Die Drohnenkrise (I)
Im Konflikt mit Russland um Militärflüge durch den Luftraum von NATO-Staaten und um Drohnenflüge über dänischen Militärbasen weitet die NATO ihre Ostsee-Einsätze aus. Berlin nimmt die Schaffung eines „Drohnenwalls“ im Osten ins Visier.
BERLIN/BRÜSSEL (Eigener Bericht) – Die NATO verstärkt ihren Ostsee-Einsatz Baltic Sentry und zieht eine Umwandlung ihrer Luftraumüberwachung (Air Policing) im Baltikum in einen regulären Militäreinsatz in Betracht. Die Folge wären schärfere Einsatzregeln und eine weitere Eskalation der Lage in der Region. Damit reagiert die NATO zum einen darauf, dass russische Militärflugzeuge mutmaßlich den Luftraum über dem Territorium des NATO-Mitglieds Estland durchquert haben, und zum anderen auf die Flüge von Drohnen über Flughäfen und Militärbasen in Dänemark. Dänemark hat in jüngerer Vergangenheit mehrfach US-Raketenwerfer, die Mittelstreckenwaffen abfeuern können, im Rahmen von Manövern nach Bornholm bringen lassen. Die Mittelstreckenwaffen könnten ohne weiteres Russland erreichen. In Deutschland plädiert inzwischen auch ein Mitglied der Bundesregierung dafür, russische Militärflugzeuge, die sich im Luftraum über NATO-Staaten bewegen, abschießen zu lassen. Im Hinblick auf die Drohnenflüge über dänischen Militärbasen verlangt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die Ostsee für russische Schiffe prinzipiell zu sperren. Berlin treibt die Debatte über einen „Drohnenwall“ zur Drohnenabwehr voran.
Baltic Sentry
Die NATO kündigt eine Verstärkung ihres Ostsee-Einsatzes Baltic Sentry (Ostsee-Wache) an. Baltic Sentry war im Januar gestartet worden, um insbesondere kritische Infrastruktur auf dem Meeresboden – Pipelines und Kabel – zu überwachen und für ihren Schutz zu sorgen.[1] Wie das Militärbündnis am Samstag mitteilte, wird es nicht nur seine Aktivitäten auf der Ostsee intensivieren, sondern für Baltic Sentry auch zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich laut NATO-Angaben um nicht näher beschriebene Aufklärungsmittel, darunter auch solche geheimdienstlicher Natur.[2] Zudem soll „mindestens“ eine Fregatte ergänzend in die Ostsee entsandt werden, die auf Flugabwehr spezialisiert ist. Laut Berichten handelt es sich dabei um die deutsche Fregatte Hamburg. Diese war zuletzt ohnehin in der Ostsee unterwegs, wo sie soeben erst an dem NATO-Manöver Neptun Strike teilgenommen hat. Wie vergangene Woche berichtet wurde, wurde sie dabei am 19. und am 20. September von russischen Aufklärungsflugzeugen in niedriger Höhe überflogen.[3] Man stufe dies zwar nicht als gefährlich, aber trotzdem als eine „unfreundliche und provozierende Aktion“ ein, hieß es aus der Bundeswehr.
Vom Air Policing zum regulären Einsatz
Darüber hinaus zieht die NATO eine Umwandlung ihrer Luftraumüberwachung in den baltischen Staaten in einen regulären Einsatz in Betracht. Dies teilte gleichfalls am Samstag der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Giuseppe Cavo Dragone, nach einem Treffen mit den Generalstabschefs der 32 Mitgliedsstaaten in Lettlands Hauptstadt Riga mit. Zuvor hatte der lettische Präsident Edgars Rinkēvičs diese Forderung erhoben.[4] Die NATO führt in den drei baltischen Staaten seit deren Beitritt zu dem Militärbündnis im Jahr 2004 das sogenannte Air Policing durch: klassische Luftraumüberwachung, die Estland, Lettland und Litauen in Ermangelung der dazu nötigen Luftstreitkräfte nicht eigenständig umsetzen können. Auch die Bundeswehr beteiligt sich daran. Das Air Policing wurde schon nach dem Beginn des Ukraine-Krieges aufgestockt – und es könnte nun mit der Transformation in einen regulären Einsatz eine erneute Erweiterung seiner Kapazitäten erfahren. Nicht zuletzt sei es denkbar, dass die Einsatzregeln der beteiligten Einheiten im Hinblick auf die Anwendung von Waffengewalt – etwa gegen russische Kampfjets oder Drohnen – weiter verschärft würden, wird berichtet.[5]
Mittelstreckenwaffen in Dänemark
Mit den Maßnahmen reagiert die NATO zum einen auf Estlands Vorwurf, drei russische Militärflugzeuge seien in den Luftraum über seiner Insel Vaindloo eingedrungen. Russland streitet dies ab und gibt an, die Flugzeuge seien drei Kilometer nördlich der Insel geflogen.[6] Vaindloo liegt rund 25 Kilometer nördlich des estnischen Festlands; völlig unabhängig von der genauen Flugroute der russischen Flugzeuge bestand für Estland zu keiner Zeit eine Gefahr. Zum anderen heißt es bei der NATO, man antworte mit den Maßnahmen auch auf die wiederholte Präsenz größerer Drohnen nahe Flughäfen und Militärstützpunkten in Dänemark. Offiziell geben die dänischen Behörden an, es handle sich dabei um Drohnen unbekannter Herkunft.[7] Beweise für eine russische Urheberschaft liegen nicht vor – im Hinblick auf die Überwachungskapazitäten der NATO ein bemerkenswerter Umstand. Bekannt ist allerdings, dass Dänemark es den Vereinigten Staaten mehrfach gestattet hat, im Rahmen von Manövern Typhon-Raketenwerfer auf seine Insel Bornholm zu transportieren. Mit ihnen kann man zum Beispiel Tomahawk-Marschflugkörper abschießen, die mit ihrer Reichweite von 2.500 Kilometern problemlos russisches Territorium erreichen können. Das Gleiche gilt für die Präzisionswaffen mit großer Reichweite, die Kopenhagen beschaffen will.[8]
„Russische Kampfjets abschießen“
Während die NATO ihre Einsätze in der Ostsee verstärkt und Dänemark die Stationierung weitreichender Waffen vorbereitet, werden weitere Forderungen nach einem Abschuss russischer Kampfjets laut, sollten sie sich erneut im Luftraum von NATO-Staaten bewegen. Bereits vor kurzem hatte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt verlangt, man solle „jede militärische Grenzverletzung mit militärischen Mitteln beantworte[n] ..., bis hin zum Abschuss russischer Kampfjets über Nato-Gebiet“.[9] Jetzt hat sich mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt Florian Hahn (CSU) erstmals ein Regierungsmitglied der Forderung angeschlossen: „Jeder, der den Luftraum des Bündnisgebiets willentlich und wissentlich verletzt“, ließ sich Hahn zitieren, „muss damit rechnen, dass das Bündnis von seinem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht.“[10] Bundeswehrkreise warnen: „Der richtige Weg“ sei „das Abfangen und gegebenenfalls das Zwingen zur Landung“, erläutert der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg; „alles andere würde eskalieren, das braucht es auf keinen Fall“.[11] Die Forderung nach einem Abschuss russischer Jets ist allerdings bestens geeignet, die Stimmung im Inland zu brutalisieren und die Bevölkerung auf aggressivere Schritte vorzubereiten.
Seeblockade gegen Russland
Auch die Drohnenflüge über dänischen Flughäfen und Militärbasen werden längst genutzt, um eine weitere Eskalation vorzubereiten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj etwa behauptet, Russland benutze seine Öltanker, um Drohnen in den Luftraum der NATO-Staaten einfliegen zu lassen; dafür gebe es „zunehmend Belege“.[12] Selenskyj zufolge handelt es sich dabei um „russische Militäraktivitäten gegen europäische Staaten“; deshalb habe „Europa das Recht, die Seewege“ für russische Schiffe „zu schließen“. Die Forderung läuft auf eine Seeblockade gegen Russland hinaus. Ähnliches haben auch Politiker in EU-Staaten bereits gefordert (german-foreign-policy.com berichtete [13]). Die Folgen wären unabsehbar.
Ein „Drohnenwall“
Brüssel und Berlin konzentrieren sich aktuell zum einen darauf, für den informellen EU-Gipfel, der am morgigen Mittwoch in Kopenhagen beginnt, eine effiziente Drohnenabwehr zu organisieren. Um die Luftraumüberwachung zu verstärken, ist am gestrigen Montag die Fregatte Hamburg in Kopenhagen eingetroffen – im Rahmen der NATO-Operation Baltic Sentry.[14] Zudem schwillt die Debatte über neue Maßnahmen zur Drohnenabwehr an – darunter die Schaffung eines „Drohnenwalls“ an der NATO-Ostflanke, über den auch auf dem informellen EU-Gipfel ab Mittwoch diskutiert werden könnte. german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Mittwoch.
[1] S. dazu Die Ostsee-Wache.
[2] Andrius Sytas: NATO to increase presence in the Baltic after Denmark drone incidents. reuters.com 27.09.2025.
[3] Russische Aufklärer überfliegen Fregatte „Hamburg“. spiegel.de 25.09.2025.
[4], [5] Nato könnte Luftraumüberwachung in Verteidigungseinsatz umwandeln. zeit.de 27.09.2025.
[6] Russland will estnischen Luftraum nicht verletzt haben. handelsblatt.com 20.09.2025.
[7] Julia Wäschenbach: In Dänemark wächst die Unruhe. tagesschau.de 25.09.2025.
[8] Dänemark will Präzisionswaffen mit großer Reichweite beschaffen. hartpunkt.de 17.09.2025.
[9] S. dazu „Einfach abschießen“.
[10], [11] Angelika Hellemann, Burkhard Uhlenbroich: Abschießen oder abwarten? bild.de 28.09.2025.
[12] Kateryna Hodunova, Tim Zadorozhnyy: Zelensky calls for closing Baltic Sea for Russia over drone incursions. kyivindependent.com 29.09.2025.
[13] S. dazu „Einfach abschießen“.
[14] Ethan Gossrow: German Navy Deploys Frigate to Denmark Amidst Drone Incursions. navalnews.com 29.09.2025.
