Seite schlagen zu müssen.[12] Der Dissens in der Fraktion besteht fort zwischen denjenigen Parteien, mit denen die EPP mittlerweile systematisch kooperiert, und denjenigen, die – wie die AUR – noch vom Zugang zur Macht ausgeschlossen werden.

Nach rechts

Dabei geht die EPP-Fraktion mittlerweile punktuell über die Kooperation mit einem Teil der ECR-Fraktion hinaus und stimmt in manchen Fragen auch gemeinsam mit der PfE-Fraktion – etwa bei Themen, die die Flüchtlingsabwehr und eine partielle Abkehr vom European Green Deal betreffen. Allerdings gelte das bislang nur für Resolutionen oder für die Abstimmung über Berichte, die dem Europaparlament vorliegen, heißt es; bei Entscheidungen über Gesetze habe sich die EPP-Fraktion noch nicht auf die PfE gestützt.[13] Freilich ist es schon damit gelungen, den Druck vor allem auf die Sozialdemokraten zu erhöhen, sich gleichfalls deutlich nach rechts zu bewegen, um zu verhindern, dass die EPP gemeinsam mit den PfE abstimmt. So verschiebt sich das gesamte politische Koordinatensystem nach rechts.

 

[1] S. dazu „Ein verlässlicher Partner der EU“.

[2] Eliza Gkritsi: EU opens investigation into TikTok and the Romanian election. politico.eu 17.12.2024.

[3] Romania’s electoral bureau bars far-right candidate Georgescu from presidential re-run. lemonde.fr 10.03.2025.

[4] S. dazu Rumäniens „Bekenntnis zu Europa“.

[5] S. dazu Die Brandmauer rutscht.

[6] S. dazu Rüsten ohne Grenzen.

[7] Von der Leyen muss sich Misstrauensvotum stellen. faz.net 02.07.2025.

[8], [9] Thomas Gutschker: Misstrauensantrag gegen von der Leyen scheitert deutlich. faz.net 10.07.2025.

[10] S. dazu Die Brandmauer bricht.

[11] S. dazu Die Brandmauer rutscht.

[12] Hanne Cokelaere: How von der Leyen survived the no-confidence vote – by the numbers. politico.eu 10.07.2025.

[13] Virginie Malingre: La stratégie ambiguë du Parti populaire européen vis-à-vis de l’extrême droite. lemonde.fr 20.06.2025.


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