Scheiternde High-Tech-Projekte
Drei strategische High-Tech-Projekte in Deutschland – zwei Chipwerke, eine Batteriefabrik – sind vom Scheitern bedroht; das trifft die Bundesrepublik in einer Wirtschaftskrise und deutet auf weiteren ökonomischen Abstieg hin.
HEIDE/ENSDORF/MAGDEBURG (Eigener Bericht) – Drei strategische Milliardenprojekte zur Ansiedlung zentraler High-Tech-Industrien in Deutschland verzögern sich und sind vom Scheitern bedroht. Schon seit geraumer Zeit ist bekannt, dass sich der milliardenschwere Bau einer Halbleiterfabrik des US-Unternehmens Wolfspeed im saarländischen Ensdorf bis mindestens 2026 verschieben wird. Mittlerweile wird sogar über seine Absage spekuliert. Ähnlich verhält es sich mit dem geplanten Intel-Werk in Magdeburg, das 30 Milliarden Euro kosten soll; sein Bau wird ebenfalls verschoben und könnte, zumal Intel von der Übernahme durch einen Rivalen bedroht ist, ebenfalls aufgegeben werden. Darüber hinaus kann auch der Bau einer riesigen Batteriefabrik des schwedischen Start-ups Northvolt im norddeutschen Heide nicht mehr als gesichert gelten: Northvolt hat sich übernommen, muss gut ein Fünftel seiner Mitarbeiter entlassen und Firmenteile verkaufen. Die Chipwerke sowie die Batteriefabrik sollen es Deutschland erleichtern, sich in der weltweiten Rivalität um zentrale Zukunftstechnologien zu behaupten. Die Aussicht, dazu nicht in der Lage zu sein, trifft die Bundesrepublik mitten in einer harten Wirtschaftskrise.
Von Ostasien dominiert
Das schwedische Start-up Northvolt war in den vergangenen Jahren als große europäische Hoffnung in der Batterieherstellung gepriesen worden. Batterien wird strategische Bedeutung zugeschrieben; Experten betonen, neben dem Personenverkehr seien etwa der zukünftige Transportsektor oder auch die Rüstungsbranche ohne sie nicht mehr denkbar.[1] Umso schwerer wiegt es aus Sicht Berlins und Brüssels, dass der globale Batteriemarkt zur Zeit fast ausschließlich von ostasiatischen Konzernen bedient wird; die größten Anteile halten CATL (China, 36,9 Prozent), BYD (China, 15,8 Prozent) und LG Energy Solution (Südkorea, 13,8 Prozent) vor Panasonic (Japan, 6,8 Prozent), SK On (Südkorea, 5,1 Prozent) sowie CALB (China, 4,7 Prozent).[2] Northvolt sollte, gestützt vor allem auf Abnehmer aus Europa, in der Branche einen rasanten Aufstieg hinlegen. Dazu suchte das Unternehmen sich äußerst breit aufzustellen. Hatten die großen ostasiatischen Batteriehersteller sich in ihren ersten Jahren in der Regel ausschließlich auf ihr Kerngeschäft fokussiert, so war Northvolt bemüht, große Teile der Wertschöpfungskette abzudecken, beispielsweise auch Kathoden herzustellen und Recycling einzubeziehen.[3] Damit hat das Unternehmen sich aber wohl übernommen.
Verzögert
So erreicht das Unternehmen in seiner Gigafactory im nordschwedischen Skellefteå, in der perspektivisch eine Jahreskapazität von bis zu 16 Gigawatt erreicht werden soll, derzeit nicht einmal ein Gigawatt. Das hat zur Folge, dass Käufer, die Batterien schon bald benötigen, abspringen; BMW etwa hat kürzlich einen Vertrag im Wert von zwei Milliarden US-Dollar gekündigt. Zugleich drohen, weil der Absatz von Elektroautos in Europa stockt, Kunden auf mittlere Sicht mangels Bedarfs wegzubrechen, was den Absatz schwächt. Im vergangenen Jahr ist der Verlust von Northvolt von 285 Millionen US-Dollar auf 1,2 Milliarden US-Dollar in die Höhe geschnellt. In den vergangenen Wochen hat sich die Firmenleitung gezwungen gesehen, Unternehmensteile – etwa die Kathodenherstellung – abzustoßen und zudem 1.600 von 7.100 Mitarbeitern zu entlassen.[4] Für Deutschland hat die Schwächephase der Firma doppelt Folgen. Zum einen trifft sie Volkswagen und BMW, die Anteile von 21 bzw. 2,8 Prozent an Northvolt halten. Zum anderen steht womöglich die Zukunft der geplanten Fabrik im norddeutschen Heide in Frage, die perspektivisch Batterien mit jährlich 60 Gigawatt ausstoßen sollte, subventioniert mit 900 Millionen Euro vom deutschen Staat. Aktuell räumt Northvolt nur mögliche Verzögerungen beim Bau des Werkes ein. Ob es dabei bleibt oder ob der Bau komplett abgesagt werden muss, wird sich zeigen.
Verschoben
Schwierigkeiten treten auch bei einem weiteren Vorhaben auf, mit dem die Bundesregierung die Ansiedlung modernster Technologien in Deutschland vorantreiben will: bei der Fabrik für Halbleiter aus Siliziumkarbid, die der US-Chiphersteller Wolfspeed gemeinsam mit dem Kfz-Zulieferer ZF im saarländischen Ensdorf errichten will. Siliziumkarbid-Chips verlängern die Reichweite von Elektroautos und verkürzen die Ladezeiten. Wolfspeed erhält für die bis zu drei Milliarden Euro teure Fabrik staatliche Subventionen in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro.[5] Der Baubeginn verzögert sich aber. War er zunächst für 2023 in Aussicht gestellt, zu Jahresbeginn dann von 2024 auf 2025 verschoben worden, so heißt es jetzt, vor 2026 sei nicht mit dem Start der Arbeiten zu rechnen. Genannt werden verschiedene Gründe. Zum einen läuft das Heimatgeschäft des US-Konzerns nicht rund; Wolfspeed verzeichnete zuletzt steigende Verluste und sah sich infolgedessen gezwungen, die Summen, die für Neuinvestitionen zur Verfügung stehen, erheblich zu reduzieren. Wo die mehr als zwei Milliarden Euro herkommen sollen, die das Unternehmen trotz der deutschen Subventionen für die Fabrik in Ensdorf aufbringen muss, ist unklar.[6] Zum anderen steigt die Nachfrage nach Siliziumchips nicht so rasch wie erhofft. Längst wird über die Absage des Projekts spekuliert.
Abgestürzt
Möglicherweise vor dem Scheitern steht auch das mit Abstand teuerste der Vorhaben, mit denen die Bundesregierung die Ansiedlung modernster High-Tech-Branchen in Deutschland vorantreiben wollte: der Bau einer Fabrik des Halbleiterkonzerns Intel in Magdeburg. Intel, bereits 1968 gegründet und einst der wertvollste Chiphersteller weltweit, hat zuletzt stark an Wert verloren. Eine der Hauptursachen ist, dass der Konzern vom aktuellen Boom der Künstlichen Intelligenz (KI) kaum profitiert; er stellt Halbleiter vor allem für Computer und für Rechenzentren her, nicht aber KI-Chips, die gegenwärtig die mit Abstand größten Gewinne erzielen. Intel hat dabei zuletzt nicht nur an der Börse massiv an Wert verloren – mehr als 50 Prozent –, sondern auch Umsatzrückgänge verzeichnet und harte Verluste hinnehmen müssen. Darüber hinaus will der Konzern rund 15.000 Mitarbeiter entlassen.[7] Laut Berichten könnte er sogar von seinem Rivalen Qualcomm übernommen werden. Die Aussichten des Konzerns werden als düster beschrieben. Ein Branchenexperte wird mit der Einschätzung zitiert, seine Zukunft hänge letzten Endes davon ab, ob eine neue Technologie, die 2025 eingeführt werden solle, sich als erfolgreich erweise. Sei das der Fall, dann könne Intel auf neue Gewinne hoffen. Sei das nicht der Fall, dann könne es „zu spät“ für einen Kurswechsel sein.[8]
Zur Disposition gestellt
Ausgerechnet Intel nimmt in den aktuellen Planungen der Bundesregierung einen zentralen Stellenwert ein. Der Konzern wollte in Magdeburg eine hochmoderne Halbleiterfabrik errichten – für insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro. Davon sollten etwa zehn Milliarden Euro vom deutschen Staat als Subventionen gezahlt werden. Die Produktion sollte 2027 starten und den Stellenwert der Bundesrepublik als Halbleiterstandort beträchtlich erhöhen. Anfang vergangener Woche teilte Intel-Chef Patrick Gelsinger allerdings mit, aufgrund der aktuellen Schwierigkeiten des Chipherstellers werde der Baubeginn in Magdeburg um mindestens zwei Jahre verschoben. Nicht nur die Krise des Konzerns, auch Äußerungen, die Gelsinger tätigte, wecken freilich Zweifel daran, ob das Werk in Magdeburg überhaupt noch gebaut wird. So erklärte der Intel-Chef in einem Schreiben an die Mitarbeiter des Konzerns, man habe unlängst „unsere Kapazitäten in Europa durch unsere Fabrik in Irland erhöht“; diese werde „auf absehbare Zeit unser wichtigstes europäisches Drehkreuz bleiben“.[9] Der Baubeginn in Magdeburg, betonte Gelsinger, hänge von der künftigen Nachfrage nach Halbleitern ab. Demnach kann der Bau der teuersten der in Deutschland geplanten Fabriken nicht mehr als gesichert gelten.
Vom weiteren Abstieg bedroht
Nicht vom Scheitern bedroht sind nach aktuellem Stand die beiden Halbleiterfabriken, die TSMC aus Taiwan und der deutsche Infineon-Konzern in Dresden errichten. Dennoch galten auch die Chipwerke von Wolfspeed und von Intel als erforderlich, um Deutschland in der globalen Konkurrenz um zentrale Zukunftstechnologien nicht noch weiter zurückfallen zu lassen. Dasselbe galt für die Northvolt-Batteriefabrik. Die Aussicht, die drei Werke könnten gravierenden Problemen der Mutterkonzerne zum Opfer fallen, trifft Deutschland mitten in einer rasant eskalierenden Wirtschaftskrise, die seine drei ertragreichsten Branchen – Kfz, Maschinenbau, Chemie – bedroht (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Sie verstärkt die Aussicht auf einen fortgesetzten ökonomischen Abstieg der Bundesrepublik.
[1] Richard Milne: Europe’s great battery hope Northvolt fights for survival. ft.com 19.09.2024.
[2] Marie Mannes: Northvolt to axe 1,600 jobs as Europe’s EV hopes stall. reuters.com 23.09.2024.
[3] Richard Milne: Europe’s great battery hope Northvolt fights for survival. ft.com 19.09.2024.
[4] Northvolt bei Heide: Was bedeuten die Entlassungen in Schweden? ndr.de 24.09.2024.
[5] Bernd Freytag, Benjamin Wagener: Amerikaner wollen mehr Subventionen für saarländische Chipfabrik. faz.net 30.03.2024.
[6] Martin-W. Buchenau, Joachim Hofer: Der Plan für ein Chipwerk im Saarland wankt. handelsblatt.com 23.08.2024.
[7] Intel wird Übernahmekandidat. Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.09.2024.
[8] Asa Fitch: How Intel Fell From Global Chip Champion to Takeover Target. wsj.com 21.09.2024.
[9] Joachim Hofer, Julian Olk: Chipkonzern verschiebt Baustart von Werk in Magdeburg um Jahre. handelsblatt.com 16.09.2024.
[10] S. dazu Das Ende des deutschen Exportmodells.