Rezension: Industriels et banquiers français sous l’occupation
Annie Lacroix-Riz untersucht die Kollaboration der Führungsspitzen der französischen Wirtschaft mit den deutschen Besatzern in den Jahren von 1940 bis 1944. Es ging um Profite in einem geeinten Europa unter deutscher Führung.
Anfang September 1941 stellten einige der einflussreichsten Industriellen und Bankiers des deutsch besetzten Frankreichs ihre Haltung zu den Plänen des NS-Reichs für die Neuordnung des europäischen Kontinents klar. Auf einem Treffen mit einem hochrangigen deutschen Wirtschaftsfunktionär in Paris meldete sich nach einleitenden Worten von Pierre Pucheu, einem Mann der Wirtschaft, der kurz zuvor zum Innenminister des Vichy-Regimes ernannt worden war, Henri Ardant zu Wort. Der Chef der mächtigen Société Générale erklärte im Einvernehmen mit Pucheu und anderen französischen Unternehmern, man setze entschlossen auf Deutschlands Vorstellungen für Europa, nicht zuletzt darauf, dass unter Berliner Führung „die Zollgrenzen beseitigt und eine einheitliche Währung für Europa geschaffen“ würden. Die Stellungnahme sei bemerkenswert, hieß es anschließend in einem streng vertraulichen Bericht eines deutschen Teilnehmers – umso mehr, als Ardant gegenwärtig als „der erste und bedeutendste der französischen Bankiers“ gelten müsse. Aus dem Bericht zitiert in ihrem umfassenden, nun in einer neu überarbeiteten zweiten Auflage publizierten Werk „Industriels et banquiers français sous l’occupation“ („Französische Industrielle und Bankiers während der Besatzungszeit“) die französische Historikerin Annie Lacroix-Riz.
Um die bereitwillige Kollaboration eines Großteils der französischen Industriellen und Bankiers mit der deutschen Besatzungsmacht in den Jahren von 1940 bis 1944 zu verstehen, muss man ihre Vorgeschichte kennen. Die Kollaboration reicht, so schildert es Lacroix-Riz im Einleitungskapitel zu „Industriels et banquiers“, und so hat sie es ausführlich in ihrem Werk Le choix de la défaite beschrieben [1], bis in die 1920er und die 1930er Jahre Jahre zurück. Das war die Zeit, in der französische Konzerne die Absprachen und die Kooperation mit deutschen Konzernen intensivierten – und dabei oft genug eine klare deutsche Führung akzeptierten, zuweilen auch Märkte preisgaben wie etwa Schneider-Creuzot, als 1938/39 Skoda, ein Kronjuwel des Konzernimperiums in der Tschechoslowakei, an die Reichswerke Hermann Göring ging. Hinzu kam, dass Teile der französischen Industriellen und Bankiers, durch ihre Frontstellung gegen die Linke im eigenen Land inspiriert, auf der Suche nach politischen Alternativen schon in den 1920er Jahren nach Italien und ab 1933 dann auch ins Deutsche Reich blickten. „Hitler wird in Frankreich Ordnung schaffen“, gab sich zum Beispiel Georges Lang gewiss, Präsident der Druckerei Curial-Archereau und Mitglied des 1935 gegründeten französischen Comité France-Allemagne, das für die Annäherung an Nazideutschland eintrat.
Die gleichsam offiziöse Geschichtsschreibung zum französischen Umgang mit der deutschen Okkupation lautet, das Vichy-Regime habe dem Reich Akzeptanz verschafft; alle anderen, die Wirtschaft inklusive, hätten sich dem zwar letztlich gefügt, dies allerdings nur widerstrebend. Das stellt die Dinge, wie Lacroix-Riz überzeugend nachweist, von den Füßen auf den Kopf. Mit Verweis auf die kraftvollen Stimmen unter den französischen Industriellen und Bankiers, die bereits vor 1940 eine enge Kollaboration mit dem Reich forderten, hält sie trocken fest: „Man leistet einem Besatzer, den man gerufen und installiert hat, keinen Widerstand.“ Rasch, sogar rascher als die Politik, gingen französische Konzerne daran, sich den Vorstellungen der NS-Führung von der Neuordnung Europas unterzuordnen, von der sie sich in mehrfacher Hinsicht Vorteile versprachen. Es ging nicht nur um kurzfristigen Profit wie zum Beispiel die Möglichkeit zum Raub jüdischen Vermögens im Rahmen der sogenannten Arisierung. Es ging auch darum, das Geschäft langfristig zu steigern. Für diejenigen, die kollaborierten, war die Okkupationszeit eine Ära „guter Profite“, wie Lacroix-Riz konstatiert: Das Kapital der großen Banken verdoppelte oder verdreifachte sich; der Pharmakonzern Théraplix konnte die Profite vervierfachen; die Börsenwerte zahlreicher Unternehmen schnellten nach oben und erreichten bis zum Sechsfachen ihres Vorkriegswerts.
Wie bereitwillig französische Konzernherren dabei mit deutschen Konzernen kollaborierten, zeigt exemplarisch das Unternehmen Kuhlmann, das bereits in den 1920er Jahren angefangen hatte, mit der IG Farben zu kooperieren. Der Plan der IG Farben habe im Sommer 1940 darin bestanden, „die französische Industrie zu verpflichten, für die Kriegsmaschinerie der Nazis zu arbeiten“, zitiert Lacroix-Riz aus Aussagen eines deutschen Insiders. Über Kuhlmann wiederum heißt es in einem Bericht eines anderen Insiders, das Unternehmen habe im August 1940 angeboten, „sich voll und ganz in den Dienst Deutschlands zu stellen, um das Chemiepotenzial für die Fortsetzung des Kriegs gegen Großbritannien zu stärken“. Es sei bereit, für die IG Farben „sämtliche Vor- und Hilfsprodukte herzustellen“, die „von deutscher Seite gewünscht“ würden, hieß es weiter. Man wünsche „eine intime Zusammenarbeit“, ja, nichts Geringeres als die gezielte „Integration der französischen Industrie in die europäische Wirtschaft unter einer deutschen Führung“.
Dass die französischen Industriellen und Bankiers skeptisch wurden, nachdem die deutsche Niederlage bei Stalingrad die Gesamtniederlage des Reichs und seiner Kollaborateure hatte erahnen lassen, und dass einige französische Kollaborateure so langsam daran zu denken begannen, ihre Fühler in Richtung USA auszustrecken, zum mutmaßlichen Sieger also, steht auf einem anderen Blatt. Frankreich fand denn auch nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Platz letztlich in einem Europa wieder, das sich – den Aggressor und Verlierer des Weltkriegs, Deutschland, inklusive – unter dem Einfluss der USA zusammenzuschließen begann. Wie die USA ihre Hegemonie mit Hilfe des Marshall-Plans durchsetzten – gestützt vor allem auf Deutschland, einen bedeutenden Auslandsstandort ihrer Konzerne, Frankreich gezielt in den Prozess einbeziehend –, das hat Lacroix-Riz in ihrem Werk „Les origines du plan Marshall“ beschrieben.[2] Mit der soeben erschienenen überarbeiteten zweiten Auflage der „Industriels et banquiers français sous l’occupation“ hat die emeritierte Professorin für Zeitgeschichte an der Université Paris-Diderot (Paris-VII) ein Kernstück ihres herausragenden Gesamtwerks neu vorgelegt.
[1] S. dazu Rezension: Le choix de la défaite.
[2] S. dazu Rezension: Les origines du plan Marshall.
Annie Lacroix-Riz: Industriels et banquiers français sous l’Occupation. Préface d’Alexandre Jardin. Dunod. Malakoff 2025. 1224 Seiten. 13,90 Euro.
