Transatlantische Zollschlachten
Trump fordert im Zollkonflikt mit der EU deren stärkere Beteiligung am Wirtschaftskrieg gegen China. Berliner Denkfabrik: US-Wirtschaftsmodell ist nicht mehr „nachhaltig“; Trump untergräbt den US-Dollar; Staatsbankrott ist langfristig denkbar.
BERLIN/BRÜSSEL/WASHINGTON (Eigener Bericht) – US-Präsident Donald Trump dringt in den Zollverhandlungen mit der EU auf deren umfassendere Teilnahme am Wirtschaftskrieg gegen China. Dies geht aus US-Medienberichten hervor. Demnach soll Brüssel unter anderem zusätzliche eigene Zölle auf Importe aus der Volksrepublik verhängen, um damit die Auswirkungen der US-Zölle zu verstärken. Seine Drohung vom Freitag, schon ab dem 1. Juni Zölle in Höhe von 50 Prozent auf Einfuhren aus der EU zu verhängen, hat Trump am Sonntag nach einem Telefonat mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurückgezogen. Ob von der Leyen Zugeständnisse machte, ist nicht bekannt. Wie es in einer aktuellen Analyse aus der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, sucht die Trump-Administration mit ihrem globalen Zollkrieg mit aller Macht Auswege aus einer „prekäre[n] Lage“: Aufgrund der ausufernden Staatsschulden sei ein Staatsbankrott auf lange Sicht nicht auszuschließen; die industrielle Grundlage der militärischen Macht der Vereinigten Staaten sei nicht verlässlich gesichert; Trump wolle den US-Dollar als globale Reservewährung halten, unterminiere ihn aber zugleich: Das US-Wirtschaftsmodell, urteilt die SWP, sei „nicht nachhaltig“.
Bedrohlich steigende Schulden
Eines der ernsten ökonomischen Probleme, mit denen die Vereinigten Staaten gegenwärtig konfrontiert sind, ist – so schreibt die SWP – ihre äußerst hohe Verschuldung. Lag sie um die Jahrtausendwende noch bei etwas mehr als 5,5 Billionen US-Dollar, so liegt sie aktuell – nach einem besonders steilen Anstieg seit 2019 – bei 36,2 Billionen US-Dollar. Das sind 124 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP).[1] Erstmals in ihrer Geschichte gäben die USA „heute mehr Geld für den Zinsdienst als für die Verteidigung aus“, stellt die SWP fest. „Eine Trendwende“ sei „nicht in Sicht“: „Die Schuldenlast steigt unaufhörlich weiter.“[2] Nach Berechnungen, die 2023 an der Universität Pennsylvania durchgeführt worden seien, blieben Washington „maximal 20 Jahre“, um die Staatsfinanzen zu sanieren; gelinge dies nicht, sei ein Staatsbankrott unvermeidlich. Laut der SWP hielt sich „der weltgrößte Anleiheverwalter Pimco“ schon Ende 2024 beim Kauf neuer US-Staatsanleihen zurück – aufgrund von „Zweifel[n] an der Tragfähigkeit der Schulden“. Am 16. Mai stufte nun zudem mit Moody’s die dritte große Ratingagentur die Kreditwürdigkeit der USA von Aaa auf Aa1 herab – ein Beleg für den erstarkenden Konsens, die Schulden führten zur „strategischen Einschränkung der Macht und der Führungsrolle der USA“, urteilt das Center for Strategic & International Studies (CSIS) in Washington.[3]
Der Dollar als Waffe
Ein weiteres ökonomisches Problem, dem sich Washington gegenübersieht, ist laut der SWP der Niedergang der US-Industrie, deren Anteil an allen Beschäftigten von rund 20 Prozent im Jahr 1980 auf aktuell rund 8 Prozent gefallen ist. Dies habe „geopolitische Auswirkungen“, hält die SWP fest: „Zugespitzt muss eine Hegemonialmacht in der Lage sein, Stahl und Waffen selbst herzustellen.“[4] Anders lässt sich militärische Dominanz nicht garantieren. Für die Reindustrialisierung der Vereinigten Staaten wäre ein schwächerer US-Dollar günstig, da er Importe verteuerte und der US-Industrie größere Spielräume im Inland und im Export böte. In der Praxis aber ist der US-Dollar stark, weil er, wie die SWP konstatiert, „als globale Reservewährung“ fungiert, also stark nachgefragt wird. Dies ist demnach individuell lukrativ für „wohlhabende Amerikaner“; für den Staat günstig, weil er sich „ohne Wechelkursrisiko“ in eigener Währung verschulden kann; sowie politisch vorteilhaft, weil Washington den Dollar „als finanzpolitische Waffe nutzen und andere Länder mit einer missliebigen Politik sanktionieren kann“. Darauf will auch Trump nicht verzichten. Faktisch führe sein Vorgehen aber zu einer „Schwächung des Dollar“, notiert die SWP: Waren Anfang Februar 1,02 US-Dollar nötig, um einen Euro zu kaufen, so sind es heute 1,14 US-Dollar.
Modell Deutschland
Zu allen inneren Widersprüchen der US-Politik kommen ernste Folgen durch die extreme Exportfixierung der deutschen Industrie hinzu. Deutschlands anhaltend hohe Überschüsse im Außenhandel seien schon 2010 etwa von der heutigen EZB-Präsidentin Christine Lagarde heftig attackiert worden, heißt es in der SWP-Analyse.[5] In der Tat – sie trieben ökonomisch schwächere Länder der Eurozone in die Verschuldung und galten als maßgeblicher Grund für die Eurokrise. Damals hieß es, entweder müsse Deutschland seine Exportfixierung aufgeben, oder die anderen EU-Staaten müssten ebenfalls mehr exportieren, um das Geld einzunehmen, das sie zur Bezahlung ihrer exzessiven Importe aus Deutschland benötigten. Letzteres ist, insbesondere auf Druck Berlins, geschehen. „Die Länder der EU“ hätten „das vielkritisierte Modell Deutschland übernommen“ und seien im Lauf der Jahre „zu gigantischen Waren- und Kapitalexportmaschinen geworden“, bilanziert die SWP. So stieg etwa der Überschuss der EU im Warenhandel mit den USA laut US-Statistiken von knapp 80 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 auf rund 235 Milliarden US-Dollar 2024. Dies wird vom US-Überschuss beim Export von Dienstleistungen nicht ausgeglichen. Der SWP zufolge trägt die EZB, indem sie den Leitzins sehr deutlich unter dem US-amerikanischen hält, zum starken US-Dollar und damit zu günstigen Exportbedingungen für die EU-Industrie bei.[6]
Das Angebot der EU
Der Versuch von US-Präsident Trump, mit brachialen Methoden das Ruder herumzureißen, mit hohen Zöllen zum einen das US-Haushaltsdefizit zu flicken und zum anderen der eigenen Industrie neue Spielräume zu verschaffen, hat in die aktuellen Zollschlachten geführt, nicht zuletzt in diejenigen mit der EU. Berichten zufolge kamen die Verhandlungen zwischen Brüssel und Washington vor gut zwei Wochen mit dem Austausch von Verhandlungspapieren in Gang. Die EU bietet demnach an, künftig mehr Flüssiggas aus den USA zu importieren, zudem Zölle auf Autos und weitere Industrieprodukte sowie bestimmte Agrargüter zu senken, drittens einige nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen, so etwa Zulassungsvorschriften für Autos.[7] Brüssel ist darüber hinaus bereit, gemeinsame ökonomische Maßnahmen gegen China zu ergreifen. Allerdings verlangt die EU im Gegenzug reziproke Zollsenkungen seitens der Vereinigten Staaten; insbesondere soll ihr jüngst global eingeführter Mindestzoll von 10 Prozent, was die EU anbelangt, aufgehoben werden. Zur – in der Bevölkerung unpopulären – Senkung von Lebensmittelstandards sowie zur Abschwächung bestehender Digitalgesetze, wie sie die in der Trump-Administration massiv verankerten US-Tech-Konzerne fordern, ist die EU nicht bereit.
Gemeinsam gegen China
Trump hat am Freitag, weil ihm das Angebot aus Brüssel nicht genügt, gedroht, bereits ab dem 1. Juni generelle Zölle in Höhe von 50 Prozent auf alle Importe aus der EU zu erheben. Die Drohung hat er jedoch bereits am Sonntagabend nach einem Telefongespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurückgezogen. Laut einem Bericht des Wall Street Journal verlangt der US-Präsident nicht nur die Reduzierung oder sogar Aufhebung von Gebühren für Streamingdienste wie Netflix und die Annullierung von Strafen für Tech-Konzerne wie zuletzt für Apple und Meta. Insbesondere dringt er darauf, die EU müsse Zölle auf Einfuhren aus China verhängen, um den US-Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik zu unterstützen.[8] Brüssel ist bislang noch nicht zu weiteren Zugeständnissen bereit. Aus der EU-Kommission heißt es, man könne jederzeit die Gegenzölle auf Waren im Wert von 21 Milliarden Euro wieder einführen, die man Anfang April ausgesetzt habe. Zudem bereite man bis zum 10. Juni ein weiteres Paket von Gegenzöllen vor, die Waren in einem Volumen von 91 Milliarden Euro beträfen.[9] Am gestrigen Montag wurde eine EU-Delegation in den USA erwartet, um dort die Verhandlungen fortzusetzen. Geleitet wird sie vom Vorsitzenden des Handelsausschusses im Europaparlament, Bernd Lange (SPD). Das Enddatum für die Verhandlungen ist laut Trumps Vorgabe der 9. Juli.
[1] Philip Luck: Moody’s Downgrade Signals Deeper Risk: Is U.S. Debt Undermining Global Leadership? csis.org 20.05.2025.
[2] Heribert Dieter: Die unterschätzten Risiken in der US-Ökonomie. SWP-Aktuell 2025/A 23. 15.05.2025.
[3] Philip Luck: Moody’s Downgrade Signals Deeper Risk: Is U.S. Debt Undermining Global Leadership? csis.org 20.05.2025.
[4], [5], [6] Heribert Dieter: Die unterschätzten Risiken in der US-Ökonomie. SWP-Aktuell 2025/A 23. 15.05.2025.
[7] Jakob Hanke Vela, Laurin Meyer: Trump verlängert Frist für neue EU-Zölle auf den 9. Juli. handelsblatt.com 26.05.2025.
[8] Gavin Bade, Kim Mackrael: Why Trump Lashed Out at Europe Over Trade. wsj.com 23.05.2025.
[9] Jakob Hanke Vela, Laurin Meyer: Trump verlängert Frist für neue EU-Zölle auf den 9. Juli. handelsblatt.com 26.05.2025.
