Befreiung Mai 1945

Als der US-Regisseur Billy Wilder vor 70 Jahren einen Spielfilm in den Trümmern des besiegten Nazi-Deutschland drehte, glänzte Marlene Dietrich in einer zwielichtigen Rolle: als nur scheinbar bekehrtes "Frollein", das mit den US-Besatzern anbandelte. Ware gegen Ware. Dieses Berliner "Frollein" im Film "A Foreign Affair" hatte eine dunkle, verschwiegene Vergangenheit: im Dunstkreis der deutschen Polit- und Wirtschaftselite.

Damit das Zwielicht nicht zu düster wirken sollte, sang die Dietrich – hier bei Dreharbeiten mit Billy Wilder – ein erhellendes Chanson:

In den Nachkriegstrümmern von Berlin würden die Blumen wieder blühen. Der Duft eines neuen Frühlings vertreibe den Geruch der Barbarei...

Diese Verheißung aus dem Munde einer ambivalenten Nachkriegsdeutschen, von der man nicht weiss, ob sie in Wirklichkeit eine Nazisse ist, wirkte recht doppelbödig. In der Figur, die Marlene Dietrich darstellte, stellte der Regisseur Billy Wilder das Mißtrauen der Weltkriegssieger dar:

Gehörte die deutsche Expansion in Europa, das rassistisch befeuerte Morden und Plündern einer wirtschaftsstarken Nation, wirklich der Vergangenheit an? Oder war dem deutschen "Frollein" nicht zu trauen...ihrer blonden Perfektion, ihrer stahlharten Kälte?

Bis in die ersten Nachkriegsjahrzehnte schien dieses Misstrauen ausgeräumt, nie vollständig, aber den unverbesserlichen Pessimisten vorbehalten. Im Mai 2019 ist es umgekehrt:

Das Misstrauen ist in Europa allgegenwärtig und nur die unverbesserlichsten Optimisten deuten die Zeichen hoffnungsvoll.

Billig sind die jährlichen Trauerrituale im Berliner Wonnemonat Mai geworden. Befreiung? Ja, Berlin fühlt sich befreit...von der materiellen Verantwortung für die 50 Millionen Toten, die der Weltkrieg im Schlund der deutschen Wirtschaftsmacht verschlungen hat.

Befreiung? Ein leeres Wort, wenn Berlin seine Schulden nicht zahlen will, weder in Griechenland noch in Polen, und auch deutschen Opfern mit stahlharter Kälte begegnet.

Befreiung? Es mehren sich die Zeichen einer wirtschaftlichen Wiederholung. "Unser Europa" steht auf den Berliner Wahlplakaten: gemeint ist das deutsche Europa, unter dem die europäische Armut stöhnt.

Befreiung? Wie kann man frei sein, wenn man andere bedroht: bei militärischen Abenteuern in Osteuropa, im Mittleren Osten und in Asien? Beim Sturz mißliebiger Regierungen in Südamerika...

Die Ruinen im Film von Billy Wilder stehen heute überall dort, wo Berlin seinen Weltmachtanspruch mit Gewalt, mit Waffen unterfüttert. Das hat im Mai vor 70 Jahren kaum jemand für möglich gehalten.

Damals sang Marlene Dietrich in den Sprachen der Alliierten: der amerikanischen, russischen britischen und französischen Soldaten in Berlin. Es ist tragisch, daß in dieser Stadt, die mit so vielen Opfern befreit werden musste, der teutonische Traum von der "deutschen Verantwortung in der Welt" nicht nur erneut geträumt, sondern immer aggressiver umgesetzt wird.

Es ist tragisch für alle, die vor 70 Jahren in den Trümmern von Berlin an den Sieg über die deutsche  Unterwerfung von "Groß"-Europa glauben wollten und die faschistische Gefahr für gebannt hielten...

Ein Glück, dass Marlene Dietrich und Billy Wilder die aktuelle Entwicklung im deutschen Europa nicht miterleben müssen...Hören Sie die starke, selbstbewusste Stimme von Marlene Dietrich unter Dokumentar-Sequenzen, die in den Berliner Ruinen entstanden. Komponiert und getextet hat Friedrich Holländer, wie die Dietrich auch er ein Emigrant, der die Flucht überlebte. Im Mai 1945 gehörte er zu denen, die wirklich befreit wurden: von der "deutschen Verantwortung in der Welt". Sie lag in Trümmern.

 

*

 

In den Ruinen von Berlin

w.m. Friedrich Holländer

Amidst the ruins of Berlin
Trees are in bloom as they have never been
Sometimes at night you feel in all your sorrow
A perfume as of a sweet tomorrow!

That's when you realize at last
They won't return – the phantoms of the past
A brand new spring is to begin
Out of the ruins of Berlin!

In den Ruinen von Berlin
Fangen die Blumen wieder an zu blüh'n
Und in der Nacht spürst du von allen Seiten
Einen Duft, als wie aus alten Zeiten!

Dans les ruines de Berlin
Les arbres en fleur parfument ton chemin!

I na razwálina Berlina
Nacnátsja nowaja wesná!

 

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