Wilhelminismus pur
BERLIN (Eigener Bericht) - Mit einiger Skepsis reagieren Beobachter im Ausland auf die jüngsten Erfolgsmeldungen der deutschen Wirtschaft. Im zweiten Jahresviertel sind die Ausfuhren deutscher Unternehmen sprunghaft angestiegen und haben der Bundesrepublik das stärkste Quartalswachstum seit 1990 eingebracht. Damit vertiefe sich die ökonomische Spaltung der Eurozone, urteilt mit Blick auf schlechte Quartalswerte in den südlichen Euroländern die britische Wirtschaftspresse. Spanische Medien teilen diese Einschätzung. Die wachsenden Ungleichgewichte im Währungsgebiet bedrohen auf Dauer den Bestand des Euro, erklären Kritiker mit Blick auf die deutsche Ausfuhroffensive, die das eigene Wachstum auf Kosten vor allem der südlichen Euroländer forciert. Der US-Investor George Soros warnt zudem seit einiger Zeit, das Berliner Spardiktat treibe die gesamte Eurozone in eine Deflationsspirale. Ernsten Unmut erregt schließlich auch die hartnäckige Arroganz, mit der die Bundesregierung ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen in der Eurozone durchzusetzen sucht. In der deutschen Kampagne gegen Griechenland während der Krise im Frühjahr sei "Wilhelminismus pur" zutage getreten, urteilt ein Experte aus dem Pariser Büro des Thinktanks European Council on Foreign Relations.