Die "Koalition der Entschlossenen"

Außenpolitiker fordern zwecks Durchsetzung der EU im Machtkampf zwischen den USA und China eine "kerneuropäische" Avantgarde.

BERLIN (Eigener Bericht) - Deutsche Außen- und Militärpolitiker dringen auf ein weltpolitisch ausgreifendes Auftreten der EU und schlagen das Vorpreschen einiger weniger Mitgliedstaaten als "Koalition der Entschlossenen" vor. Verharre man in der EU-Außenpolitik beim bisher gültigen Einstimmigkeitsprinzip, dann werde die Union sich im globalen Machtkampf nicht durchsetzen können, heißt es etwa in aktuellen Stellungnahmen aus der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Berlin und Paris müssten die Initiative für eine "kerneuropäische" Avantgarde ergreifen. Hintergrund ist die Befürchtung deutscher Außenpolitiker, im Konflikt zwischen den USA und China Einfluss zu verlieren. China sei ein "Systemrivale", dem man sich in mancher Hinsicht entschlossen widersetzen müsse, erklärt der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth; es sei zugleich aber auch ein ökonomisch "wichtiger Partner". Die USA wiederum, urteilt der CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, seien "wirtschaftlich ein immer schwierigerer Konkurrent"; Wadephul warnt vor einer Eskalation transatlantischer Konflikte und vor US-Versuchen, strategische High-Tech-Konzerne in der EU zu übernehmen.

"Politischer Rivale"

Ausgangspunkt der aktuellen Debatte über die strategische Orientierung der EU ist zum einen der immer noch anhaltende Aufstieg Chinas. Das Land "meldet sich ... auf der Weltbühne", konstatierte bereits im Frühjahr Brigadegeneral a.D. Armin Staigis, ehemaliger Vizepräsident (2013 bis 2015) der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), heute Vorsitzender von deren "Freundeskreis". Mit Blick auf die "Neue Seidenstraße" urteilte Staigis, China dränge "mit seiner ökonomischen Macht bis auf den europäischen Kontinent"; es sei dabei "nicht nur Handelspartner", sondern werde "auch politischer Rivale".[1] Hinzu komme, stellte kürzlich Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Zuständigkeit für Äußeres und Verteidigung, auf einer internen Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) fest: "Unsere Vorsprünge gegenüber China und anderen asiatischen Staaten im wirtschaftlichen und technologischen Bereich schwinden."[2] "Europa" müsse mit Blick insbesondere auf den Aufstieg der Volksrepublik "seine Widerstandsfähigkeit stärken", erklärte am Wochenende der Staatsminister im Auswärtigen Amt Michael Roth: "Wir brauchen dringend mehr europäisches Handeln im Umgang mit China."[3] Die EU dürfe sich "nicht auseinander dividieren lassen"; eine "konsequente 'Team-Europa-Politik'" in die Wege zu leiten sei "eine Priorität der deutschen EU-Ratspräsidentschaft".

"Ökonomischer Partner"

Roth äußerte zugleich: "Das Verhältnis der EU zu China ist kompliziert." Das Land sei nicht nur "Systemrivale", sondern auch ein "wichtiger Partner", auf den man im "Kampf gegen den Klimawandel" oder auch bei der "Lösung regionaler Konflikte" - als klassisches Beispiel gilt der Konflikt mit Nordkorea -, ganz besonders aber auf ökonomischem Feld nicht verzichten könne: "Unsere Volkswirtschaften sind miteinander verflochten, Zusammenarbeit liegt im beiderseitigen Interesse."[4] Damit bestätigt Roth Positionen, wie sie etwa in der deutschen Industrie vertreten werden, die in wachsendem Maß vom Chinageschäft abhängig ist; so hatte kürzlich etwa Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), mit Blick auf den wachsenden Anteil der Volksrepublik am Generieren von Absatz und Profit deutscher Firmen konstatiert: "China mag ein systemischer Rivale sein - es bleibt ein wichtiger Partner für die EU und für Deutschland."[5] Entsprechend bekräftigte Staatsminister Roth am Wochenende: "Eine möglichst weitgehende 'Entkopplung' ["decoupling", d. Red.] von China, wie es den USA vorschwebt, ist für die EU ... keine Option." "Politisch und wirtschaftlich" führe gegenwärtig "an China kein Weg vorbei": "Zusammenarbeit ist Notwendigkeit und Chance zugleich."

"Schwieriger Konkurrent"

Plädieren Berliner Regierungspolitiker gegenüber China zumeist für einen Mix aus Kooperation und Konfrontation, so sind bezüglich der USA immer häufiger skeptische Äußerungen zu hören, nicht zuletzt aus den traditionell transatlantisch orientierten Unionsparteien. "Im direkten Vergleich zwischen China und den USA" drohe "das Bild eines egoistischen, isolationistischen, sklerotischen (und kranken!) Hegemons von gestern (USA) konstrastiert zu werden mit einem solidarischen, global agierenden, dynamischen (und dank besseren Vorgehens: schnell genesenen) Weltenretters von morgen (China)", klagt etwa der CDU-Außenpolitiker Wadephul.[6] "Unser transatlantischer Partner", die Vereinigten Staaten, seien "wirtschaftlich ein immer schwierigerer Konkurrent"; habe man sich im Handelskonflikt bisher "in erster Linie um Absatzzahlen und Import-Export-Saldi" gestritten, "so könnte es zukünftig um den Besitz von als strategisch wichtig definierten High-Tech-Unternehmen (u.a. Biotech) gehen". Wadephul spielt damit auf die - gescheiterten - Pläne der Trump-Administration an, den deutschen Impfstoffhersteller CureVac oder die Telekomkonzerne Nokia (Finnland) sowie Ericsson (Schweden) mit ihren 5G-Kapazitäten aufzukaufen. Der CDU-Politiker warnt vor einem transatlantischen "Kampf um Unternehmen und Technologien" - sowie davor, dass andere "latent schwelende oder auch offen ausgetragene transatlantische Differenzen eskalieren" könnten. Dies beträfe womöglich die Auseinandersetzungen um die Iranpolitik [7] oder den Streit um die deutsch-russische Erdgaspipeline Nord Stream 2.[8]

Lackmustest 5G

Um sich im globalen Machtkampf durchsetzen zu können - insbesondere mit Blick auf den rasant eskalierenden Konflikt zwischen den USA und China -, plädieren führende Berliner Außenpolitiker für eine energische Stärkung der EU. "Wirtschaftlich" sei die Union "- noch - eine Macht", urteilt etwa Wadephul, dringt jedoch darauf, es müsse dringend "geprüft werden", welche "Schlüssel-Fähigkeiten und -Kapazitäten in der EU verbleiben bzw. in die EU zurück geholt werden sollten", um "eine größere Autonomie und Unabhängigkeit der europäischen Wirtschaft und Industrie" zu erreichen. Mit Blick auf Niedriglohnländer unmittelbar jenseits der EU erklärt Wadephul, es sei unter Umständen auch eine Verlagerung "in enge europäische Partnerländer (Türkei, Ukraine etc.)" denkbar.[9] Staatsminister Roth dringt ebenfalls darauf, es müsse "Anspruch" der Union sein, "Schlüsseltechnologien selbst zu beherrschen und in Europa zu besitzen". Um dies zu erreichen, seien "eine strategischere Industriepolitik, massive Investitionen in Forschung und Entwicklung" sowie "ein einheitlicher digitaler Binnenmarkt" notwendig.[10] Roth erklärt in diesem Kontext "die 5G-Frage ... zum Lackmustest für das Ziel einer stärkeren europäischen Souveränität"; mit Blick auf die 5G-fähigen Telekomkonzerne Nokia und Ericsson äußert der Außenstaatsminister: "Europäische Alternativen stehen bereit und sind technologisch weltweit führend."

Kerneuropa

Herrscht bezüglich der notwendigen Maßnahmen zur ökonomischen Stärkung der EU relative Einigkeit, so werden bezüglich der außen- und militärpolitischen Stärkung mittlerweile durchaus strittige Maßnahmen diskutiert. Über die aktuelle Lage der EU äußert Wadephul: "Außenpolitisch ist sie bestenfalls eine Regionalmacht, sicherheitspolitisch ein Zwerg"; sie sei "nicht einmal in der Lage, im nahen Umfeld (Syrien, wohl auch Libyen) Sicherheit und Stabilität für Europa zu schaffen".[11] Als Hindernis auf dem Weg zu größerer Machtentfaltung gilt in Berlin mittlerweile weithin der Zwang zur Einstimmigkeit bei außen- und militärpolitischen Entscheidungen der EU. Abhilfe könne es nur geben, hatte Ex-BAKS-Vizepräsident Staigis schon im Frühjahr geäußert, wenn "einige EU-Staaten ... voranschreiten und den Kurs vorzeichnen" - in etwa so, wie die CDU-Politiker Wolfgang Schäuble und Karl Lamers es schon 1994 unter dem Stichwort "Kerneuropa" skizziert hätten.[12] Leisten müssten dies nun "Deutschland und Frankreich", urteilte Staigis - "unter Mitnahme von weiteren EU-Staaten, die bereit sind, mit voranzugehen".

Weltpolitikfähigkeit

Der Forderung hat jetzt BAKS-Präsident Ekkehard Brose Nachdruck verliehen. "Außenpolitik auf der Basis europäischer Mehrheitsentscheidungen" bleibe "auf absehbare Zeit ... unrealistisch", schreibt Brose in einer aktuellen Stellungnahme: "Für eine europäische Weltpolitik-Fähigkeit" sei daher "eine 'Koalition der Entschlossenen'" unverzichtbar. Deren Kern müssten "Deutschland und Frankreich" bilden.[13] Ein außenpolitisches Voranpreschen einiger Mitgliedstaaten werde allerdings "seinen Preis" haben, denn es "belastet den Zusammenhalt der EU", schreibt der BAKS-Präsident. Deshalb werde es darauf ankommen, "Kraft und Handlungswillen einer solchen Gruppe von Mitgliedstaaten ... mit dem EU-Gesamtrahmen zu verbinden". Dazu sei "Phantasie" nötig. Konkretere Vorschläge bleiben bislang - noch - aus.

 

[1] Armin Staigis: Ernstfall Europa - Jetzt! Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Arbeitspapier Sicherheitspolitik Nr. 2/2020.

[2] Johann-David Wadephul: Systemherausforderung: Geopolitik in Zeiten von Corona. Konrad-Adenauer-Stiftung. 28.07.2020.

[3], [4] Michael Roth: Die Sicherheit unserer Bürger steht auf dem Spiel. spiegel.de 02.08.2020.

[5] Chinas Außenhandel sackt wegen Corona-Krise weiter ab. dw.com 07.06.2020. S. auch "China bleibt Partner".

[6] Johann-David Wadephul: Systemherausforderung: Geopolitik in Zeiten von Corona. Konrad-Adenauer-Stiftung. 28.07.2020.

[7] S. dazu Vor dem Scheitern.

[8] S. dazu Transatlantische Konflikte (III) und "Ein gefährlicher Präzedenzfall".

[9] Johann-David Wadephul: Systemherausforderung: Geopolitik in Zeiten von Corona. Konrad-Adenauer-Stiftung. 28.07.2020.

[10] Michael Roth: Die Sicherheit unserer Bürger steht auf dem Spiel. spiegel.de 02.08.2020.

[11] Johann-David Wadephul: Systemherausforderung: Geopolitik in Zeiten von Corona. Konrad-Adenauer-Stiftung. 28.07.2020.

[12] Armin Staigis: Ernstfall Europa - Jetzt! Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Arbeitspapier Sicherheitspolitik Nr. 2/2020.

[13] Ekkehard Brose: "Koalition der Entschlossenen": Nur so erwirbt Europa Weltpolitik-Fähigkeit. baks.bund.de.


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