Rumäniens „Bekenntnis zu Europa“
Berlin und Brüssel loben Sieg des liberalen Kandidaten bei Präsidentenwahl in Rumänien. Unterlegener extrem rechter Kandidat vertrat prorussische Positionen. Er erhielt 46,4 Prozent, wurde auch aus Wut über Armut und Korruption gewählt.
BERLIN/BUKAREST (Eigener Bericht) – Mit Genugtuung haben führende Politiker in Deutschland und der EU auf den Sieg des liberalkonservativen Kandidaten Nicușor Dan bei der Präsidentenwahl in Rumänien reagiert. Der extrem rechte Kandidat George Simion musste sich ihm mit 46,4 Prozent geschlagen geben. Rumänien habe sich „zu einem starken und sicheren Europa” bekannt, lobte Kanzler Friedrich Merz. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, das Land habe „das Versprechen” eines „wohlhabenden Rumäniens” gewählt. Tatsächlich erhielt Simion besonders viele Stimmen in den verarmten ländlichen Regionen Rumäniens, des zweitärmsten Landes der EU, sowie in der Diaspora; diese stellt, auch in Deutschland, großenteils die am miserabelsten entlohnten Arbeitskräfte. Ihnen hat die EU nicht Wohlstand, sondern Elend gebracht. Zulauf erhielt Simion zudem, weil als besonders korrupt bekannte Teile des rumänischen Establishments versucht hatten, einen Wahlsieg extrem rechter, prorussischer Kandidaten mit Manipulation zu verhindern. Dass Rumänien, künftig Standort der größten NATO-Luftwaffenbasis Europas, auf klar antirussischem Kurs bleibt, hatten nicht zuletzt Berlin und Brüssel gefordert.
Die Korruption abwählen
Begonnen hatten die Auseinandersetzungen um die Präsidentenwahl in Rumänien nach dem ersten Wahlgang am 24. November 2024. Diesen hatte mit 22,9 Prozent überraschend der bis dahin nur relativ wenig bekannte Kandidat Călin Georgescu gewonnen, der extrem rechte Positionen vertritt und zudem als prorussisch eingestuft wird. Als eine wichtige Ursache für seinen Wahlerfolg wird angesehen, dass das rumänische Establishment als ungemein korrupt gilt. Das betrifft die zwei großen Parteien des Landes gleichermaßen, schon seit langem den Partidul Social Democrat (PSD) des bis zum 6. Mai amtierenden Ministerpräsidenten Marcel Ciolacu, inzwischen aber auch den Partidul Național Liberal (PNL) des bis zum 12. Februar amtierenden Präsidenten Klaus Johannis. Johannis hat zuletzt starken Unmut ausgelöst, als er sich mit Millionensummen aus der Staatskasse einen privaten Alterssitz luxuriös renovieren ließ; Rumänien ist das zweitärmste Land der EU (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Die Präsidentenwahl wurde von nahezu einem Viertel der Wähler offenkundig als Chance begriffen, dem korrupten Establishment den Präsidentenposten zu nehmen bzw. ihm wenigstens einen empfindlichen Dämpfer zu verpassen.
Sieg annulliert, Kandidatur verhindert
Auf Georgescus Wahlsieg in der ersten Runde folgten einerseits heftige Diskussionen im rumänischen Establishment, andererseits allerlei politische Interventionen aus der EU sowie aus den USA. Der Amtsantritt eines prorussischen Präsidenten in Bukarest werde negative Folgen für die Kooperation haben, hieß es drohend im Westen. In Rumänien entsteht derzeit mit dem Ausbau der Luftwaffenbasis Mihail Kogălniceanu unweit der Hafenstadt Constanța am Schwarzen Meer der flächenmäßig größte NATO-Stützpunkt in Europa, größer als die U.S. Air Base Ramstein in Rheinland-Pfalz.[2] Auf starken inneren wie auch äußeren Druck hin annullierte das rumänische Verfassungsgericht am 6. Dezember die erste Wahlrunde und den gesamten Urnengang – nur zwei Tage vor dem geplanten zweiten Wahlgang und unter dem Vorwand, Geheimdienstberichte belegten russische Einflussnahme auf die Wahl. Rief dies bereits schweren Ärger in der Bevölkerung hervor, so nahm die Wut noch weiter zu, als die Wahlkommission am 9. März auch Georgescus Kandidatur zur Wiederholungswahl für ungültig erklärte und das Verfassungsgericht am 11. März die Entscheidung rasch bestätigte. Zum damaligen Zeitpunkt war die Zustimmung zu Georgescu in Meinungsumfragen schon auf rund 40 Prozent in die Höhe geschnellt.[3]
Rekordzuwächse
In der ersten Runde der Wiederholungswahl am 4. Mai erzielte entsprechend George Simion, der an Georgescus Stelle antrat und diesen im Fall seines Wahlsiegs zum Ministerpräsidenten zu machen versprach, fast 41 Prozent. Simion ist Präsident der extrem rechten Partei AUR (Alianța pentru Unirea Românilor, Allianz für die Vereinigung der Rumänen), die sich dafür einsetzt, Rumänien den Staat Moldau einzuverleiben; auch sie wird als prorussisch eingestuft. Erst in der zweiten Runde am Sonntag (18. Mai) gelang dem parteilosen Kandidaten Nicușor Dan mit 53,6 Prozent ein vergleichsweise knapper Sieg über Simion. Dan entstammt weder dem PSD noch dem PNL; er hat sich vor einem guten Jahrzehnt einen Namen als Anti-Korruptions-Aktivist gemacht, wurde auf dieser Grundlage im Jahr 2020 zum Bürgermeister von Bukarest gewählt und 2024 wiedergewählt. Dennoch konnte Simion mit 46,4 Prozent ein Rekordergebnis für Rumäniens extreme Rechte erzielen. Bereits bei der Parlamentswahl am 1. Dezember 2024 hatten drei extrem rechte Parteien unter dem Eindruck der Versuche, Georgescu den eine Woche zuvor erzielten Wahlsieg abzuerkennen, Rekordzuwächse erzielt und gemeinsam 31,8 Prozent erreicht; die AUR wurde mit 18,0 Prozent die zweitstärkste Kraft.
Manipulationen
Nähere Erkenntnisse gibt es mittlerweile über den Vorwurf, Georgescu habe seinen Sieg in der ersten Wahlrunde nur dank einer von Russland gesteuerten Tiktok-Kampagne erzielt. Die Kampagne gab es tatsächlich; allerdings wurde sie laut inzwischen bestätigten Recherchen rumänischer Journalisten des Investigativportals Snoop von der PNL finanziert. Die zunächst absurd anmutende Tatsache ist vermutlich darin begründet, dass die PNL ihren Kandidaten in die Stichwahl zu bringen hoffte und Georgescu im ersten Wahlgang förderte, da sie in ihm einen leichten Gegner sah.[4] Der Vorwurf, Moskau stecke hinter der Kampagne, war also frei erfunden. Vorwürfe wegen Einflussnahme wurden auch bei der Wiederholungswahl laut. Am Sonntagnachmittag – die Wahllokale waren noch geöffnet – berichtete Pavel Durov, Gründer des Messengerdienstes Telegram, im Frühjahr sei er von Nicolas Lerner, dem Leiter des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, bei einem Treffen im Pariser Hôtel de Crillon an der Place de la Concorde dazu aufgefordert worden, „konservative Stimmen“ im rumänischen Wahlkampf auf Telegram zu sperren. Er habe sich genauso geweigert, wie er dies im Fall russischer oder iranischer Regierungsgegner getan habe, erklärte Durov.[5] Der DGSE streitet selbstverständlich alles ab.
Ländliche Armut
Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach der Wahl Dan gratulierte und lobte, Rumänien habe „zahlreiche Manipulationsversuche“ abgewehrt – französische Interventionen waren damit nicht gemeint –, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die rumänische Bevölkerung habe mit Dan „das Versprechen eines offenen, wohlhabenden Rumäniens“ gewählt.[6] In Rumänien sind nach EU-Angaben 27,9 Prozent der Bevölkerung von Armut bzw. armutsbedingter sozialer Ausgrenzung bedroht. Nur in Bulgarien liegt der Anteil höher.[7] Nach Angaben des Borgen Project, einer NGO, die sich dem Kampf gegen Armut und Hunger widmet, leben ungefähr drei Viertel der rumänischen Armutsbevölkerung auf dem Land.[8] Dort ist der Anteil der Wähler von Georgescu und Simion erheblich höher als in Städten, wo vor allem aufstrebende Mittelschichten Dan gewählt haben. Auf dem Land hat die EU der Bevölkerung allzu oft nicht Wohlstand, sondern Armut gebracht.
Verarmte Diaspora
Ähnlich verhält es sich in der rumänischen Diaspora, in der das Wählerpotenzial von Simion besonders hoch ist; so auch in Deutschland, wo der extrem rechte AUR-Kandidat am Sonntag auf 67 Prozent kam.[9] Unter den Rumänen, die in der Bundesrepublik leben und arbeiten, übt nur eine kleine Minderheit, darunter beinahe 4.700 Ärzte, besserbezahlte Berufe aus. Die übergroße Mehrheit muss sich laut Statistiken des Informationsdiensts des Instituts der deutschen Wirtschaft (idw) mit schlecht entlohnten Jobs zufriedengeben, von deren dürftigen Erträgen sie regelmäßig einen Teil für ihre Familien im Herkunftsland abzweigt, um deren drückende Armut ein wenig zu lindern.[10] Auch sie sehen sich von den Versprechungen der EU, ihrer Funktionäre und ihrer rumänischen Kooperationspartner in den finanziell besser gestellten Vierteln rumänischer Städte getäuscht und suchen Letztere nun abzuwählen.
[1] S. dazu „Ein verlässlicher Partner der EU“.
[2] Volker Pabst: In Rumänien entsteht der grösste Nato-Stützpunkt Europas. Neue Zürcher Zeitung 25.03.2024.
[3] Romania’s far right presidential candidate Georgescu barred from election. france24.com 09.03.2025.
[4] Michael Martens: Die Tiktok-Masche. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.05.2025.
[5] Laura Gozzi: Telegram founder and France clash over allegations of interference in Romanian election. bbc.co.uk 18.05.2025.
[6] EU Commission chief congratulates Dan as Romanian president. bbc.co.uk 18.05.2025.
[7] Living conditions in Europe – poverty and social exclusion. ec.europa.eu April 2025.
[8] The Borgen Project: A Timeline of Poverty in Romania. borgenmagazine.com 02.08.2024.
[9] Sarah Rainsford, Paul Kirby, Olimpia Zagnat: Liberal mayor Dan beats nationalist in tense race for Romanian presidency. bbc.co.uk 19.05.2025.
[10] Berufstätige Ausländer: Wer verdient am meisten? iwd.de 15.01.2025.
