Seemacht EU
EU-Kommission legt Update der Maritimen Sicherheitsstrategie der EU vor. Josep Borrell: „EU muss lernen, sich auch auf See durchzusetzen“.
BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die EU-Kommission legt ein Update ihrer Maritimen Sicherheitsstrategie vor und dringt auf eine umfassende Marineaufrüstung und auf jährliche EU-Seemanöver. Wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärt, müsse die Union „in Zeiten steigender geopolitischer Spannungen ... lernen, sich auch auf See durchzusetzen“. Die neue EU-Strategie, die nun noch von den Mitgliedstaaten gebilligt werden muss, sieht nicht nur Maßnahmen zur Bekämpfung von Piraten oder zur Verhinderung von Waffenschmuggel vor, wie sie bereits mit der Operation Atalanta am Horn von Afrika oder mit der Operation Irini vor der Küste Libyens durchgeführt werden. Ausdrücklich geht es auch um militärische Aktivitäten vor dem Hintergrund des zunehmenden „strategischen Wettbewerbs“ mit anderen Staaten „um Macht und Ressourcen“. In speziellem Maß nimmt die EU den Indischen und den Pazifischen Ozean („Indo-Pazifik“) in den Blick, der als „Gebiet eines intensiven geopolitischen Wettbewerbs“ charakterisiert wird. Gemeint ist der Machtkampf des Westens gegen China, der zur Zeit rasant eskaliert.
Die Maritime Sicherheitsstrategie der EU
Erstmals verabschiedet hat die EU eine Maritime Sicherheitsstrategie (European Maritime Security Strategy, EUMSS) im Jahr 2014. Zur Begründung hieß es damals, der größere Teil nicht nur des Außen-, sondern auch des Binnenhandels der Union werde auf dem Seeweg abgewickelt. Insbesondere hänge die Energiesicherheit der EU in hohem Maß vom Import von Energieträgern über die Weltmeere ab.[1] Nicht zuletzt verliefen über 70 Prozent der EU-Außengrenzen im Meer. Die Sicherheit der maritimen Gewässer bzw. die Sicherung der Seewege seien deshalb für die EU von größter Bedeutung. Bereits damals hieß es, dies gelte grundsätzlich global – insbesondere für das „Netzwerk der Schifffahrtsrouten zwischen Kontinenten“, aber auch für verschiedene Seegebiete mit spezieller strategischer Bedeutung. Besonders habe die EU die Nord- und die Ostsee, das Mittel- und das Schwarze Meer, die arktischen Gewässer und den Atlantischen Ozean sowie die Outermost Regions (OMR, Gebiete in äußerster Randlage) im Blick. Letzteres bezieht sich auf die Gewässer rings um oder vor Territorien etwa in der Karibik oder im Indischen bzw. im Pazifischen Ozean, die von EU-Staaten kontrolliert werden – Länder und Inseln, die die Kolonialmächte einst erobert hatten und die sie bis heute in ihrem Besitz halten.
Im Golf von Guinea
Die neue Maritime Sicherheitsstrategie, die die EU-Kommission und der Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag vorgelegt haben, knüpft im Kern an die Version aus dem Jahr 2014 an. So heißt es, auch weiterhin müsse man zum Beispiel gegen Piraterie, Menschenhandel, Schmuggel von Waffen und Drogen, illegalen Fischfang oder Terrorismus vorgehen; die EU tue dies beispielsweise im Rahmen ihrer Operation Atalanta, mit der sie seit 2008 am Horn von Afrika Piraten bekämpft, oder im Rahmen ihrer Operation Irini, mit der sie seit 2020 das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen sucht. Außerdem sollen Maßnahmen wie diejenigen weitergeführt werden, mit denen die EU im Golf von Guinea tätig ist. Die Region ist seit vielen Jahren von Piraterie betroffen, was die Union insofern trifft, als dort zahllose europäische Handelsschiffe kreuzen. Die EU unterstützt jetzt Anrainerstaaten bzw. regionale Organisationen etwa bei der Verbesserung der Hafensicherheit oder auch bei Entwicklung sowie Umsetzung maritimer Sicherheitsstrategien.[2] In der Vergangenheit hat die Deutsche Marine auch schon an Großmanövern im Golf von Guinea teilgenommen, deren Ziel darin bestand, den gemeinsamen Kampf gegen Piraten zu proben.[3]
„Strategischer Wettbewerb“
Allerdings geht die neue Maritime Sicherheitsstrategie über die Einsatz- und Operationswelt ihrer Vorgängerin deutlich hinaus. Zum einen zielt sie auf den verstärkten Schutz der eigenen maritimen Infrastruktur ab – etwa auf den Schutz von Häfen und Küsteninfrastruktur, von Schiffen, aber auch von Pipelines und Unterseekabeln, und zwar unter explizitem Bezug auf den Anschlag auf die Nord Stream-Pipelines. Das ist insofern durchaus bemerkenswert, als dieser Anschlag laut Recherchen des investigativen US-Journalisten Seymour Hersh vom wohl engsten Verbündeten der EU begangen wurde.[4] Zum anderen nimmt die Strategie die Seewege weltweit ins Visier und zielt dabei ausdrücklich etwa auf die Straße von Hormuz – die Einfahrt aus dem Indischen Ozean in den Persischen Golf –, auf die Straße von Malakka – die Einfahrt aus dem Indischen Ozean ins Südchinesische Meer – sowie darüber hinaus auf das Südchinesische Meer selbst. Bei alledem hat die EU die Zunahme des „strategischen Wettbewerbs um Macht und Ressourcen“ zwischen den Staaten weltweit im Blick. Mehrere Staaten suchten Kernelemente der „multilateralen Ordnung“ neu zu definieren, heißt es in der Strategie. Die Aussage zielt vor allem auf Russland und auf China.
Im Südchinesischen Meer
Ganz besonders zielt die EU in ihrer neuen Strategie auf Aktivitäten im Indischen und im Pazifischen Ozean („Indo-Pazifik“ [5]) ab. Die Region, in der die EU über die französischen Übersee-Départements La Réunion und Mayotte sowie über Frankreichs faktische Kolonien Neukaledonien, Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna verankert ist, wird als „Gebiet eines intensiven geopolitischen Wettbewerbs“ charakterisiert.[6] Dort müsse die EU nicht nur stärker Präsenz zeigen, sondern auch mit Verbündeten eng kooperieren, heißt es; genannt werden insbesondere Australien, Japan und Südkorea, Singapur, Indonesien, Indien und Oman. Faktisch geht es darum, im großen Machtkampf des Westens gegen China die westlichen Positionen zu stärken, nicht zuletzt vor den chinesischen Küsten; die neue EU-Strategie erwähnt ausdrücklich das Süd- und das Ostchinesische Meer. Die Deutsche Marine hat schon längst begonnen, Manöver in der Asien-Pazifik-Region abzuhalten; so führte die Fregatte Bayern von August 2021 bis Februar 2022 eine Übungsfahrt dorthin durch (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Die nächste Asien-Pazifik-Expedition der Deutschen Marine ist für das kommende Jahr geplant.
„Globaler Sicherheitsgarant“
Zusätzlich zu derlei nationalen Übungen kündigt die neue Maritime Sicherheitsstrategie ein jährliches EU-Marinemanöver an, das die Einsatzbereitschaft sowie die Interoperabilität verbessern soll. Darüber hinaus sollen die EU-Staaten ihre Marinen aufrüsten, um nicht nur Überlegenheit bei Überwasserschiffen, sondern auch Unterwasserkontrolle zu erlangen und Seemacht projizieren zu können. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell lässt sich dazu mit der Aussage zitieren, die Meere seien „ein zunehmend umkämpfter strategischer Bereich“: „In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen muss die EU lernen, sich auch auf See durchzusetzen.“ Mit der neuen Maritimen Sicherheitsstrategie schöpfe man „unsere Instrumente voll aus“: „Wir erfüllen unsere Zusage, die Stellung der EU als globaler Garant der maritimen Sicherheit zu stärken“.[8]
[1] European Union Maritime Security Strategy. Brussels, 24 June 2014.
[2] Joint Communication to the European Parliament and the Council on the update of the EU Maritime Security Strategy and its Action Plan “An enhanced Maritime Security Strategy for evolving maritime threats”. Brussels, 10.03.2023.
[3] S. dazu Öl für Rüstungsexporte.
[4] S. dazu Tatort Ostsee (II) und Tatort Ostsee (IV).
[5] S. dazu Deutschland im Indo-Pazifik (I).
[6] Joint Communication to the European Parliament and the Council on the update of the EU Maritime Security Strategy and its Action Plan “An enhanced Maritime Security Strategy for evolving maritime threats”. Brussels, 10.03.2023.
[7] S. dazu Die Fregatte Bayern auf Kolonialfahrt (II) und Mit der Luftwaffe an den Pazifik.
[8] Sicherheit: EU aktualisiert Strategie zum Schutz des maritimen Raums. germany.representation.ec.europa.eu 10.03.2023.
