„Krieg geht alle an“

Politiker und Militärs drängen die Bevölkerung zur Vorbereitung auf einen großen Krieg: Notbevorratung, Erste-Hilfe-Kurse, „Zivilschutz“ in der Schule, mehr Mittel für das Rote Kreuz, Kapazitäten für eine „Massenanzahl an Verwundeten“.

BERLIN (Eigener Bericht) – Ministerien, Politiker und die Bundeswehr drängen die zivile Bevölkerung der Bundesrepublik zu gezielten Vorbereitungen auf einen großen Krieg. Nach gängigen, womöglich deutlich zu niedrigen Schätzungen müssen pro Tag wohl mindestens tausend Verletzte von der neuen Ostfront nach Deutschland geholt und dort ärztlich versorgt werden. Das deutsche Gesundheitssystem sei nicht auf eine „Massenanzahl an Verwundeten“ vorbereitet, klagt ein Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen; das müsse sich ändern. Das Deutsche Rote Kreuz moniert, ihm fehlten geländegängige Einsatzwagen sowie „mobile Betreuungsmodule“, um bis zu 1,7 Millionen Hilfsbedürftige zu versorgen. Die EU-Kommission fordert die Bevölkerung auf, Notvorräte für drei Tage ohne Außenkontakt vorzuhalten; deutsche Behörden raten zur Bevorratung für bis zu zehn Tage. Methoden zum Selbstschutz im Krieg sollten verstärkt schon in der Schule erlernt werden, verlangt nun das Bundesinnenministerium. Der Reservistenverband, der bis zu 5.000 Tote pro Tag an einer neuen Ostfront für möglich hält, rät, die Bundeswehr auf bis zu 350.000 Soldaten sowie die Zahl der aktiven Reservisten auf „knapp eine Million“ aufzustocken.

Ein Land in Waffen

Um im Kriegsfall die erwarteten Verluste unter den kämpfenden Truppen ausgleichen zu können, dringen Militärs auf die massive Erhöhung nicht nur der Zahl der aktiven Soldaten, sondern auch der verfügbaren Reservisten. „Im Ernstfall“ benötige Deutschland „mindestens 260.000 Reservisten“, erklärt etwa der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU).[1] Zur Zeit gebe es „nur rund 40.000 aktive“ Reservisten; das reiche nicht aus. Sensburg geht zudem davon aus, dass eine weitaus größere Anzahl an aktiven Soldaten nötig sei. NATO-Berechnungen kämen zu dem Ergebnis, „in einem möglichen Krieg“ sei an der NATO-Ostfront „täglich“ von 5.000 Todesopfern unter den eigenen Truppen auszugehen; sie müssten ersetzt werden können. Andernfalls könne man leicht „ausrechnen, wie lange es dauert, bis die Front einbricht“. Schätzungen aus dem Reservistenverband hätten ergeben, dass „300.000 bis 350.000 Soldaten“ erforderlich seien, „um Deutschland in der Fläche mit modernem Kriegsmaterial zu verteidigen“. „Die Zahl der Reservisten“ müsse in etwa „das Dreifache sein“, erklärt Sensburg – „also rund knapp eine Million“. Der Präsident des Reservistenverbandes resümiert: „Wir brauchen ein Massen-Heer“.

Operieren unter Beschuss

Druck machen Politiker und Verbände zudem im Hinblick auf die im Kriegsfall erwartete hohe Zahl an Verletzten. Schon seit längerem kursiert die Zahl von rund 1.000 Verletzten pro Tag, die deutsche Krankenhäuser und Arztpraxen bei eskalierenden Kämpfen an der Ostfront aufnehmen und behandeln müssten.[2] Geht man wie etwa Reservistenverbandspräsident Sensburg von womöglich 5.000 Todesopfern pro Tag aus, wäre mit einer sogar noch deutlich höheren Zahl an Verwundeten zu rechnen. „Die fünf Bundeswehrkrankenhäuser allein reichen nicht aus“, erklärt etwa Generalstabsarzt Johannes Backus – zumal „große Teile ihrer Fachkräfte ... im Ernstfall an der Front benötigt“ würden.[3] In der Bundesrepublik würden zur Zeit durchschnittlich 85 Schwerverletzte pro Tag versorgt, heißt es – viel weniger, als bei einem Krieg zu erwarten seien. Das deutsche Gesundheitssystem sei „nicht auf eine Massenanzahl an Verwundeten“ ausgelegt „und schon gar nicht auf die Versorgung unter anhaltenden Drohnenangriffen oder gar Artilleriebeschuss“, klagt der Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen). Das müsse sich ändern.[4] Kurz zuvor hatte die bayrische Gesundheitsministerin Judith Gerlach verlangt, das deutsche Gesundheitssystem müsse „auf kriegerische Angriffe aller Art“ vorbereitet sein.

Mobile Hospitäler

Entschlossene Vorbereitungen auf einen Kriegsfall fordert auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Wie DRK-Generalsekretär Christian Reuter kürzlich erklärte, gebe es große Lücken im Zivilschutz. So sei man in der Lage, kurzfristig einige zehntausend Menschen zu beherbergen und zu versorgen. Erforderlich seien bei einem Krieg allerdings Kapazitäten für ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, also 840.000 bis 1,7 Millionen Menschen.[5] Investiert werden müsse nicht nur in sogenannte mobile Betreuungsmodule, in denen jeweils mehrere tausend Menschen versorgt werden könnten. Das DRK benötige zum Beispiel auch geländegängige Einsatzwagen in größerer Zahl sowie mobile Hospitäler. Mangel bestehe nicht zuletzt auch beim Personal. So sei es dringend erforderlich, zahlreiche Nichtfachleute zu Pflegeunterstützungskräften auszubilden. Reuter lehnt ein verpflichtendes Dienstjahr für junge Menschen ab, rät aber zu verstärktem Werben um Freiwillige; es sei möglich, bis zu 200.000 jährlich zu gewinnen. Ergänzend solle man – als eine Art Basismaßnahme – wieder verstärkt Erste-Hilfe-Kurse anbieten. Wünschenswert sei es, dafür bis zu ein Fünftel der Bevölkerung zu gewinnen – ungefähr 16 Millionen Menschen.

Notvorrat für zehn Tage

Auf weitere Maßnahmen, die zum Teil auch Privatpersonen erledigen sollen, dringt die EU-Kommission. Sie hat am 26. März ihre Preparedness Union Strategy vorgestellt, die nicht nur eine stärkere zivil-militärische Kooperation vorsieht – zum Beispiel Manöver, die gemeinsam von Streitkräften, Polizei, Feuerwehr und Gesundheitspersonal abgehalten werden sollen –, sondern die auch Schritte fordert, um die Zivilbevölkerung zur Vorbereitung auf Krisen und auf Kriege zu motivieren.[6] Privathaushalte sollen veranlasst werden, Vorräte anzulegen, um mindestens 72 Stunden ohne äußere Hilfe überstehen zu können. Um die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, soll ein „Tag der Bereitschaft“ eingeführt werden.[7] Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) rät, Vorräte nicht bloß für drei, sondern für zehn Tage vorzuhalten; so sollten stets 20 Liter Wasser pro Person, 3,5 Kilogramm Getreide, Brot oder Reis, 4 Kilogramm Gemüse und Hülsenfrüchte sowie weitere Nahrungsmittel zur Verfügung stehen. Auch Kerzen und Streichhölzer gehörten zum Notwendigen hinzu. Wer unsicher sei, erhalte Hilfe beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Dieses bietet online einen Vorratskalkulator an.

Grundausbildung in der Schule

Am Montag hat schließlich das Bundesinnenministerium gefordert, speziell auch Kinder und Jugendliche auf den Kriegsfall vorzubereiten. „Auch schon in der Schulbildung“ solle „ein stärkerer Fokus auf den Zivilschutz“ gelegt werden, äußerte ein Sprecher des Ministeriums gegenüber dem Handelsblatt.[8] Der CDU-Außen- und Militärpolitiker Roderich Kiesewetter hält es für „zwingend nötig“, dass in Schulen „der Ernstfall geübt wird“: Empfehlenswert sei „eine Grundausbildung zum Verhalten in Katastrophenlagen“. Für „Zivilschutzübungen an Schulen“ spricht sich demnach auch die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, aus. Die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann wiederum erklärt, es sei an der Zeit, „vor allem junge Menschen“ „im Hinblick auf äußere Einflüsse oder mögliche Angriffe“ aufzuklären. Strack-Zimmermann behauptet, es gehe bei all diesen Maßnahmen „nicht darum, Angst zu verbreiten“. Vielmehr gelte es, „die Realität bewusst wahrzunehmen“.[9]

„Wo kann ich mich engagieren?“

Unterstützt werden derlei Initiativen von der Bundeswehr. So erklärt etwa der Kommandeur des Bundeswehr-Landeskommandos Baden-Württemberg, Kapitän zur See Michael Giss, mit Blick auf das Ergebnis einer Umfrage, dem zufolge nur ein Drittel aller Deutschen bereit sei, die Bundesrepublik bewaffnet zu verteidigen: „Die anderen zwei Drittel müssen von ihrer Vollkasko-Denke wegkommen und sagen: ‘Wo kann ich mich engagieren?‘“[10] Giss meint zudem ebenfalls, auch die Schulen müssten in die Vorbereitung der Bevölkerung auf künftige Kriege stärker eingebunden werden: „Ich sage immer: Krieg geht alle an.“

 

[1] Daniel Mützel: „Leute werden haufenweise weggeschickt“. t-online.de 04.04.2025.

[2] S. dazu Das Mindset für den Krieg.

[3] Christian Geinitz: Bundeswehr hat für Krieg nicht genügend Kliniken. Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.03.2025.

[4] Chirurgen warnen: Kliniken nicht auf Kriegsfall vorbereitet. aerzteblatt.de 26.03.2025.

[5] Christian Geinitz: Rotes Kreuz: Bevölkerung im Kriegsfall kaum geschützt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 07.03.2025.

[6] EU Preparedness Union Strategy to prevent and react to emerging threats and crises. ec.europa.eu 26.03.2025.

[7] Sophie Bierent: EU-Kommission rät Bürgern zum Anlegen eines Notvorrats: Was Sie daheim haben sollten. web.de 28.03.2025.

[8], [9] Dietmar Neuerer: Innenministerium rät Bürgern zur Vorbereitung auf den Ernstfall. handelsblatt.com 07.04.2025.

[10] Südwest-Kommandeur: „Krieg geht alle an“. n-tv.de 27.03.2025.


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