„Wunsch nach klarer Friedenspolitik“

Interview mit Ulrike Eifler über die Lage der Gewerkschaften unter dem Eindruck der Kriegsvorbereitungen, über den drohenden Sozialkahlschlag und über den energischen Kampf vieler Gewerkschafter für den Frieden.

WÜRZBURG Über die Lage der Gewerkschaften unter dem Eindruck der aktuellen Kriegsvorbereitungen durch die Bundesregierung sprach german-foreign-policy.com mit Ulrike Eifler. Eifler, Gewerkschafterin in Würzburg, Mitglied im Parteivorstand von Die Linke sowie Mitorganisatorin der „Gewerkschaftskonferenzen für den Frieden“, sieht die Gewerkschaften gegenwärtig unter dem Druck von Deindustrialisierung und Umleitung sämtlicher verfügbaren staatlichen Ressourcen in die Militarisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in einer schwierigen Lage. Sie weist allerdings auf die historische Rolle von Arbeitskämpfen bei der Beendigung von Kriegen hin – und auf die Rolle von Gewerkschaften in den Massenprotesten gegen die Hochrüstung in den 1980er Jahren, in den Protesten gegen die Irak-Kriege 1991 und 2003 und international auch gegen den Gaza-Krieg. In Deutschland freilich habe es eine größere Zurückhaltung gegeben. Eifler dringt auf eine enge Einbindung der Gewerkschaften in die Kämpfe gegen Krieg und Militarisierung und warnt, die Unionsparteien orientierten zur Absicherung ihrer Deregulierungspläne „immer stärker auf die AfD“.

german-foreign-policy.com: Sie kämpfen als Gewerkschafterin gegen die gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen der Bundesregierung. Warum gerade als Gewerkschafterin?

Ulrike Eifler: Weil die Politik der Kriegsvorbereitung zu Lasten der arbeitenden Mehrheit geht. Das lässt sich auf verschiedenen Ebenen beobachten. Die offensichtlichste ist die Verteilungsebene: Jeder Euro, der ins Militär gesteckt wird, fehlt für soziale Projekte, für eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung, für gute Bildung – für alles, was die Gesellschaft aufrechterhält. Nicht zufällig also werden derzeit überall in Europa Kürzungspakete geschnürt. Dann gibt es die tarifpolitische Ebene, denn in dem aktuellen Diskurs aus Krise und Krieg kommt die gewerkschaftliche Tarifpolitik unter Druck. Wenn beispielsweise die Bundesregierung den Acht-Stunden-Tag abschaffen will, dann ist das kein Rückenwind für die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche. Es zeigt sich: Der Diskurs der Bundesregierung schafft ein Klima des Verzichts, das nicht den Forderungen der Gewerkschaften Auftrieb gibt, sondern denen der Arbeitgeber.

Und dann gibt es noch eine dritte Ebene – die betriebliche Mitbestimmung. Führende deutsche Politiker im Europaparlament wie Manfred Weber fordern mittlerweile offen die Umstellung auf Kriegswirtschaft. Weber betont dabei, Kriegswirtschaft bedeute, dass der Staat bestimme, was ein Unternehmen herstellt – ob es etwa für den zivilen oder für den Rüstungssektor produziere. Und es soll auch der Staat sein, der darüber entscheidet, ob am Wochenende Überstunden gemacht werden müssen oder nicht. Das ist ein fundamentaler Angriff auf den tagtäglichen Kampf von Betriebsräten, über die Arbeitsbedingungen mitentscheiden zu können.

german-foreign-policy.com: Nun nehmen die Gewerkschaften manchmal eine ambivalente Rolle ein. Einerseits haben viele Gewerkschafter aktiv gegen den Krieg gekämpft…

Ulrike Eifler: Das für mich beeindruckendste Beispiel ist nach wie vor die Novemberrevolution. Der Streik von 750.000 Fabrikarbeiterinnen – es waren überwiegend Frauen – in den Berliner Munitionsfabriken läutete im Januar 1918 eine Streikwelle ein, die schließlich den Ersten Weltkrieg beendete. Später, in den 1980er Jahren, waren die Gewerkschaften ein wichtiger Bestandteil der Friedensbewegung, ebenso während des Golfkriegs 1991 oder während des Irakkriegs 2003. Gewerkschaften und Friedensbewegung – das gehörte in Deutschland immer zusammen. Als aber die israelischen Angriffe auf den Gazastreifen begannen, da forderten in sehr vielen Ländern weltweit Gewerkschaften eine Beendigung des Krieges. Es gab zwei Gewerkschaftsbünde, die da zurückhaltender waren.

german-foreign-policy.com: Andererseits verteidigen Gewerkschaften auch immer wieder die Rüstungsproduktion, weil sie Arbeitsplätze schafft. Wie geht das zusammen?

Ulrike Eifler: Das hängt damit zusammen, dass eine Politik der Kriegsvorbereitung Gewerkschaften in Widerspruchskonstellationen drängt. Wir erleben derzeit ja nicht nur, dass neue Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie entstehen; wir erleben ja parallel dazu auch den Verlust von Arbeitsplätzen in anderen Branchen. Allein 2024 sind rund 100.000 Arbeitsplätze in der Industrie aktiv abgebaut worden. Aufschwung und Krise liegen also eng beieinander.

Und beim Verlust von Industriearbeitsplätzen reden wir über oft gut bezahlte, tariflich abgesicherte Arbeitsplätze, häufig in Branchen, in denen die Gewerkschaften gut organisiert und traditionell durchsetzungsstark waren. Die Durchsetzungsstärke in diesen Bereichen hat wesentlich den Aufbau eines starken Sozialstaates möglich gemacht. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etwa ging zurück auf einen Arbeitskampf der Werftarbeiter in Schleswig-Holstein im Jahr 1956, der 16 Wochen lang dauerte. Hier zeigt sich, dass die aktuelle Deindustrialisierung zu einer Schwächung der gewerkschaftlichen Kampfkraft insgesamt führen kann. Diese widersprüchliche Entwicklung – Aufschwung in der Rüstungsindustrie und Krise in zivilen Branchen – führt auch in den Gewerkschaften zu einer widersprüchlichen Entwicklung.

german-foreign-policy.com: Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs kann man immer wieder beobachten, dass zumindest Teile der Gewerkschaftsführungen eine klare Antikriegspolitik ablehnen. Wie kann man sich das erklären?

Ulrike Eifler: Das hängt zum einen mit der Schwäche der Friedensbewegung zusammen. In den 1980er Jahren hatte die Friedensbewegung mit SPD und Grünen ein starkes infrastrukturelles Rückgrat. Dieses Rückgrat ist 1999 mit Beginn des Jugoslawienkrieges weggebrochen, was die Friedensbewegung verletzlicher gemacht und auch den Diskurs von Gewerkschaften und Friedensbewegung geschwächt hat.

Es hängt aber auch damit zusammen, dass die Menschen in der Bundesrepublik seit 80 Jahren im Frieden leben. Wir sind aufgewachsen in der Gewissheit, dass Kriege nicht bei uns, sondern weit weg auf anderen Kontinenten stattfinden. Um die aktuelle Kriegsgefahr zu erkennen, braucht man die Bereitschaft zum Bruch mit dem, was uns über Jahrzehnte hinweg geprägt hat.

Ein dritter Grund ist das historisch gewachsene, enge Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften, was immer dann zum Problem wird, wenn – wie aktuell – die SPD in der Bundesregierung sitzt. Gerade jetzt, wo die Große Koalition zu einer Politik offener Kriegsvorbereitungen übergegangen ist, dürfen die Gewerkschaften ihr politisches Mandat nicht an die SPD delegieren, sondern müssen es selbst wahrnehmen. Das ist in der Praxis nicht immer einfach.

Diese drei Elemente wirken sich wesentlich auf die friedenspolitischen Debatten in den Gewerkschaften aus. Trotzdem nehme ich in vielen gewerkschaftlichen Gremien den Wunsch nach einer klaren Friedenspolitik wahr. In München haben ver.di und die GEW eine Initiative „Rüstung runter, Soziales rauf“ gestartet. Die GEW Bayern hat eine Popularklage gegen das Bayrische Bundeswehrförderungsgesetz initiiert, das Lehrer verpflichtet, Soldaten in den Unterricht einzuladen. Seit drei Jahren finden ehrenamtlich organisierte bundesweite Gewerkschaftskonferenzen für den Frieden statt. Bei H&M haben die Betriebsräte auf ihrer Betriebsrätevollversammlung ein beeindruckendes Statement gegen Aufrüstung und Militarisierung abgegeben. Ich erlebe Kolleginnen und Kollegen, die Anti-Kriegs-Veranstaltungen in ihren Gewerkschaftshäusern durchführen. Verschiedene Gremien von der ver.di über die GEW bis hin zur IG Metall sind gemeinsam zu Anti-Kriegs-Demonstrationen am 3. Oktober gefahren. Und natürlich wurde auch auf den Gewerkschaftstagen um unsere friedenspolitischen Positionen gerungen. Es gibt also eine ganze Reihe von Aktivitäten – kleine Pflänzchen, zugegeben, doch die müssen wir pflegen, damit große, kraftvolle Friedenspflanzen aus ihnen werden.

german-foreign-policy.com: Sie haben eingangs die Angriffe auf den Sozialstaat und auf Arbeitsrechte zugunsten einer hemmungslosen Aufrüstung erwähnt. Die reichen schon jetzt ziemlich weit…

Ulrike Eifler: Das ist in der Tat äußerst besorgniserregend. Es geht um fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die die Bundesregierung schon 2029 für das Militär ausgeben will – fünf Jahre früher, als es die NATO fordert. Das sind insgesamt 215 Milliarden Euro und damit die Hälfte des Bundeshaushalts. Man muss kein Rechenkünstler sein, um zu erkennen, dass diese Ausgabenpolitik zwingend Sozialkürzungen nach sich ziehen muss. Hört man den Vertretern der Bundesregierung aufmerksam zu, wird deutlich, dass es hier nicht um minimale Sozialreformen geht, sondern um die weitestgehende Zerstörung von sozialer Sicherheit und gewerkschaftlichen Errungenschaften. Friedrich Merz redet von einem „Epochenbruch in der Sozialpolitik“; Regierungsberater fordern, die „Verrechtlichung ganzer Lebensbereiche endlich zu beenden“. Nicht zufällig also wird die Abkehr vom Acht-Stunden Tag diskutiert, Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Streichung von Feiertagen oder die Rente mit 70 oder 72. Die Arbeitgeberverbände haben kürzlich sogar vorgeschlagen, dass gesetzlich Versicherte bei Arztbesuchen in Vorkasse treten sollen.

Mein Eindruck ist allerdings: Die Bundesregierung wird nicht wie etwa bei der Agenda 2010 mit einem Schlag ein großes Reformpaket auf den Tisch packen. Gegenwärtig arbeiten Kommissionen an der – wie sie es ausdrücken – Reformierung der Pflege-, der Kranken- und der Rentenversicherung. Wenn diese Kommissionen ihre Reformvorschläge zu unterschiedlichen Zeitpunkten präsentieren und die entsprechenden Gesetzentwürfe zu unterschiedlichen Zeitpunkten in die parlamentarischen Verfahren gehen, dann ist das die bekannte Taktik des Aufschneidens einer Salami. Darauf sollten die Gewerkschaften, Kirchen und soziale Bewegungen eingestellt sein und schon jetzt in den gemeinsamen Diskurs über die Verteidigung des Sozialstaates eintreten.

german-foreign-policy.com: Hessens Ex-Ministerpräsident Roland Koch hat kürzlich erklärt, bessere sich die wirtschaftliche Lage nicht bald, dann müsse es „zwingend so harte Einschnitte bei den Sozialsystemen geben, dass demokratische Verwerfungen zu befürchten wären“. Was soll das genau bedeuten?

Ulrike Eifler: Es ist aus meiner Sicht ein Hinweis darauf, dass die Konservativen die Koalition mit der AfD vorbereiten. Um die Konjunktur wieder anzukurbeln, werden derzeit zweierlei Maßnahmenpakete in den Blick genommen. Das ist einerseits Deregulierung und Kostensenkung und zum anderen Militarisierung und Aufrüstung. Letzteres stellt den Versuch dar, über die Stärkung Deutschlands als militärischer Führungsmacht wieder ökonomische Stärke herzustellen. Finanzminister Lars Klingbeil hat vor einiger Zeit gefordert, nach 80 Jahren der Zurückhaltung müsse Deutschland wieder zu alter Führungsstärke zurückfinden. Wenn er von 80 Jahren der Zurückhaltung spricht, dann spricht er nicht von politischer oder ökonomischer Zurückhaltung, die gab es nämlich für den Exportweltmeister Deutschland nie; er spricht vielmehr von militärischer Zurückhaltung. Das heißt, die aktuelle Deindustrialisierung wird zum Motor der Militarisierung.

Nun zeigt sich, dass die Union unter den Bedingungen einer Großen Koalition die beiden Maßnahmenpakete – Deregulierung und Militarisierung – nicht in dem Tempo vorantreiben kann, wie sie gern möchte. Der Grund: Die SPD äußert sich öffentlich immer wieder kritisch dazu; die SPD-Arbeitsministerin wirft dem Bundeskanzler öffentlich „Bullshit“ vor. Die Jungsozialisten fordern „knallharten Klassenkampf“ als Antwort auf die Sozialkürzungen, und die SPD-Linke schreibt ein friedenspolitisches Manifest. Und je mehr die Wirtschaftsverbände Druck auf die Regierung ausüben, Deregulierung und Militarisierung voranzutreiben, desto stringenter muss die Union nach parlamentarischen Mehrheiten suchen, die die größten neoliberalen Überschneidungen abbildet. Dieser Prozess ist selbstverständlich nicht widerspruchsfrei: Insbesondere der soziale Flügel der Union steht für diese Option nicht zur Verfügung. Aber die Strategie der Union ist derzeit: scharfe öffentliche Abgrenzung von der AfD bei gleichzeitiger inhaltlicher Annäherung. In diesen Kontext muss die aktuelle rassistische Stadtbild-Debatte eingeordnet werden: Sie ist einerseits Ablenkung von den eigentlichen sozialen Problemen, sie ist aber auch ein Hinweis darauf, dass die Konservativen immer stärker auf die AfD orientieren.


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